Die Felsen: hässlich. Der Wasserfall: gefährlich. Der Wald: unheimlich. Die Nacht: bedrohlich. Wie schön dagegen doch die geordnete, wohlgegliederte Natur! Es sollte dauern, bis eine dunkle Schlucht nicht mehr als furchtbar galt, Nebel nicht als Gefahr. Sicher, einige Landschaftsmaler hatten sich bald schon von der strikten Typisierung gelöst, von den festen, gegensätzlichen Kategorien des Scheußlichen und Schönen. Aber wilde Landschaft? "90 Prozent der Natur galten als hässlich", sagt Dr. Wolf Eiermann über das frühneuzeitliche Verständnis. "Im besten Falle als erhaben."
Der "Watzmann" - erhaben ganz ohne Idealisierung
Erhaben – wie der "Watzmann", den Caspar David Friedrich 1824/1825 malte und der jetzt im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt strahlt. Das schneeweiße Massiv unscharf im Hintergrund, grün-braune Felsformationen und Hänge im Vordergrund. Ohne Perspektivverzerrung, ohne Menschen im Bild. Nicht idealisierend inszeniert, auch nicht erklärend naturwissenschaftlich betrachtet. Hier bedroht der Berg nicht - er beeindruckt. Caspar David Friedrich zeigt das Gebirge in einer Sichtweise, die bis heute als "romantisch", als gefühlvoll, mitunter abwertend kitschig gilt.
Kitschig? "Die Romantik hat den Hang. Doch bei Caspar David Friedrich finden wir dieses Problem nicht", sagt Wolf Eiermann. Und zeigt nicht nur auf den "Watzmann", sondern auch auf die zwei Dutzend anderen Meisterwerke des Malers, die in der großen Schau im Museum Georg Schäfer zu sehen sind. Zusammen mit 13 Zeichnungen Friedrichs und gut 60 Gemälden von Vorläufern, Zeitgenossen und "Vorboten der Romantik".
Der Kurator lässt den Maler selbst sprechen und zitiert: "Wenn ein Bild auf den Beschauer seelenvoll wirkt, wenn es sein Gemüt in eine schöne Stimmung versetzt; so hat es die erste Forderung eines Kunstwerks erfüllt."
Kann man Bilder mehr fühlen als sehen? Und was sind diese "Stimmungsauslöser" in der Landschaftsmalerei?
Alles Originale vor dem Jubiläum 2024: Leihgaben mit "astronomischem Versicherungswert"
Genau diese Fragen stellt Eiermann in dieser Werkschau jetzt, die er schon vor fast 20 Jahren angedacht hatte und die er jetzt, gemeinsam mit dem Kunst Museum Winterthur – im Museum Georg Schäfer umsetzt. Auch als ein "Vorbote" quasi: 2024 wird vielerorten der 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich gefeiert werden. Jenes Malers, dessen Bilder lange Zeit als – wie Eiermann erwähnt - "überschwängliche Gefühlsduselei" kaum mehr beachtet worden waren. Und der heute bei Kunsthistorikern weltweit als "wichtigster romantischer Künstler Deutschland" gilt. Als "Superstar" gar, hinter dessen Werke "astronomische Versicherungswerte" – sagt auch der Museumsdirektor – stehen.
Apropos. Dass so viele wichtige Leihgaben, dass die Originale nach Schweinfurt kamen und die Ausstellungsmacher "mehr oder weniger alles bekommen haben, was wir haben wollten" – es hängt mit dem zeitlichen Glück zusammen, mit der Würdigung des großen Frühromantikers und Jubilars eben einen Tick früher als andere Häuser in Hamburg, Berlin, New York dran zu sein. Und auch mit der eigenen noblen Sammlung: Denn, Nehmen und Geben, der ein und andere Caspar David Friedrich aus dem Bestand des Schweinfurter Museums wird 2024 anderswo hängen.
Bis Anfang Juli aber ist nun das vielleicht berühmteste Bild Caspar David Friedrichs am Main zu sehen: der "Wanderer über dem Nebelmeer" aus der Kunsthalle Hamburg. Just am letzten Tag, an dem das großformatige Gemälde dort vor der Reise nach Schweinfurt zu sehen war, war es Ziel der "Letzten Generation". In einer neuerlichen "Protestaktion" hatten zwei Aktivistinnen offenbar vor, eine neuzeitliche Apokalypsen-Version des Nebelmeers auf das Sicherheitsglas zu kleben. Ein Mitarbeiter konnte das Kleben verhindern, es blieb bei Asche aus zwei Plastiktüten auf dem Boden. Sie stamme von den Waldbränden in der Sächsischen Schweiz. Die Landschaften, die Caspar David Friedrich vor 200 Jahren gemalt hätte – sie seien, so die Mahnerinnen, bald für immer verloren.
Was aber malte der aus einer Seifensieder-Familie stammende, 1774 in Greifswald geborene und lange in Dresden lebende Caspar David Friedrich – neben dem schwarzgekleideten, zur Stilikone gewordenen Wanderer auf der wolkenumwogten Felsspitze und dem Watzmann? Romanautor und Zeitgenosse Friedrich de la Motte-Fouqué notierte 1822, dass sich der Maler mit dem Vorwurf beschäftige, er könne "nichts malen als Mondschein, Abendroth, Morgenroth, Meer und Meeresstrand, Schneelandschaften, Kirchhöfe, wüste Haiden, Waldströme, Klippenthäler und Ähnliches".
Die Schweinfurt-Winterthurer Schau zeigt im Vergleich mit Künstlern und Malschulen der Zeit das Besondere, Andere, Romantisch-Neue bei Stimmungserwecker, Gefühlserzeuger Caspar David Friedrich. "Wirken ist ein Schlüsselwort", sagt Kunsthistoriker Eiermann. "Ein Bild soll wirken, das Herz öffnen!" So wird der Begriff "Stimmungslandschaft" zum doppeldeutigen Wort: "Erst die Übersetzung der Naturstimmung in eine Bildstimmung, dann die Wirkung auf den Betrachter."
Friedrich sei durchaus bewusst gewesen, dass Blick und Stimmung der Malenden nicht deckungsgleich sein müssen mit der Empfindung und Wahrnehmung der Betrachtenden später. In vielen seiner großen Werke bietet der Künstler "Identifikationsmöglichkeiten" - in dem er eben "stellvertretend" den Wanderer ins Nebelmeer blicken lässt. Oder am "Kreidefelsen auf Rügen" drei Figuren ganz nah an die Abbruchkante der Steilküste stellt und setzt. Eine Einladung, hineinzutreten in diese Landschaft, sich einzulassen - und zu fühlen.
Kurator Wolf Eiermann: Die Romantik wird auch die KI überleben
Eiermann rät: "Sie müssen schauen, zu welcher Tageszeit er gemalt hat." Der Abend - noch bedrohlich? Das Mondlicht - nur angstvoll kalt oder silberschön? Es sei eine Leistung der Malerei, die überkommenen Denkmuster, die Einstellung zur gefahrbehafteten, bedrohlich wilden Natur zu wandeln. Und der Kurator verweist auf Maler Johan Christian Dahl, der schrieb: "Viele haben ihn nachgeahmt, doch noch hat keiner verstanden, jenes stille Naturerleben wiederzugeben, das für Friedrichs Kunst so eigentümlich war und seinen scheinbar oft steifen Bildern einen eignen Reiz giebt."
Eine Einladung, im Museum Georg Schäfer jetzt hinzuschauen – und zu fühlen. Trotz Kitsch-Risiko? "Er ist einfach einer der ganz, ganz Großen", sagt Eiermann über die Malweise Friedrichs. Und: "In 100 Jahren noch werden sich die Menschen für Gefühle interessieren. Die Romantik hat die Moderne überlebt. Und sie wird auch die Künstliche Intelligenz überleben."
Die Ausstellung: "Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik" - zu sehen im Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20 in Schweinfurt, bis 2. Juli 2023, von 26. August bis 19. November im Kunst Museum Winterthur. Im Hirmer Verlag ist ein reich bebilderter Katalog dazu erschienen - und im Museum Georg Schäfer gibt es während der Ausstellung ein umfangreiches Begleitprogramm. Infos unter www.museumgeorgschaefer.de.
Öffnungszeiten: Di 10-20 Uhr, Mi bis So 10-17 Uhr. An jedem ersten Dienstag im Monat freier Eintritt für das gesamte Haus!