
Es ist ein Reiseführer mit Kult-Status: "1000 Places to see before you die", oder übersetzt "1000 Orte, die man gesehen haben sollte, bevor du stirbst". Das Buch von Patricia Schultz, inhaltlich und äußerlich ein Schwergewicht, liefert seit vielen Jahren sozusagen die To-do-Liste für den ambitionierten Weltreisenden, die wohl nicht restlos abzuarbeiten ist. Umso tröstlicher, dass neben großen Namen wie Brandenburger Tor oder Aschaffenburger Schloss nun auch ein charmantes Kleinod "gleich um die Ecke" den Einzug in die Neuauflage dieses Nachschlagewerks geschafft hat.
Die Rede ist vom alten Forsthaus im beschaulichen Stadtlauringer Ortsteil Wetzhausen. "Das Haus ist 650 Jahre alt", sagt Henriette Dornberger, und damit fast zehnmal so alt wie die 69-Jährige, die das Haus aus dem Dornröschenschlaf geholt hat. Eigentlich "wachgeküsst", um im märchenhaften Bild zu bleiben, denn das Verhältnis zwischen dem Forsthaus und ihr bezeichnet Henriette Dornberger eher als Liebesgeschichte.
Das Fachwerkhaus im Besitz des Freiherrn Truchseß von und zu Wetzhausen war einst Dreh- und Angelpunkt für die Verwaltung von 350 Hektar Wald. Dann geriet das aus der Zeit gefallene Gebäude in Vergessenheit, und dann kam die Hofheimerin Henriette Dornberger, die seit elf Jahren in Wetzhausen lebt. "Immer, wenn ich daran vorbeikam, habe ich mich ein Stück mehr in das Haus verliebt", sagt sie und ist überzeugt, dass diese Liebe auf Gegenseitigkeit beruht.
Die pensionierte Erzieherin und Fachlehrerin, mit preisgekröntem Händchen für Design und Gestaltung und großer Sammelleidenschaft für Porzellan und schöne alte Dinge, pachtete das Haus und investierte viel Handarbeit, um den Leerstand in ein Kleinod zu verwandeln, ohne ihm seinen Charme zu nehmen. Stilvolle alte Möbel, Bilder, Lampen, freigelegte Wandmalereien und manches Kuriosum schicken jeden der fünf Gasträume auf eine individuelle Zeitreise, machen aus den Forsthaus-Räumen einen "blauen Salon", oder kreieren das Kaminzimmer, in dem im Winter der Kachelofen Wärme spendet.

Und weil Henriette Dornberger diese zeitlose Behaglichkeit mit anderen Menschen teilen wollte, reifte 2015 bei ihr der Entschluss, das Forsthaus, in dem schon vor Jahrhunderten viele Menschen ein und aus gingen, wieder zu einem offenen Haus zu machen. Seither bewirtet sie am Sonntag zwischen 14 und 18 Uhr Gäste im Haus.
Genauso wenig wie die Einrichtung ist dabei auch das Kulinarische "nicht von der Stange", denn die leidenschaftliche Kuchenbäckerin macht alle ihre "Landlust-Torten" selbst und gerne mit Beeren und Obst der Saison, weswegen sie je nach Jahreszeit unterschiedlich ausfallen können. Für den deftigeren Appetit der Gäste ihres "lebendigen Hofcafés", wie sie sagt, etwa auf Brotzeit, Bier und Wein, arbeitet sie mit regionalen Erzeugern zusammen.
Dann schlägt auch die Stunde ihrer lebenslang zusammengetragenen Besteck- und Geschirrsammlung. Tassen und Teller der unterschiedlichsten Epochen, die eines gemeinsam haben – viel zu schade für den Polterabend und fast nie für die Spülmaschine geeignet. Und die Sammlung wächst munter weiter, denn immer wieder bringen ihr Menschen, die einmal bei ihr zu Gast waren, wertiges altes Geschirr vorbei, das sie selber nicht mehr brauchen können.
"Die Gäste kommen und suchen sich ihr 'Wohnzimmer' aus, in dem sie den Sonntagnachmittag verbringen wollen", so Henriette Dornberger, der wichtig ist, dass die Leute nicht nur zu Kaffee und Kuchen genießen, sondern Zeit mitbringen und miteinander ins Gespräch kommen und für ein paar Stunden das Handy in der Tasche lassen.

Vor allem im Sommer haben die Gäste die Möglichkeit, ihre Kaffeetafel im Schlossgarten in derselben Straße "ein paar Häuser weiter" zu genießen. So kommt es an Sonntagnachmittagen in der Straße, die vom Forsthaus an Kirche und Pfarrhaus vorbei zum Schloss führt, in dem 120-Seelen-Ort zu ausgefallenen "Prozessionen". Menschen wandern, mit Picknickkorb oder Tablett ausgerüstet, die paar Meter in den Schlossgarten, um sich dort ein lauschiges Plätzchen an gedeckten Tischen für ihr aus der Zeit gefallenes Kaffeekränzchen zu suchen.
Den Schlossgarten hat Henriette Dornberger, die 2009 "Deutsche Meistern bei der Gestaltung von Tafelideen" war, inzwischen gekauft und ihn gemeinsam mit ihrem Mann und viel Fantasie zum "Lustgarten" gemacht. 3000 Quadratmeter mit alten Bäumen, Rosenstöcken, Pavillons, Lauben, "verwunschenen Ecken" und immer mit Aussicht aufs benachbarte Schloss Wetzhausen, dessen Anfänge im 13. Jahrhundert datieren, und den malerischen Schlossteich. Ein als "Schatz im Verborgenen" ausgezeichneter Garten voller Geschichte, der für Familienfeiern genutzt werden kann, in dem "blaue Abende" stattfinden oder Gedichte verlesen werden.
Alle diese Zutaten waren wohl das Rezept, die Komposition aus altem Forsthaus und Schlossgarten zu einem Ort zu machen, an dem man unbedingt den Kaffeelöffel in der Hand gehabt haben sollte, bevor man ihn abgibt. Wie ihr historisches Forsthaus auf die Promi-Liste der Orte, an denen man gewesen sein muss, kommt, kann Henriette Dornberger nur vermuten. "Likes bei Sozialen Medien" oder Gästeempfehlungen vermutet sie. Auf jeden Fall habe der Gästeansturm seit Aufnahme in den Kult-Reiseführer und daraus resultierenden Medienberichten enorm zugenommen. "Für mich ist es auf jeden Fall eine große Ehre".

Das Forsthaus ist bis 3. Advent nur an Sonntagen, von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Am 11. Dezember verabschieden sich Forsthaus und Schlossgarten mit der Waldweihnacht in die Winterruhe. Gruppen und Familienfeiern können für jeden anderen Wochentag angemeldet werden. Tel. (09724) 9072474, Mobil (0160) 99164452.