Es war ein außergewöhnlicher Einsatz für den Gerolzhöfer Ortsverband (OV) des Technischen Hilfswerks (THW): Elf Helferinnen und Helfer waren sechs Tage lang im westdeutschen Katastrophengebiet unterwegs, um Menschen zu helfen, die zum Teil wörtlich alles verloren hatten. Die Eindrücke und Erlebnisse, die die Ehrenamtlichen aus den vom verheerenden Hochwasser betroffenen Gebieten mit nach Hause gebracht haben, übersteigen die Vorstellungskraft derer, die nicht selbst vor Ort waren. Doch was die THW-Helfer dort ebenfalls erlebt haben: eine unglaubliche Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit. Auch dies ist an ihnen haften geblieben.
Wie berichtet, war das Gerolzhöfer THW am Freitagabend, 16. Juli, mit drei Fahrzeugen und drei Anhängern von der Unterkunft in der Dreimühlenstraße in Richtung Nordrhein-Westfalen abgerückt. Zwei Tage vorher, am Tag nach dem Unwetter, hatte es eine erste interne Abfrage innerhalb des OV gegeben, wer im Falle eines Falles einsatzbereit wäre. Tags darauf hatte der Ortsbeauftragte des THW, Thomas Stengel, die Einsatzbereitschaft für seine Truppe angeordnet. Am Freitagnachmittag ging dann alles ganz schnell, berichtet Matthias Becker (49) aus Gerolzhofen, der als Gruppenführer der Fachgruppe Elektroversorgung den Einsatz der Gerolzhöfer THW-Einheit leitete. Um 15 Uhr hieß es endgültig, dass Einsatzbereitschaft herzustellen sei. Um 19 Uhr fuhren die Fahrzeuge los.
Ankunft am frühen Samstagmorgen
Acht Stunden brauchte der Blaulicht-Verband für die 500 Kilometer weite Fahrt nach Stolberg, in der Nähe von Aachen unweit der holländischen Grenze. Um 3 Uhr, nach einem kurzen Tank-Stopp, waren sie am Ziel. Ihr Bereitschaftsraum war an einem Gymnasium. Die Helfer schliefen – so gut es eben ging – in den Fahrzeugen oder im Freien. Am Samstag um 7 Uhr war Lagebesprechung, dann ging's direkt zum Einsatzort.
Die Gerolzhöfer bildeten mit den Elektro-Fachgruppen der weiteren bayerischen OV aus Alzenau, Hof, Baiersdorf und Amberg eine taktische Einheit. Gerolzhofen und Alzenau hatten die primäre Aufgabe, im Stolberger Stadtteil Zweifall die Elektroversorgung wieder herzustellen. In dem 3000-Einwohner-Ort laufen die Bäche Vicht und Hassel ineinander. Nach dem Starkregen Mitte Juli verschmolzen die Gewässer zu einem Strom, der alles mit sich riss. "Das Wasser stand vier Meter über normal", schildert Dominik Walter (25) aus Lindach, der als Truppführer im Einsatz war. Das heißt: Abseits des Bachbetts floss das Wasser zwei Meter hoch durch Straßen, Häuser, Geschäfte.
Teile der Ortschaft seit Tagen ohne Strom
Als die Gerolzhöfer THW'ler eintrafen, waren Teile der Ortschaft noch immer ohne Strom. Leitungen, Verteilerkäste und die Stromverteilung in den Häusern waren, wenn sie nicht fortgespült waren, unbrauchbar. Am Platz an der Dorfkirche errichtete das THW mit dem mitgebrachten großen Stromerzeuger, einem auf einem Anhänger verlasteten Aggregat, das rund 140 Kilowatt bereitstellt, einen Versorgungspunkt. Dort konnten Einwohner Handys laden, Wasser kochen, Kühlschränke betreiben oder Verlängerungskabel anstecken. Drei weitere, kleinere Aggregate, die die Gerolzhöfer mitgebracht hatten, versorgten im Umkreis beispielsweise Pumpen oder Lampen.
"Die Hilfsbereitschaft im Ort war unglaublich", sagt Becker. Menschen, die beim Unwetter selbst alles verloren hatten, packten mit an, um denen zu helfen, bei denen es noch etwas zu retten gab. 300 bis 400 Menschen, zum Teil auch aus der umliegenden Region, waren als Helfer in Zweifall, schätzt der THW-Gruppenführer.
Vier Berge mit zerstörten Habseligkeiten
Seine eigene Mannschaft packte überall dort mit an, wo sie mit dem mitgebrachten Gerät gebraucht wurden. Anfangs war ihre Hauptaufgabe, eine Notstromversorgung aufzubauen. Doch nachdem der örtliche Versorger nach und nach immer mehr Häuser geprüft und Leitungen notdürftig repariert hatte, kümmerten sich die THW-Helfer darum, Wasser abzupumpen, Freileitungen freizuschneiden oder Schutt zu räumen. Am Ende stapelten sich die vom Wasser zerstörten Habseligkeiten der Einwohner von Zweifall auf vier Müllbergen. Von 7.30 Uhr bis 21 Uhr, manchmal auch bis 22 Uhr, waren die Helfer auf den Beinen.
Doch nicht nur körperlich war der Einsatz enorm belastend und "keine Routine", sagt Walter. Er erzählt von einem Sägewerk, in dem ein großer Lastwagen vom Wasser wie Spielzeug mitgerissen worden war und neben wild durcheinander liegendem Holz völlig verdreht zum Liegen kam. Becker berichtet von der Ortskirche, die im Innern völlig verwüstet war.
Schockmoment für älteres Ehepaar
Eingebrannt hat sich ihm eine bestimmte Szene: Ein älteres Ehepaar, er schätzt um die 85, erfährt, dass ihr Eigenheim nicht mehr bewohnbar sein wird. "Die beiden waren natürlich völlig aufgelöst, die Frau brach in Tränen aus", schildert Becker. Das alte Paar sagte noch, dass sie selbst im Krieg nicht solche Zerstörung erlebt haben. Überhaupt waren es die Momente, als Statiker oder Sachverständige nach einer Überprüfung der vom Wasser getroffenen Häuser deren Besitzern mitteilen mussten, dass diese unbewohnbar sind, die die THW-Helfer wohl nicht so schnell vergessen werden, meint der Gruppenführer.
Ein Trost ist da gewiss die Dankbarkeit, die sie von den Menschen vor Ort erfahren durften. "Die Menschen wollten uns überhaupt nicht mehr weglassen", beschreibt Becker den Moment, als die Gerolzhöfer THW-Helfer nach sechs Einsatztagen den Rückweg antraten. "Es flossen auch Tränen bei den Einwohnern."
Wertvolle Erfahrungen für künftige Einsätze
Die THW-Helfer des OV Gerolzhofen, die im Katastropheneinsatz waren, sind zwischen 20 und 55 Jahre alt. Eine bunt gemischte Truppe also. Doch selbst für die älteren, erfahrenen Kräfte, sagt Becker, sei der Einsatz außergewöhnlich gewesen. Man habe auch Erfahrungen gesammelt, die bei ähnlichen Einsätzen in der Zukunft helfen. "Es war gut, dass wir nicht nach Schema F vorgegangen sind", sagt der Gruppenführer. Er meint damit: Sie hatten mehr Material und Werkzeug mitgebracht, als sie es für ihren eigentlichen Auftrag – die Herstellung der Elektroversorgung – eigentlich gebraucht hätten. Pumpen, Sägen, Werkzeuge ... alles sei vor Ort hilfreich gewesen, sagt Becker. "Wir waren vielfältig unterwegs. Das hat sich auf jeden Fall bewährt."
Ein Helfer des THW Gerolzhofen ist bereits als Fahrer eines Führungsfahrzeugs zum zweiten Mal im Katastrophengebiet im Einsatz. Und auch für den restlichen OV könnte es sein, dass er kommende Woche nochmals angefordert wird, je nachdem, welches Gerät vor Ort noch benötigt wird. Es seien auf jeden Fall Helfer vorhanden, deren Arbeitgeber mitspielen, die Ehrenamtlichen gegebenenfalls ein zweites Mal für den Einsatz freizustellen. Aktuell seien THW-Einheiten vor allem noch mit Pumpen, Räumgeräten, mobilen Pegelmessstellen und Material zur Einsatzstellenabsicherung im Katastrophengebiet.
Gerolzhöfer Familien danken dem THW
Dass die Leistungen des Gerolzhöfer THW auch in der Bevölkerung vor Ort registriert wird, zeigt eine Szene am Rande des Gesprächs. Zwei Mütter mit ihren Kindern kommen zur THW-Unterkunft und haben eine Kiste dabei. Darin: Dankesbriefe und von Kindern gefertigte Bastelarbeiten. Caroline Hipko, eine der beiden Frauen, erklärt: "Wir wollten den THW-Helfer einfach mal dafür danken, dass sie den Menschen geholfen haben." Dies gelte nicht nur für den Einsatz im Katastrophengebiet, sondern auch hier in der Region, als das THW Anfang Juli ebenfalls im Hochwassereinsatz war. Deshalb hatten sich mehrere Familien der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Gerolzhofen für diesen symbolischen, spontanen Besuch beim THW entschieden.
Da blieb dem Ortsbeauftragten des THW und der Handvoll Helfer beinahe die Spucke weg. Das kommt nicht oft vor, dass sich bei ihnen jemand bedankt. "Doch das tut gut", sagt Stengel.