Stellen Sie sich vor, Sie ziehen in ein fremdes Land. Sie wollen dort leben, mit oder ohne Familie, einen Freundeskreis aufbauen, arbeiten. Was zählt Ihre Ausbildung? Qualifiziert sie Sie, in genau demselben Bereich weiterzuarbeiten wie bisher? Oder ist eine Zusatzqualifikation nötig, eventuell sogar ein zweites Studium? Oder ist das, was Sie bisher gemacht haben, hier nicht gefragt, müssen Sie sich umorientieren? Welche Behörde ist wofür zuständig? Und dann die Sprache. Vielleicht können Sie diese gut oder zumindest etwas, aber trauen Sie sich auch, draufloszusprechen? Und reichen nicht diese Fragen schon, dass sich eine gewisse Unsicherheit einstellt?
So in etwa geht es den Menschen, die vor Elina Schnürer im Beratungszimmer sitzen. Montags und dienstags im Interkulturellen Begegnungszentrum für Frauen (IBF) in Schweinfurt, mittwochs im Würzburger Rathaus, in der Geschäftsstelle des Integrationsbeirats. Es sind Menschen, die aus aller Welt nach Deutschland gekommen sind – in oder außerhalb der Flüchtlingswelle. Menschen, die vor Krieg und Elend flüchten, ausländische Studenten, die bei der Orientierung Hilfe brauchen, Spätaussiedler, von denen manche schon lange hier sind, sich beruflich jetzt aber neu orientieren wollen. Vielleicht weil sie, wie die Gastarbeiter früher, das Leben in Deutschland mit einem schnellen Job begonnen haben. Im ersten Leben Lehrerin, heute Putzfrau. Ein Schicksal, das so unüblich nicht ist.
„Die Menschen versuchen sich hier ein Leben aufzubauen“
Elina Schnürer ist „Talentscout für Flüchtlinge“ für den Regierungsbezirk Unterfranken – aber eigentlich zuständig für alle mit Flucht- und Migrationshintergrund. Seit 2016 gibt es die mobilen Talentscouts an vier Standorten in Bayern. Überall dort, wo keine Anerkennungsstelle und damit keine direkte Anlaufstelle existiert. Es geht um mehr als Jobs oder Geld, es geht darum, „ein ganz normales Leben zu führen“, mit Arbeit, Familien, Freunden. Wer so angekommen ist, kann sich integrieren. „Die Menschen“, sagt Schnürer, „versuchen sich hier ein Leben aufzubauen.“
Sie sind, sagt Schnürer, bereit für den Neuanfang. Die meisten sind ein paar Jahre da, beherrschen die Sprache gut, wollen jetzt den nächsten Schritt gehen. Wer Arzt war, braucht hier in Deutschland eine Approbation. Wer studiert hat, muss sehen, was anerkannt wird und welche Möglichkeiten es auf dem Arbeitsmarkt gibt. Wer eine Berufsausbildung hat, muss eventuell noch Zusatzqualifikationen nachlegen. Wer hier studieren oder eine Ausbildung machen möchte, muss wissen, welche Voraussetzungen nötig sind und welche Möglichkeiten es gibt.
Zeugnisse und Abschlüsse müssen übersetzt, Anträge gestellt werden. Bei all dem helfen die Talentscouts. Doch manchmal stoßen auch sie an ihre Grenzen. Dann zum Beispiel, wenn der Mensch, der vor ihnen sitzt, ihnen erklären muss, dass seine ehemalige Universität, von der man noch Unterlagen bräuchte, heute in Trümmern liegt.
Ehrenamtliche, Verbände, Behörden: Schweinfurt ist gut vernetzt
Den Kontakt zu den Talentscouts stellen oft diejenigen her, die Flüchtlinge betreuen. Ehrenamtliche in der Schweinfurter Erstaufnahme zum Beispiel. In Schweinfurt, sagt Schnürer, ist man sehr gut vernetzt. Die Talentscouts informieren, beraten, sammeln die Unterlagen und Informationen, leiten sie an die entsprechenden Stellen weiter, arbeiten eng mit Jobcenter und Wohlfahrtsverbänden, ehrenamtlichen Betreuern und Dolmetschern zusammen. Hinter ihnen stehen zwei Vereinigungen: die Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns, kurz AGABY, und MigraNet, das bayerische Landesnetzwerk im Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung“.
Die Dankbarkeit, die sie für ihre Arbeit erntet, ist das eine, was Elina Schnürer begeistert. Das andere sind der Mut und die große Motivation der Menschen. Denn sie weiß, vor welcher Herausforderung sie stehen. „Es geht darum, ihnen Hoffnung zu geben, dass es möglich ist, hier zu arbeiten und etwas zu erreichen“, sagt die Beraterin, die selbst Migrationshintergrund hat. Denjenigen, die sie begleitet, will sie Angst und Unsicherheit nehmen, sagt Schnürer. Damit der Neuanfang gelingt. Denn Potenzial, sagt sie, hat jeder. Und das, ergänzt Ayfer Rethschulte vom Vorstand der AGABY, ist Gold wert. Gold, das bei den Migranten der Gastarbeiterwellen in den 60er und 70er-Jahren meist ungenutzt blieb.
Talentscouts für Flüchtlinge: Ein Projekt, viele Träger
Im März 2016 ging es an den Start als Erweiterung des Projekts „Beruflich anerkannt?!“. Dieses bietet seit 2011 Veranstaltungen zur Information über die Anerkennungsgesetze zu Berufsqualifikationen an. Das Angebot richtet sich an Ausländer- und Integrationsbeiräte sowie Migrantenvereine in ganz Bayern. Projektträger ist die Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns, die AGABY. Das Projekt „Beruflich anerkannt?! Talentscouts für Flüchtlinge“ ist ein Teilprojekt von Migra-Net – IQ Landesnetzwerk Bayern im Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung“ und wird aus Mitteln der Bundesministerien für Arbeit und Soziales sowie Bildung und Forschung sowie der Bundesagentur für Arbeit finanziert.
Vier Talentscouts unterstützen laut Mitteilung in den Regierungsbezirken Oberfranken, Unterfranken und Schwaben Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Die Talentscouts sind mobil, um Flüchtlinge auch in den Unterkünften informieren zu können. Die Büros sind an fünf Standorten in Bayern beim jeweiligen Integrationsbeirat angesiedelt – in Oberfranken, Unterfranken, Schwaben, Oberpfalz und Niederbayern. Die Kontaktdaten sind auf der AGABY-Homepage aufgeführt.