Straßen von Schlamm und Dreck überschwemmt, immer noch überflutete Keller, Menschen, die im Hochwassergebiet all ihr Hab und Gut verloren haben und im traurigsten Fall um einen lieben Menschen trauern, der ums Leben gekommen ist. Es sind 72 Stunden, die die Einsatzkräfte aus Stadt und Landkreis Würzburg sicherlich nicht vergessen werden. "Selbst, wenn man vor Ort ist und das Ausmaß der Zerstörung mit eigenen Augen betrachtet, ist es eigentlich nicht zu glauben", beschreibt der Würzburger Michael Justice seine Gefühle.
Als einer von zwei Abschnittsleitern im Kontingent war er drei Tage lang mit einem insgesamt 170-köpfigen Helfer-Team aus Unterfranken sowie 50 Fahrzeugen - darunter Krankenwagen, Transport- und Versorgungswagen - in der Hochwasserregion in Rheinland-Pfalz unterwegs.
Notfallseelsorger reisten aus dem ganzen Bundesgebiet an
Gemeinsam mit weiteren unterfränkischen Hilfskräften waren die 30 Helfer von BRK und Malteser aus der Region Würzburg in der Landesblindenschule Neuwied untergebracht und koordinierten von dort aus ihre Einsätze. Am vergangenen Sonntag, berichtet Justice, sei er mit der Hälfte seiner Einheit zu einem Einsatz am Nürbergring gefahren: "Dort halfen wir ein Koordinationszentrum für psychosoziale Fachkräfte einzurichten, beispielsweise für Pfarrer und Psychologen, die aus dem ganzen Bundesgebiet zur Unterstützung angereist kamen."
Zudem kümmerte sich Justice mit seiner Einheit darum, dass Krankenwagen in die von den Überschwemmungen betroffenen Gebiete zur medizinischen Versorgung geschickt wurden oder psychosoziale Helfer zur Unterstützung der Teams vor Ort. "Zum Beispiel organisierten wir Hilfe zu Feuerwehrkräften, die eine Kollegin bergen mussten, die ums Leben gekommen war. Das ist sehr tragisch, und da ist es einfach wichtig, dass Notfallseelsorger da sind."
Zusammen mit dem Würzburger Notarzt Dr. Maximilian Kippnich erkundete Justice die vom Hochwasser schwer betroffene Ortschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler, um dort eine mobile Verpflegungsstelle einzurichten. "Die Altstadt ist schwer zerstört worden, das Wasser ist in alle Keller gelaufen und die Bewohner sind seit der Flutwelle mit den Aufräumarbeiten beschäftigt", erzählt er. Als sie dort ankamen, "haben wir in leere und bleiche Gesichter geschaut". Die Menschen seien psychisch und körperlich am Ende ihrer Kräfte, "und uns wurde berichtet, dass sie teilweise seit Tagen nichts mehr gegessen hatten". Binnen nur weniger Stunden seien die gr0ßen Mengen an Essensvorräten, die es als Spende von Unternehmen und aus der Bevölkerung gab, aufgebraucht gewesen, berichtet der 26-jährige Abschnittsleiter. "Etwa 1500 warme Essen wurden in nur zwei Stunden ausgegeben. Die Leute waren so dankbar, wir haben gespürt, wie wertvoll jede Hilfe ist."
Medizinische Versorgung im Ahrtal
Berührt erzählt auch Notarzt Kippnich, der eigentlich im Universitätsklinikum Würzburg arbeitet, von den Einsätzen. "Wir waren insbesondere für die medizinische Versorgung der Bewohner in entlegenen und schwer betroffenen Dörfern zuständig", berichtet er. Dabei sei ein unterfränkisches Team auch auf das Dorf Reimerzhoven gestoßen, das nach vielen Tagen noch immer von der Außenwelt abgeschnitten war. "Man wusste, dass dort Menschen sein müssen, das Dorf konnte aber noch nicht über Wege oder Straßen erschlossen werden." Per Hubschrauber seien dort von der Bundeswehr Getränke abgeworfen worden, um die Bewohner zu verpflegen.
Dank eines so genannten Amphibienfahrzeuges des BRK habe man über zerstörte Pfade in den Weinbergen das Dorf ausfindig gemacht. Dort fand das Team verzweifelte Menschen vor, die glaubten, man habe sie vergessen, so der Arzt. Die Verpflegung mit Hilfsgütern sei dann über einen Pendelverkehr mit dem Amphibienfahrzeug eingerichtet worden: "Wie mir berichtet wurde, weinten die Menschen vor Erleichterung."
Wie Kippnich und Justice weiter berichten, seien sie in vielen Ortschaften im Ahrtal auf hilflose und verzweifelte Bewohner gestoßen, die alles verloren haben. "Die Wohnungen sind nicht mehr bewohnbar, die Häuser einsturzgefährdet, die Infrastruktur zum Teil massiv zerstört. Und tagsüber versuchen die Leute - teils mithilfe der Feuerwehr- ihr letztes Hab und Gut noch irgendwie zu retten," so der Notarzt. Die medizinische Basisversorgung habe sich zum großen Teil auf kleinere Verletzungen bezogen, zum Beispiel das Versorgen von Schürfwunden und Knochenbrüchen, die sich Bewohner oder auch Feuerwehrleute sowie Hilfskräfte bei den Aufräumarbeiten zugezogen haben.
"Aber natürlich haben wir auch Menschen mit Erschöpfungszuständen erlebt. Und wir haben die normale Hausarzt-Versorgung übernommen, denn diesen gibt es vor Ort momentan nicht." Dafür sei ihnen unglaublich viel Wertschätzung entgegen gebracht worden. Die dramatische Lage geht Kippnich dennoch sehr nahe: "Wir sind zwar top ausgebildet für Katastrophenlagen, aber auch die erfahrensten Einsatzkräfte haben hier Situationen vorgefunden, die sie in dieser Form zuvor nicht ansatzweise erlebt haben. "
Das Erlebte nachbesprechen
Auch Michael Justice hat das Erlebte tief bewegt: "Kaputte Häuser, zerstörte Autos, der Hausrat der Menschen, der auf die Straße geworfen wurde, weil er voller Matsch war", zählt er seine Gedanken auf. Auch der fiese vermoderte Gestank auf den Straßen geht ihm nicht aus der Nase. "Aber Gefühle konnten wir nicht an uns ranlassen, weil wir gefordert waren und unsere Einsätze professionell abgearbeitet haben", erklärt er. Der 26-Jährige ist sich sicher, dass erst zuhause die Verarbeitung einsetzt.
Für die Einsatzkräfte werde es auf jeden Fall Hilfsangebote seitens des BRK zur Nachbesprechung geben, erklärt Paul Justice, erfahrener Einsatzleiter des BRK und am Würzburger Landratsamt Geschäftsleiter des Zweckverbandes für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung. Auch er war mit im Krisengebiet und weiß aus langjähriger Erfahrung, "wie wichtig es ist, das Erlebte zu verarbeiten". Was die Hochwasser-Katastrophe angeht, sei für ihn unvorstellbar, "welch emotionale und psychosoziale Katastrophe" das Geschehene nach sich ziehen wird. "Da haben Menschen zum Teil alles verloren, was ihnen lieb war."
Nach 72 Stunden im Krisengebiet sind die Würzburger Hilfskräfte nun in die Heimat zurückgekehrt. Die Ablösung aus Ober- und Mittelfranken ist bereits gekommen, um die Einsätze weiter abzuarbeiten. "Das beruhigt mich, denn es ist alles nach wie vor in der akuten Phase. Und es braucht weitere Hilfe", sagt Kippnich.
Gebührender Empfang zuhause
In Würzburg wurden die Helfer von Landrat Thomas Eberth und Oberbürgermeister Christian Schuchardt gebührend empfangen. Beide drückten ihre Wertschätzung und Dankbarkeit aus. Ebenso der stellvertretende Bezirksgeschäftsführer des BRK, Udo Röthlein, der den tollen Zusammenhalt zwischen den Hilfsorganisationen lobte. Angesichts der großen Spendenbereitschaft in der Bevölkerung sagte er: "Es ist schön, zu sehen, wie viele Menschen helfen wollen." Er riet allerdings - auch aus logistischen Gründen - von Sachspenden ab. "Geldspenden sind da effizienter und kommen dort an, wo sie am nötigsten gebraucht werden."
Ob in den Krisengebieten im Ahrtal bald wieder ein bisschen Normalität einkehren kann? Das glaubt Abschnittsleiter Michael Justice erst einmal nicht: "Es wird Monate dauern, bis alles wieder annähernd aufgebaut ist. Aber das Wichtige ist, dass die Menschen zusammenhalten."