Für die Schweinfurter Grünen-Politikerin Ayfer Rethschulte und den Vorsitzenden des Integrationsbeirats, Özcan Durukan, waren die Enthüllungen der Redaktionsgemeinschaft Correctiv Anfang Januar zu einem Treffen Rechtsextremer, an dem auch Politiker der AfD, der CDU oder der Werteunion teilnahmen, ein Schock. Diskutiert wurde über Remigration aller Menschen mit Migrationshintergrund, selbst wenn sie einen deutschen Pass haben. Im Gespräch mit dieser Redaktion erklären Rethschulte und Durukan, wie sie sich fühlen und welche Reaktion der Zivilgesellschaft in Schweinfurt sie erhoffen.
Özcan Durukan: Ich weiß gar nicht, was man dazu sagen soll. Wir fühlen uns wohl hier, wir leben, arbeiten hier, meine Familie ist hier. Mit welchem Hintergrund sollen Menschen zurückgewiesen werden? Wann findet Integration statt, wann ist man hier angekommen? Wann gehört man dazu, und was definiert mich als Ausländer, als Migrant? Es ist erschreckend, aber dieser Rechtsruck ist in Italien und Frankreich auch sichtbar, und Deutschland zieht nach. Es tut sich was in der Gesellschaft ins Negative, und das macht uns Sorgen. In Deutschland gab es in der Vergangenheit viele Vorfälle – Mölln, Solingen, Hanau, der NSU. Man macht sich Gedanken, ob das meiner Familie, meinen Freunden auch passieren könnte, weil man nicht weiß, wohin das führt.
Ayfer Rethschulte: Es war sehr erschreckend und sehr verletzend, weil man in dieser Aufzählung ja direkt betroffen ist. Ich finde es schlimm, dass man für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund und diejenigen, die unterstützend den Geflüchteten helfen, diese Pläne hat. Man kann das nicht ernst nehmen. Ich frage mich, wer all die Arbeit macht, die die Migranten und Geflüchtete machen, wer die Steuern zahlt.
Rethschulte: Ich denke, wir müssen noch aktiver werden. Alle Parteien sind gefragt, zusammenzuarbeiten. Die Demonstration am 27. Januar in Schweinfurt war ein erstes Zeichen, dass es die Mehrheit der Gesellschaft nicht möchte. Leider gibt es auch einzelne Politiker, die dieses Gedankengut teilen, um Wählerstimmen zurückzubekommen. Wir brauchen aber auch eine gemeinsame Flüchtlingspolitik, die für die Kommunen leistbar ist, damit die Menschen, die helfen, nicht verzweifeln.
Rethschulte: Ja, sehr. Man hat es mir schon angemerkt, aber ich bekam von allen Parteien bis auf eine Zustimmung. Man kann bei mir nun wirklich nicht sagen, dass ich nicht integriert bin. Ich fühle mich als Schweinfurterin, sage „wir Schweinfurter, wir Deutsche“, aber das zählt alles nicht. Sie haben keinen Plan, keine Antworten. Es ist traurig, dass Menschen teilweise nicht darüber nachdenken, das unterstützen und diese Menschen wählen. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Durukan: Ist diese Alternative wirklich eine Alternative oder ist sie eine Überholspur ins Verderben? Stehen in diesem Parteiprogramm Dinge, die wirklich interessant sind? Ich kann nicht nachvollziehen, dass die Menschen nicht verstehen, dass es nicht der richtige Weg ist. Der richtige Weg wäre, den momentan Regierenden zu zeigen, hier läuft etwas falsch, lasst uns daran arbeiten. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht aus Trotz irgendwann in einem Szenario sind, das wir gar nicht wollten.
Rethschulte: Natürlich ist es sehr wichtig, zu zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung das nicht möchte. Aber es kann nur ein Teil von Maßnahmen sein. Wir müssen uns zusammensetzen, wie man den Menschen, die diese Politiker gewählt haben, vor Augen führt, dass diese das, weswegen sie gewählt wurden, gar nicht machen. Wir hatten in Schweinfurt bei der Landtagswahl Stadtteile wie Bergl oder Deutschhof mit relativ hohem AfD-Anteil. Da sind auch viele Menschen mit Migrationshintergrund dabei. Denen muss man die Augen öffnen, dass sie von diesen Plänen nicht ausgenommen sind. Der Integrationsbeirat hat 2019 eine tolle Kampagne "Zukunft findet gemeinsam statt" auf den Weg gebracht. Es gibt sehr viele positive Beispiele für gelungene Integration. Und es sind die Politiker gefordert. Es kann nicht angehen, dass die Unzufriedenheit in der Bevölkerung so geschürt wird, dass man sich an den regierenden Parteien im Bund abarbeitet und damit bewirkt, dass die Menschen immer unzufriedener werden. Man erträgt es bald nicht mehr auf Veranstaltungen, es ist ein reines Ampel- und Grünen-Bashing. Es ist brandgefährlich, was hier passiert.
Durukan: Die Parteien müssen präsenter sein, sich zeigen. Fragen, wie es den Menschen geht, was ihnen auf dem Herzen liegt und welche Bedürfnisse sie haben. Wenn man will, dass man wählen geht, erwarte ich auch, dass die Parteien kommen und die Menschen ernst nehmen. Denn dann beteilige ich mich auch konstruktiv in der Zukunft. Man muss die Hand ausstrecken und jeder muss einen Schritt aufeinander zu gehen.
Rethschulte: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die türkisch-stämmigen Migranten AfD-Wähler sind. Andererseits hatten wir bei der Landtagswahl am Deutschhof oder Bergl über 20 Prozent für die AfD. Wir haben jetzt noch zwei Jahre bis zur Kommunalwahl. Wir müssen das sinnvoll nutzen, denn es kann keiner von uns wollen, dass der Anteil dann noch höher ist. Es funktioniert sehr gut mit „Gerne daheim in Schweinfurt“, es finden runde Tische statt und man muss weiter mit den Menschen reden. Wenn wir zum Beispiel bei den Moscheedamen sind, merken wir, dass wir uns nicht unterscheiden. Wir haben die gleichen Sorgen und Probleme im Alltag.
Rethschulte: Als absolut friedlich. Wenn dann solche Themen aufkommen, fragt man sich, wo hier das Problem sein soll. Wir leben in Schweinfurt zusammen, wir arbeiten gemeinsam, es funktioniert alles. Natürlich hat es sich zum Beispiel in den Schulen verändert. Wir in Schweinfurt arbeiten daran mit Projekten wie den Talent-Scouts oder den pädagogischen Hilfskräften. Aber natürlich sind die kommunalen Mittel begrenzt, und es ist nicht gut, wenn der Freistaat und der Bund sich aus der Finanzierung zurückziehen.
Durukan: Das Zusammenleben funktioniert sehr gut. Durch die Großindustrie sind seit den 1960er-Jahren viele Migranten da, Italiener, Spanier, Griechen, Türken. Die Amerikaner waren hier stationiert. Doch leider ist die Alltags-Diskriminierung noch da, man erlebt sie unterschwellig immer wieder. Nach 2015 hat sich das Thema wieder verstärkt.
Rethschulte: Es ist im Augenblick unrealistisch und würde der AfD noch mehr Aufmerksamkeit geben. Sie gehört beobachtet, und man muss ganz genau dahinter schauen. Je mehr man aber darüber diskutiert, desto mehr Zulauf bekommt sie.
Durukan: Dass wir zusammenhalten und für die Demokratie einstehen. Ein Leben in Vielfalt, Akzeptanz und Toleranz, ohne Hass und Ausgrenzung, das ist der Weg. Wir hoffen, dass man dem Slogan „Schweinfurt ist bunt“ weiter folgt. Natürlich gibt es hier und da Probleme, aber das ist kein Grund zu verzweifeln, dann müssen wir das Problem gemeinsam anpacken. Schweinfurt ist eine schöne Stadt, meine Stadt. Ich lebe gerne hier.
Rethschulte: Ich wünsche mir, dass sich die Schweinfurterinnen und Schweinfurter weiterhin nicht auseinanderdividieren lassen, tolerant bleiben. Die 6500 Menschen am 27. Januar zu sehen, war ganz, ganz toll. Wir wünschen uns auch, die AfD-Wählerinnen und Wähler mitzunehmen und sie zurück in die Mitte der Gesellschaft zu führen. Wir müssen jetzt aufstehen und sagen, Nein, so nicht.