zurück
Schweinfurt
Vor "Willy Sachs-Entscheidung": Appell an OB und Stadtrat
Kurz bevor der Stadtrat eine Entscheidung fällt, bekräftigt die Initiative gegen das Vergessen erneut, warum dem Großindustriellen die Ehrenbürgerwürde entzogen werden sollte.
Die Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen macht sich für eine Umbenennung des Stadions stark.
Foto: Nicolas Bettinger | Die Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen macht sich für eine Umbenennung des Stadions stark.
Nicolas Bettinger, Volontär, Mediengruppe Main-Post
Nicolas Bettinger
 |  aktualisiert: 08.02.2024 19:55 Uhr

Vermutlich erst am 27. April wird der Schweinfurter Stadtrat das mit Spannung erwartete Thema "Willy Sachs" behandeln, das schon lange zu hitzigen Diskussionen führt. Aufgrund der hohen Inzidenzzahl für Schweinfurt wurde der für Dienstag, 23. März, angesetzte Tagesordnungspunkt verschoben.

Im November 2020 sorgte ein fraktionsübergreifender Antrag im Stadtrat für Aufsehen – der 1958 gestorbene Großindustrielle Willy Sachs soll aus der Liste der Ehrenbürger gestrichen werden. Außerdem soll das von ihm gestiftete Willy-Sachs-Stadion in "Sachs-Stadion" umbenannt werden. Die Antragsteller sehen Willy Sachs wegen seiner Verstrickungen mit dem nationalsozialistischen Terrorregime nicht als Vorbild an, das Ehrenbürger sein sollte.

Die Forderung fand viele Unterstützer, aber auch eine Menge Kritiker, die sich insbesondere in Leserbriefen kritisch zu dem Vorhaben äußerten. Kurz vor der Entscheidung im Stadtrat meldete sich die Schweinfurter Initiative gegen das Vergessen noch einmal zu Wort. Sie fordert seit Jahren die politisch richtige Einordnung von Willy Sachs und hatte den Antrag von acht Stadtratsfraktionen mit angeschoben. Ihre Forderung: Weil für Willy Sachs die Zuordnung "überzeugter Nazi" nachgewiesenermaßen zutreffe, müsse der Stadtrat den Namen aus der städtischen Ehrenbürgerliste streichen und das nach ihm benannte Stadion umbenennen. "Alle Argumente sind bekannt", sagte Norbert Lenhard, Mitglied der Initiative, gegenüber dieser Redaktion. Nun müsse sich die Stadt klar von einem überzeugten Nazi abgrenzen.

Initiative kritisiert "Pro-Sachs-Argumente"

Zusammen mit Werner Enke erinnerte Lenhard bei einem Pressegespräch noch einmal daran, dass sich auch der FC Schweinfurt 05 als Nutzer des Stadions und 125 Persönlichkeiten in einer aus Spenden finanzierten Zeitungs-Anzeige hinter den Antrag gestellt hatten. Erfüllt werden müsse zudem die Antragsforderung, die Öffentlichkeit mit einer am Stadionvorplatz aufgestellten Tafel über das Wirken der Familie Sachs, das Unternehmen und die Leistung der Mitarbeiter aufzuklären.

Seit Bekanntgabe des Antrags hatte es auch zahlreiche Pro-Sachs-Stimmen gegeben. Auffällig, so Lenhard, sei dabei allerdings, dass in den meisten dieser Meinungsäußerungen wie auch in Schreiben an den OB und Stadträte gar nicht auf die klare Faktenlage und den Antragsinhalt eingegangen wurde. Nämlich dass Sachs viel mehr als ein Mitläufer war. Sachs-Befürworter hätten sich eher um verharmlosende Aspekte bemüht, etwa dass er ein "netter Mensch, der mit den Leuten gesprochen hat" gewesen sei, ergänzte Werner Enke.

Werner Enke (links) und Norbert Lenhard von der Initiative gegen das Vergessen richten einen Apell an den Schweinfurter Stadtrat.
Foto: Nicolas Bettinger | Werner Enke (links) und Norbert Lenhard von der Initiative gegen das Vergessen richten einen Apell an den Schweinfurter Stadtrat.

Dabei sei vielfach belegt, dass Willy Sachs sich an die Seite der Nationalsozialisten stellte. Lenhard und Enke beziehen sich bei ihrer Argumentation auf anerkannte Standardwerke zur Familie Sachs von Prof. Dr. Wilfried Rott ("Sachs – Unternehmer, Playboys, Millionäre") und Prof. Dr. Andreas Dornheim ("Sachs – Mobilität und Motorisierung. Eine Unternehmensgeschichte").

Auch "Bund für Geistesfreiheit" unterstützt Antrag

76 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur in Deutschland müsse deshalb das Wirken von Willy Sachs endlich angemessen politisch eingeordnet werden, fordert die Initiative. Eine Rolle sollte dabei auch das nach den Recherchen der Historiker Rott und Dornheim "keinesfalls ehrenwerte Verhalten als Privatmann" spielen. So sei etwa Sachs` übergriffiges Verhalten Frauen gegenüber ein offenes Geheimnis. Dem Antrag müsse auch deshalb stattgegeben werden. Gerade auch für zukünftige Verbrecher müsse dies als Signal dienen. "Es darf niemals verschwiegen und verziehen werden," betonte Lenhard. 

Die Forderungen basieren auf einem zehn Punkte umfassenden Papier, das die Initiative gegen das Vergessen Ende 2020 an Schweinfurts Oberbürgermeister und Stadträte geschickt hatte. Unterstützt wird der fraktionsübergreifende Antrag auch vom "Bund für Geistesfreiheit Schweinfurt". Dessen Vorsitzender Herbert Wiener teilte der Redaktion mit, dass man die Aberkennung der unter der Nazidiktatur verliehenen Ehrenbürgerwürde an Willy Sachs anlässlich dessen Spende des Stadions an die Stadt unterstütze. Grund dafür sei einerseits Sachs' "massive finanzielle und ideologische Unterstützung des Naziregimes". Andererseits sei die Verleihung der Ehrenbürgerwürde nicht durch einen demokratisch legalen Rechtsakt erfolgt.

Stadt Schweinfurt darf  "diese Taten" nicht vergessen

Der Bund für Geistesfreiheit vermisst in der öffentlichen Diskussion zudem weitgehend die Benennung des "unglaublichen menschlichen Leids der vom Rassismus-Wahn Verfolgten" und vom Ausmaß der Zerstörung, dem zwei Drittel Deutschlands und fast die ganze Stadt Schweinfurt zum Opfer fielen, heißt es in einer Mitteilung. Gerade deshalb sei die Stadt Schweinfurt dazu aufgerufen, diese Taten und Folgen nicht zu vergessen oder zu verdrängen, sondern aktiv mit dem Ziel aufzuarbeiten, Personen, die solche Einstellungen propagieren, niemals als "Ehrenbürger" zu dulden.

In einer früheren Version hatten wir in der Unterzeile geschrieben beziehungsweise zitiert: "... warum dem 'Verbrecher' die Ehrenbürgerwürde entzogen werden sollte." Dies wurde nachträglich von der Redaktion geändert, nachdem sich die Initiative gegen das Vergessen von der Begrifflichkeit distanziert hatte. Sie weist darauf hin, dass man Willy Sachs nicht als Verbrecher selbst bezeichne sondern ihn als Profiteur des Naziregimes sehe.

    

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Nicolas Bettinger
Demokratie
Ehrenbürger
Elend
FC Schweinfurt
Industrielle
Nationalsozialismus
Nationalsozialisten
Norbert Lenhard
Professoren
Stadt Schweinfurt
Stadträte und Gemeinderäte
Städte
Unternehmensgeschichte
Werner Enke
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • kempf-margit@t-online.de
    Wie lange steht das Willy Sachs-Stadion eigentlich schon? Und jetzt besinnt sich eine Gruppe Menschen um die Geschichte dieses Herren! Warum nicht schon vor 25 Jahren, da wußten sie doch sicher auch schon was in der damaligen Zeit geschehen ist. Es liegt vieles im Argen was in dieser Zeit passiert ist, aber nicht nur ein Willy-Sachs hat sich schuldig gemacht. Darüber sollten manche Menschen nachdenken. Wir haben in unserer Gesellschaft wohlweislich genug aufzuarbeiten, was in dieser Gesellschaft passiert. Was aber nicht heißt das man die Geschichte vergessen kann.Die Generation unter uns, die das alles miterleben mußte, werden diese Geschehnisse sowieso nicht vergessen. Aber es gibt immer Menschen, die in alten Wunden bohren müssen. Sollte man dann nicht auch darüber nachdenken-die Georg-Schäferstr. umzunennen. Was kommt dann als nächstes?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Ich habe mich an den Namen gewöhnt. Für viele bleibt es auch danach noch das Willy-Sachs-Stadion. Es ist eine zwangsweise Umbenennung, die keiner mitsprechen wird. Mittlerweile ist auch der Kontext zum Stadion ein anderer als damals. Mithin hat hier eine ins Positive gehende Wandlung stattgefunden. Diese Bestrebungen sind im kern zu verurteilen. Die Stadt hat mit ihren stark gesunkenen Gewerbesteuereinnahmen genügend andere Probleme!!! Die sind nämlich exobitant stark gefallen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Michael Fischer
    Immer auf die alten Sachen herum geritten. Muss mal ein Ende haben. Die heutigen Volksvertreter haben auch soviel Dreck am Stecken. Mal sehen wie auf denen herum geritten wird in 100 Jahren. Gott sei Dank ist man da nicht mehr vorhanden.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • stotch
    "Immer auf die alten Sachen herum geritten"
    "Die heutigen Volksvertreter haben auch soviel Dreck am Stecken."

    Sie versuchen gerade nicht wirklich den Holocaust zu relativieren?!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Wo hat er/sie das getan? Unterstellen Sie wiederum anderen, eine Straftat begangen zu haben?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • semistar
    Wieviel wirklich aktive Personen hat denn diese "Initiative gegen das Vergessen"? Hoffentlich mehr als die beiden genannten (und die 125 in der Anzeige aufgezählten "Persönlichkeiten").
    Deren Argumente sind ja durchaus nachvollziehbar und will ich auch gar nicht in Abrede stellen, auffällig ist aber die nervige Penetranz mit der sie ständig die Medien vor sich her treiben, die dann immer wieder die gleichen Argumente aufwärmt.
    Ein eingeschüchterter Stadtrat, der sich ja nicht nachsagen lassen will nicht genügend gegen Rassismus und Rechtsradikal zu tun, ist inzwischen derart befangen, dass man ihm die freie Legitimation absprechen muss, die Angelegenheit per einfachem Stadtratsbeschluss zu regeln.
    Eine elegante Lösung wäre deshalb nur ein Bürgerentscheid!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • eboehrer@gmx.de
    Zu "... 125 Persönlichkeiten in einer aus Spenden finanzierten Zeitungs-Anzeige hinter den Antrag gestellt hatten. ..." Aufgrund der Namen ist zweifelsfrei ersichtlich, dass der Großteil gar keine Schweinfurter und etliche nicht mehr in Bayern wohnhaft sind.
    Wer Willy Sachs als "Verbrecher" bezeichnet kennt die Geschichte um seine Person nicht vollständig. Warum kommen nicht auch die Personen zu Wort, die das anders sehen?
    Der Artikel wärmt nur das auf, was negativ für Willy Sachs wäre.
    Ich wette, dass bei einer Befragung der SW-Bevölkerung zumindest der Name von Willy Sachs bleiben würde.
    Warum wird nicht auch die Rolle von Georg Schäfer beleuchtet, die bei ihm schon 1933 begann?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten