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BERLIN
Länder-Chefs wollen Online-Zocken zügeln
Bis zu 150.000 Euro mit neuer App von Tipico gewinnen       -  Tipico-Werbung mit Torwartlegende Oliver Kahn: Anbieter von Sportwetten haben in Deutschland eigentlich keine Konzession, sondern profitieren von EU-Gesetzen.
Foto: tipico | Tipico-Werbung mit Torwartlegende Oliver Kahn: Anbieter von Sportwetten haben in Deutschland eigentlich keine Konzession, sondern profitieren von EU-Gesetzen.
Von Christian Grimm
 |  aktualisiert: 15.06.2019 02:11 Uhr

Die gleiche Wirkung wie Kokain. Eine erfolgreiche Wette auf die Siegermannschaft, die richtige Zahl beim Roulette oder das unwiderstehliche Blatt beim Pokern lassen die gleichen Glückshormone durch den Kopf schießen, wie eine Prise des weißen Rauschgiftes. Genau um diesen Kick geht es eigentlich, wenn die Ministerpräsidenten der Bundesländer am Donnerstag in Berlin über neue Regeln für das Glücksspiel diskutieren. Gönnt man den Spielern ihr Hochgefühl oder muss der Staat sie davor schützen?

Die Politiker sind spät dran. Denn in den vergangenen Jahren ist ein riesiger Markt entstanden – legal, halblegal, illegal. Mehr Deutsche spielen, in der Spielhalle wie im Internet. Das Online-Casino und der Online-Wettschalter haben Tag und Nacht geöffnet und können mit dem Smartphone von überall angesteuert werden. Laut dem „Jahrbuch Sucht“ werden allein bei legalen Angeboten hierzulande mittlerweile rund 50 Milliarden Euro pro Jahr ein- und umgesetzt. Die Größe des Schwarzmarktes kann keiner genau beziffern.

Fußballstars als Werbegesichter

Hohes Wachstum erwarten die Anbieter im Internet, wo echtes Geld an virtuellen Tischen, Schaltern und einarmigen Banditen verspielt wird. Bwin, Tipico, bet-at-home, interwetten und zahllose andere setzen auf einen Markt, den es eigentlich in Deutschland nicht gibt. Zumindest im juristischen Sinne. Online-Casinos für Roulette, Black Jack und Poker sind verboten. Anbieter von Sportwetten haben keine Konzession. Dennoch sind sie alle da und kaufen Fußballstars wie Torwart-Titan Oliver Kahn als Gesicht der Marke ein. Die Unternehmen operieren auf Basis der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Viele sind auf Malta und in Gibraltar registriert wegen der für sie günstigen Rechtsordnung.

Die Ministerpräsidenten der Bundesländer wollen die Anbieter nun auch nach Deutschland holen. Einerseits hoffen sie, mit einem engen Korsett zu verhindern, dass Zocker süchtig werden. Andererseits versprechen sie sich davon erkleckliche Steuereinnahmen. Schleswig-Holstein ist der Vorreiter unter den Ländern. Die Norddeutschen hatten 2012 als Einzige einen Sonderweg eingeschlagen und Lizenzen an Anbieter von Online-Casinos und Sportwetten verteilt. „Wir wollen nicht zuschauen, wie der Schwarzmarkt ungezügelt weiter wächst. Dieser Zustand ist unakzeptabel“, sagte der Chef der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei, Dirk Schrödter, dieser Redaktion. Der CDU-Politiker hält das Modell seines Landes für ein gutes Vorbild für die gesamte Republik. Die Anbieter dort müssen sicherstellen, dass keine Minderjährigen zocken und den Spielern keinerlei Kredite gewährt werden, die sie in die Verschuldung stürzen könnten. Spieler, die sich aus Eigenschutz haben sperren lassen oder von den Unternehmern gesperrt wurden, dürfen nicht weiter ihr Glück auf die Probe stellen. Was sich in der Theorie gut anhört, hat in der Praxis zwei gehörige Probleme: Erstens gelten die Bestimmungen nur für die Schleswig-Holsteiner, zweitens ist die Aufsicht zahnlos.

Ungenügende Kontrolle

Spieler aus anderen Bundesländern können zwar bei einem in Schleswig-Holstein lizenzierten Unternehmen wetten, für sie gelten aber nicht die Vorschriften. Sie spielen über die Lizenz aus einem anderen EU-Land. Die Spielerschützerin Ilona Füchtenschnieder glaubt weder den Bekenntnissen der Glücksspielanbieter, dass sie sich um den Schutz ihrer Kunden sorgen, noch an die Macht des Staates. „Die Glücksspielaufsicht in den Ländern ist überhaupt nicht in der Lage, die Anbieter zu kontrollieren. Den Behörden fehlt das Personal. Da müssen viel mehr bissige Leute hin und das muss mit der Polizei verzahnt werden“, fordert die Vorsitzende des Verbandes Glücksspielsucht. Dass der Spielerschutz bislang nicht richtig funktioniert, zeigen die Zahlen. Rund 180 000 Menschen in Deutschland gelten als spielsüchtig, weitere 326 000 haben laut Jahrbuch ein Problem mit ihrem Spielverhalten. Sie stehen auf der Kippe, wie Ilona Füchtenschnieder es nennt. Das Dilemma für die Politik ist die Grenzenlosigkeit des Internets. Macht sie die Vorschriften zu streng, könnten die Intensivspieler, die sie vor dem Abrutschen bewahren will, auf Unternehmen aus Asien oder anderen Erdteilen ausweichen. Dort bekommen sie Kredit und es gibt vielleicht keine Setzlimits. Werden die Vorschriften hingegen zu lasch gefasst, wird der Schutz vor Missbrauch nicht erreicht.

Die Glücksspielanbieter wollen, dass der Markt in Deutschland eigene Regeln bekommt. Eine Lizenz aus Deutschland kann ein Gütesiegel sein. „Der Markt ist ja bereits da, es gibt Hunderttausende Spieler in Deutschland. Es ist besser, wenn es dafür klare Regeln gibt, als wenn sie zu Anbietern aus Asien wechseln, die sich um Spieler- und Jugendschutz nicht kümmern“, sagte der Justiziar von bwin, Jens Becker, im Gespräch mit dieser Redaktion. Das Unternehmen ist ein führender Anbieter in Deutschland und gehört zur börsennotierten britischen Holding GVC. Gleichzeitig will bwin, dass mehr Spieler mehr Geld auf ihren Seiten setzen. Deshalb fordert das Unternehmen, dass die Länder per Staatsvertrag Online-Casinos in Deutschland und Live-Wetten erlauben.

Live-Wetten immer beliebter

Bei Letzteren kann zum Beispiel während eines Fußballspiels darauf getippt werden, wer das nächste Tor schießt oder welche Mannschaft eine gelbe Karte bekommt. „Live-Wetten werden immer stärker nachgefragt und machen etwa 70 Prozent des Marktes aus“, erklärt Becker. Er verweist darauf, dass die Branche heute ihre Kunden viel besser schützen kann als in der Spielhalle um die Ecke. „Über das personalisierte Online-Konto können wir alle Einzelwetten nachverfolgen.“ In der Tat können sich die Spieler Limits setzen. Zocker, die sich übernommen haben, können gesperrt werden. „Unsere Systeme zeigen uns das an“, erklärt Becker.

Die Bundesländer wollen nun die Grundlage dafür legen, im Herbst konkrete Vorschläge vorlegen zu können. Die neuen Regelungen sollen dann ab 2021 greifen – im besten Fall per Staatsvertrag in ganz Deutschland. „Für uns ist es keine Option, keine Regelung zu bekommen“, betonte Staatskanzleichef Schrödter.

 
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