Stilgeschichte ist out, zumindest im universitären Bereich. Man kann heute dicke Bücher schreiben, die den Begriff „Barock“ zwar im Titel führen, aber nicht ein einziges Mal erklären, was Barock denn nun sei. Man kann ein und dasselbe Werk gleichzeitig Romantik, Moderne und Postmoderne zuordnen und ist damit durchaus auf der akademischen Höhe der Zeit. Stilgeschichte ist Schubladendenken, Stilgeschichte ist 19. Jahrhundert.
Wolf Eiermann ist das durchaus bewusst. Im Gegenteil: Er nennt ein Beispiel ums andere, um diesen Trend der Kunstwissenschaft zu veranschaulichen, den er seit etwa 15 Jahren beobachtet. Und doch hat er für die erste Neupräsentation der Ständigen Sammlung des Schweinfurter Museums Georg Schäfer seit der Eröffnung vor 17 Jahren die Stilgeschichte als Leitfaden gewählt.
Denn Wolf Eiermann, promovierter Kunsthistoriker und seit zwei Jahren Leiter des Hauses, ist eben Museumsmann. Seine Aufgabe ist es, Kunst zu vermitteln. Und das wäre ziemlich schwierig, hätte er keinerlei Gerüst, um eine für den Besucher nachvollziehbare Systematik zu entwickeln.
Und so tragen die Räume der oberen Ebene, in der 235 Bilder aus dem etwa 1000 Gemälde umfassenden Bestand zu sehen sind, Titel wie „Klassizismuss“, „Frühromantik“, „Biedermeier“, „Impressionismus“ oder „Décadence, Fin de Siecle und Symbolismus“.
Längst nicht alles passt in die Schubladen
Aber auch „Thoma und Einzelwerke“. Denn natürlich passt längst nicht alles in die Schubladen – ironischerweise sperrt sich gerade das 19. Jahrhundert, in dem die Stilgeschichte als solche erst entwickelt wurde und dessen Werke den Schwerpunkt der Sammlung bilden, immer wieder gegen eindeutige Zuordnungen. Zu kurz die stilistischen Zyklen, zu schnell die persönlichen Entwicklungen, zu mannigfaltig die Einflüsse.
Ganz abgesehen davon, dass sich selbst unter vermeintlich eindeutige Stilbegriffe wie Biedermeier sehr unterschiedliche Werke subsummieren lassen. So malen Johann Baptist Reiter wie Ferdinand von Rayski pausbackige Kinder, doch bei Reiter sind sie rosig und aktiv, bei Rayski blass und still. Ernst wirken sie in beiden Fällen, was allein schon das Klischee der sorgenfreien Gemütlichkeit des Biedermeier in Frage stellt.
Auch das will Eiermann zeigen: Da wo stilgeschichtliche Begriffe passen, sind sie eine Hilfe, und wo nicht, erst recht.
40 Prozent der Bilder sind neu aus dem Depot geholt worden
40 Prozent der Bilder hat Wolf Eiermann ausgetauscht, dennoch sind viele vertraute Werke weiterhin zu sehen. Die Ideallandschaften von Hackert und seinen Schülern etwa, die Starstücke von Caspar David Friedrich, Carl Blechen, Ferdinand Georg Waldmüller, Adolph Menzel und die der Impressionisten Slevogt (neu zu sehen ist ein fabelhaftes Selbstporträt) und Corinth. Der Spitzweg-Raum ist übrigens noch leer – die Bilder hängen in der Ausstellung „Spitz und Knitz“ auf Ebene eins. Die schließt am Sonntag, am Montag ziehen die Gemälde um, ab Dienstag ist dann auch Spitzweg mit 23 Arbeiten vertreten.
Max Liebermann hat einen eigenen Raum bekommen, in den Eiermann auch Gemälde von Leistikow, Trübner und Lesser Ury gehängt hat. Von letzterem hielt Liebermann gar nichts – das Gegenüber von Liebermanns stechendem Auge und Urys irgendwie bonbonhafter Natursicht zeigt auch hier, wie wenig einschränkend Zuordnungen sein müssen.
Auf ein Zitat von Wilhelm Leibl spielt der Raumtitel „Leibl und das ,Wie' in der Kunst“ an: Leibl hatte 1876 die These vertreten, dass es nicht darauf ankomme, was dargestellt werde, sondern wie – „zum Leidwesen der Kritiker, Zeitungsschreiber und des großen Haufens, denen das ,Was' die Hauptsache ist“.
Die Bilder hängen tiefer als früher - eine Konzession an die Schulklassen
Es fällt auf, dass die Bilder tiefer hängen als früher – eine Konzession an die Schulklassen, nicht selten aber auch für den erwachsenen Besucher reizvoll, der bei einigen Motiven so den Eindruck bekommt, direkt in die Szenerie hineinsteigen zu können.
Neu sind die meist gedeckten Farben Sand, Blau, Grün, Grau und – im Raum der Symbolisten – sehr sattes Violett. Drei Versionen Rot haben die Museumsleute für einen Raum ausprobiert, bis sie schließlich den richtigen Ton in einer Schale voller Kirschen von Otto Scholderer fanden. Hier finden sich die Freidenker wie Carl Schuch, August Xaver Karl Ritter oder eben Scholderer, die ganz offen französische Einflüsse von Renoir bis Manet verarbeiten, ohne sich – anders als etwa Hans Thoma – um die nationale Vereinnahmbarkeit ihrer Kunst zu scheren. Für den Nachruhm war das eher schlecht: „Die Wanderer zwischen den Welten gehen immer in der nationalen Kunstgeschichte unter“, sagt Wolf Eiermann.
Schwierige Provenienzforschung
Erstmals wird die Provenienzforschung thematisiert. Bilder aus der Sammlung, für die Rückgabeforderungen vorliegen, wie etwa Liebermanns Porträt seiner Frau Martha, werden nicht gezeigt. Gleichzeitig informieren Texte über die Schwierigkeiten des Forschungsgebiets. Ein Adolph Menzel etwa gehörte einst dem jüdischen Sammler Max Meirowsky. Meirowsky wurde im NS-Staat gezwungen, seine Bilder zu verkaufen, die somit in die Kategorie „Raubkunst“ fallen. Ausgerechnet aber der Menzel, der später Teil der Sammlung Georg Schäfer werden sollte, so fand Provenienzforscherin Sibylle Ehringhaus heraus, blieb im Besitz von Meirowskys geschiedener Ehefrau, die nicht jüdischer Herkunft war, und tauchte 1955 in einer Ausstellung der Berliner Nationalgalerie auf. . .
Die offizielle Eröffnung der Ständigen Sammlung findet am Samstag, 23. September, 15 Uhr statt. Die Ebene der Wechselausstellungen bleibt wegen Renovierung bis zur Ausstellung „Back to Paradise – Meisterwerke des Expressionismus“ am 16. Dezember geschlossen. Öffnungszeiten: Di.-So. 10-17 Uhr, Do. bis 21 Uhr.