
Bei den einen ist das, was an Weihnachten auf den Tisch kommt, unumstößlich. Ein beinahe ehernes Gesetz. Von der aufwändig gebratenen Weihnachtsgans bis hin zu eher schlichten Kombinationen wie Würstchen und Kartoffelsalat – die Bandbreite ist groß. Die anderen sind experimentierfreudig und lassen sich jedes Jahr etwas anderes einfallen. Im Team der Redaktion ist das nicht anders. Und an dieser Stelle packen wir Redakteurinnen und Redakteure, die sonst andere zu Wort kommen lassen, einmal aus – über das, was wir an Weihnachten liebend gerne essen und Dinge, die wir in Zukunft lieber sein lassen.
1. Würstchen und Kartoffelsalat mit Hering - klingt schräg, ist es auch

Katja Beringer: In meiner Familie gibt es eine Tradition, die uns schon etliche ungläubige Blicke eingebracht hat. Denn das Entscheidende ist der Fisch, der sich bei uns in den Kartoffelsalat gemogelt hat. Heringe. Kartoffelsalat mit Salzhering, Essiggürkchen und etwas Rahm, dazu Wiener. Gut, das klingt sehr, sehr seltsam. Ist, wie andere skurrile Kombinationen in der Küche, aber wirklich gut. Sofern man Fisch und Fleisch mag. Was allerdings auch bei der früheren Großfamilie wie der unseren nicht auf alle zutraf; vor allem der Nachwuchs verweigerte den fischigen Salat.
Für die Kinder - und einige angeheiratete Traditionsverweigerer gab's deshalb nur Wiener mit Kartoffelsalat, der allerdings an diesem Tag eher etwas weniger lecker ausfiel als gewohnt. Kein Wunder. Denn die volle Aufmerksamkeit der Köchinnen galt dem Heringssalat. Und heute? Gibt's vegane Würstchen und Kartoffelsalat. Weniger schräg, schnell gemacht, aber doch sehr, sehr schlicht. Was den Nachwuchs von heute auch schon dazu brachte, Sushi aufzufahren – wenigstens als "Nachtisch".
2. Auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner


Irene Spiegel: Mit den Traditionen an Weihnachten ist das so eine Sache. Bei uns war es seit eh und je Tradition, an Heiligabend am Fondue-Topf zu schlemmen und am ersten Weihnachtsfeiertag ein Geflügeltier auf den Festtagstisch zu bringen. Mit den sich verändernden Ernährungsgewohnheiten der Töchter, den plötzlich zu berücksichtigenden Laktose- oder Fruktose-Intoleranzen von deren Partnern und den zunehmenden Kaubeschwerden von Oma und Opa war das alles passé. Die Traditionen wurden abgeschafft.
Das Festtagsmenü ist nun jedes Jahr eine Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner von Ovo-Lacto-Vegetariern, Ovo-Lacto-Pisce-Vegetariern, Freeganern, Fleischessern, Nicht-Geflügel-Essern, Smoothfood-Essern und Allesessern. Hört sich nach viel Arbeit an, ist es auch. Denn je nach Gästeliste kommen verschiedene Gerichte auf den Tisch. Zumindest für Heiligabend haben wir mittlerweile aber eine praktische Alternative gefunden. Vom Fondue sind wir zum Raclette gewechselt. Da kann jeder sein Pfännchen selbst bestücken mit dem, was er gerne isst.
3. Ob Spiegeleier, Pizza oder Pfannkuchen – von Experimenten im Raclette-Pfännchen

Désirée Schneider: Das leise Brutzeln der Pfännchen, der penetrante Geruch nach Angebratenem, der noch Tage später in der Wohnung hängt – neben Fondue ist Raclette als richtiger Silvester-Klassiker bekannt. Nicht so in meiner Familie. Schon vor Jahren wurde sich hier darauf geeinigt, dass die kleinen Pfännchen als Meister der Verwandlung für die verschiedenen Geschmäcker unserer Großfamilie am Weihnachtstisch wie geschaffen sind. Auch wenn Oma sich meist – ungeachtet etwaiger Besitzansprüche – einfach das nächstbeste fertige Pfännchen unter den Nagel reißt, kommt so jeder auf seine Kosten.
Damit aber selbst das wandlungsfähige Raclette über die Jahre nicht eintönig wird, haben unsere Heizspiralen schon diverse Experimente erlebt. Ob Spiegeleier, Pizzateig oder Pfannkuchen – meine Familie hat das Raclette-Game durchgespielt. Durchgesetzt hat sich letztlich aber vor allem das geliebte "Nachtisch-Pfännchen" meines Opas. Kleingeschnittene Banane, dazu Mandarinchen aus der Dose, ein Schuss Sahne, Zimt und in die Mitte ein Mon Cherie. Probiert es aus, dankt mir später.
4. Die Suppe steht schon mal fest für das Festessen. Der Rest wird spontan entschieden


Susanne Wiedemann: Wir haben natürlich auch ein Ritual. An Heiligabend gibt es ein Festessen. Drei Gänge auf jeden Fall. Vielleicht noch einen halben zusätzlich am Nachmittag: Eine kleine Leckerei zum Aperitif, meist aus einem Urlaub mitgebracht und auf einem Stück Röstbrot angerichtet: Eine Pastete aus Frankreich vielleicht, ein bisschen Nduja, scharfe Chili-Wurst-Paste aus Kalabrien oder ein Döschen Baccala mantecato, ein köstliches Stockfischpüree aus Venedig.
Hauptgang, Beilagen, Dessert: Das entscheiden wir spontan. Einer von uns hat eine Inspiration oder einen Wunsch – und das Menü steht. Wichtig: Gemüse vom Markt und saisonal. Wenn Fleisch, dann gerne ein Stück Wild, das wir von einem befreundeten Jäger bekommen. Für heuer haben wir uns schon mal für eine Sellerie-Maronen-Suppe als Einstieg entschieden.
Warum Suppe? Wir wollen an Heiligabend um 18 Uhr zum Konzert des Posaunenchores auf den Marktplatz gehen. Danach ist eine Suppe genau das Richtige. Das Rezept stammt von Verena Lugert, die bei Spiegel online eine Kolumne mit dem schönen Titel Nervennahrung schreibt.
5. Die Ruhe vor dem Sturm: Bratwürste mit Sauerkraut und Brot


Michael Mößlein: Traditionen haben auch Vorteile. An Heiligabend bewahren sie uns zuverlässig vor Zoff, den vor der Bescherung niemand brauchen kann. Denn die Menüfolge am Abend des 24. Dezember gilt als gesetzt, seit Menschengedenken. Es gibt Bratwürste – die groben, fränkischen, mit Senf! – und Sauerkraut, dazu frisches Brot. Einzig eine Frage ist jedes Jahr neu zu klären: Grillt Papa die Würste auf dem Grill, wozu er gerne bereit ist, wenn's von oben nicht zu arg runtersaut, oder landen die Würste, als zweitbeste, weil weniger schmackhafte Lösung, in der Pfanne.
Ganz unabhängig davon, dass mit der in Stein gemeißelten Essenswahl ein jährlich wiederkehrender Streitpunkt umschifft ist, bietet diese Lösung einen weiteren Vorteil: Das Essen ist ratzfatz und mit wenig Aufwand zubereitet. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Faktor an einem Tag, an dem es trotz allen Bemühens auf der Zielgeraden zwischen Kindermette und Bescherung irgendwann immer stressig wird. Und noch einer dankt es: der Magen. Denn vor den meist üppig ausfallenden Mahlzeiten an den beiden Feiertagen schont so ein schlichtes Essen an Heiligabend den Verdauungstrakt. Und das Kraut räumt dort womöglich erst mal auf.
6. The same procedure as last year


Stefan Pfister: Eigentlich ist es ein Silvester-Klassiker – das Raclette. Im Prinzip folgt meine Familie bereits an Heiligabend dem Leitspruch von Miss Sophie aus dem wunderbaren TV-Sketch "Dinner for One" zum Jahreswechsel. „The same procedure as last year“ heißt es bei uns, seit vegetarische Essgewohnheiten beim Nachwuchs angesagt sind. Da hat sich der Bruzzel- und Pfännchen-Spaß als ideales Weihnachtsessen für alle etabliert. Vorbei sind die Zeiten kalter Platten, mit Bratwürsten und Kartoffelbrei oder einem in Brotteig ummantelten Kasslerbraten.
Beim Raclette, das muss man zweifelsohne zugegeben, sind die Möglichkeiten schier unerschöpflich: Jeder kann nach seinen Vorlieben die Pfännchen befüllen, von vegetarischen Köstlichkeiten bis zum Fleischgenuss. Gesellig ist es bekanntlich obendrein. Und praktisch dazu: Kein großes Kochen ist in der Küche nötig. Sogar der Nachtisch kann gleich am Tisch zubereitet werden - bitte mit sehr viel Schokolade auf den Früchten! Und nach dem Reinigen muss das Gerät nicht sofort im Keller verstaut werden: Denn sieben Tage später kommt es erneut zum Einsatz, wenn es heißt: "Der gleiche Ablauf wie zu Weihnachten!"
7. Parmesan ist nicht vegetarisch, und auch für Moslems wird gesorgt


Horst Breunig: Das Weihnachtsmenü hat mir noch nie Stresspusteln auf die Stirn getrieben. Schon als Kind übernahm das Kochen die einzige Frau im Haus: meine Mutter. Traditionell gab's Wiener mit Kartoffelsalat. Aber auch später, längst verheiratet und durchaus des Kochens mächtig, ist das Weihnachtsessen in Frauenhand. Meine Gattin zaubert ein Mehrgängemenü. Richtig festlich, mit allem, was dazu gehört, von der weißen Tischdecke bis zum Serviettenring. Ohne festliche Garderobe braucht man da gar nicht aufzutauchen.
An den Feiertagen gilt es dann, den Horizont zu erweitern. Die Kinder sind für die unterschiedlichen Gänge zuständig. Man merkt dabei: arabische Gewürze wie Ras el-Hanout, Zatar oder Sumach eröffnen dem Gaumen völlig neue Welten, und Linsen sind nicht gleich Linsen. Und aus Pilzen kann man durchaus eine überragende Bratensoße zaubern. Der Fleischesser kann sich so auf den Braten stürzen und der Veganer muss die Klöße nicht trocken runterwürgen. Verzichten sollte man aber auf Parmesan: Der klingt zwar vegetarisch, ist es aber in der Regel nicht, wegen des tierischen Labs, das bei der Produktion verwendet wird.
Und weil der Gast bei uns König ist, muss selbst ein Moslem nicht auf sein Stück Fleisch verzichten: halal muss es sein, also aus einer rituellen islamischen Schlachtung stammen. Im Multi-Kulti-Schweinfurt ist selbst das kein Problem.
8. Schlemmen bis zum Umfallen, dank Mama Dinkel

Marcel Dinkel: Eigentlich geht es bei Familie Dinkel unter dem Jahr nicht sonderlich fromm oder traditionell zu. Ganz anders an Weihnachten: Heiligabend ist bei uns de facto der heiligste Tag des Jahres. Und das liegt beinahe ausschließlich am Essen von Mama Dinkel, das einen unantastbaren Status genießt. Kurioserweise ist es, was das betrifft, bei uns so, dass wir Jüngeren hier die Älteren meist ausbremsen. Während die Mama nämlich immer mal wieder gerne was Neues ausprobieren würde, liegen ihr die Kinder samt Anhang eher mit den gewohnten Gerichten in den Ohren. Ein kleines Stück kindliches Glück sozusagen.
Egal ob Wild, Lachs oder Rouladen: Hauptsache deftig muss es sein und mit viel Soße samt Beilagen, die am besten noch die restlichen Feiertage hindurch reichen. Auf dem unangefochtenen Platz eins steht Fondue, samt verschiedener Dips nach streng geheimer Rezeptur. Aber auch das Festtagsmenü der Familie Dinkel erfährt die Jahre hindurch immer mehr Variation.
Dank der steigenden Zahl an Vegetariern, bleibt es bis zuletzt immer spannend, was sich die Köchin so einfallen lässt, um hier einen adäquaten Ausgleich zu schaffen. Ein unschlagbarer Vorteil für einen Allesesser wie mich, der sowohl von Pilzbratlingen als auch Steaks nie genug bekommt. Den krönenden Abschluss macht aber immer der Nachtisch: Nichts kommt an den selbstgemachten Eierlikör von Mama Dinkel samt Plätzchen ran.
9. Vom Leberwurstbrot mit Kakao zur Obelix-Puten-Keule

Oliver Schikora: Als Kinder gab es, für meine drei Geschwister und mich, zwei Traditionen am Heiligen Abend: Am Nachmittag Leberwurstbrote, natürlich die feine Kalbsleberwurst, mit genau der richtigen Menge an sauren Gurken belegt und dazu eine Tasse heißen, dampfenden Kakao mit ein wenig Sahne obendrauf. Danach ging's zum Weihnachtsgottesdienst, Krippenspiel inklusive. Und bevor es Bescherung gab, mussten wir alle immer im Treppenhaus warten. Mein Vater läutete dann ein Glöckchen, sprach laut und vernehmlich mit dem Christkind, das kurz zuvor die Geschenke gebracht hatte und sich nun auf den Weg machte, all die anderen Kinder noch zu versorgen. Und es wurde gesungen.
Als ich meine Frau kennenlernte, erweiterte sich die Menüfolge an Weihnachten drastisch. Denn am ersten Feiertag gab es bei ihrer Familie immer einen Truthahn. Und weil man grundsätzlich fürchtete, zu wenig zu Essen zu haben, noch mal extra Truthahnschenkel dazu. Sicher ist sicher. Auf Bildern gemeinsam mit meinem Neffen sehen wir beide aus, als wären wir bei einem Festmahl von Asterix und Obelix. Zum Glück gab's keine Minz-Soße dazu.
10. Von gescheiterten Versuchen bei Gewohnheitstieren

Lisa Marie Waschbusch: Meine Familie besteht aus Gewohnheitstieren. Änderungen im Speiseplan, der seit jeher nur aus einem Hauptgang besteht, würden zu Diskussionen führen, ganz klar. Also gibt es, seit ich denken kann, in meiner Familie immer irgendein dunkles Fleisch, meistens Rouladen, eine dunkle Soße, Rotkraut und Klöße. Sehr traditionell. Und das ist völlig in Ordnung so. Meine Oma steht an dem Tag viel in der Küche und kocht, was sie gut kochen kann. Variationen? Undenkbar. Jegliche Versuche scheiterten.
Vor Jahren habe ich mal versucht, meiner Familie vegane Rouladen aus Kohl und Grünkern unterzujubeln – neben den "normalen" Rouladen wohlgemerkt. Ich kann nicht sagen, dass die Familie nicht zumindest neugierig war, wie es schmeckt. Aber nach einem Bissen war es dann auch genug. Im vergangenen Jahr habe ich versucht, einen Nachtisch in unser "Weihnachtsmenü" zu integrieren. Auch das: ja, nett, schmeckt, aber braucht man das? Ich bin mir sicher, dieses Jahr wird es keinen geben – und es wird sich auch niemand darüber beschweren. Auch Traditionen haben etwas Schönes.
Dieses Jahr werde ich das erste Mal nicht an Heiligabend bei meiner Familie sein, sondern ihn mit der Familie meines Partners verbringen. Und was das Weihnachtsessen da angeht, gibt es eine Tradition, die so ganz anders ist: Am 24. Dezember wird im chinesischen Restaurant diniert. Wenn das mal nicht ganz schön viel Abwechslung für mich ist. Vielleicht doch nächstes Jahr wieder zu den Rouladen? Mal sehen. Denn auch ich bin eigentlich ein Gewohnheitstier.
11. Ein kurzer Ausflug in die veganen Weihnachten

Christoph Sommer: Vor zwei Jahren wurden die Eltern zum Bruch einer heiligen Tradition eingeladen. Möglicherweise überredet. Aber sicher nicht gezwungen, obwohl sie das vielleicht so nennen würden. Jedenfalls gab es erstmals kein Raclette an Weihnachten. Die teilzeitvegane Schwester hatte gänsefreie Gänsekeulen durchgesetzt. Am ersten Weihnachtstag wurden Austernpilze für das "Gänsefleisch" in dünne Fäden gezogen, eingelegt und in die "Haut" aus Reispapier gewickelt. Ein Stück Holz imitierte den Knochen und ab in den Ofen. Eigentlich ganz lecker.
Das haben leider nicht alle in der Familie so gesehen. Wobei es dabei wohl weniger um den Geschmack ging als ums Prinzip. Da konnten Rotkraut und Klöße so viel altbackene Tradition heucheln, wie sie wollten. Geholfen hat's nichts. Taktisch unklug war vermutlich, dass schon an Heiligabend wenig traditionell gegessen wurde. Die Eltern haben zu Weihnachten selbstgemachtes – und wirklich richtig leckeres – Sushi geschenkt bekommen. Jedenfalls nutzte die Mutter nach den Fake-Puten ihr Hausrecht und legte auf ewige Zeiten fest: An Weihnachten gibt's Raclette.