Seit über 180 Jahren frönen die Schweinfurter einem ganz besonderen Ritual: die Original Schweinfurter Schlachtschüssel, bei der nach strengen Regeln das gekochte Fleisch eines Schweins verzehrt wird. Für Außenstehende mag das Prozedere etwas barbarisch und brachial wirken. Der Schweinfurter Stadtrat dagegen sieht das gesellige Mahl zu Höherem berufen: für die Liste des Immateriellen Kulturerbes. Was es mit der Schlachtschüssel auf sich hat:
Nur Kesselfleisch? Nein, Schlachtschüssel!
Bei den Hausschlachtungen früherer Tage war das feste Tradition: Zum Mittagessen gibt es frisches, dampfendes Kesselfleisch vom hauseigenen Schwein, das am Morgen sein Leben lassen musste. Das gekochte Fleisch ist heute noch eine gern verzehrte Spezialität und wird oft in Gastwirtschaften und Metzgereien angeboten. Doch vom profanen Kesselfleischverzehr unterscheidet sich die Original Schweinfurter Schlachtschüssel vehement: Sie gilt nicht als Nahrungsaufnahme, sondern als Kulturgut.
Was macht die Schweinfurter Schlachtschüssel so besonders?
Gegessen wird in größerer Gesellschaft von einer haustürgroßen Platte aus Lindenholz, die auf den Tisch gelegt wird; Teller sind tabu. Auf der Platte werden in feinen Häufchen Salz und Pfeffer gereicht. Daneben Meerrettich, Sauerkraut und Brot. Das frische Fleisch aus dem Kessel wird nicht zusammen kredenzt, sondern kommt in fünf bis acht verschiedenen Gängen getrennt nach Fleischart in die Tischmitte. Man greift zwanglos zu. Spezielles Liedgut darf bei einer Original Schlachtschüssel nicht fehlen: "Wenn auch die Jahre enteilen, bleibt so ein Schwein nur ein Schwein, kommen die Menschen mit Beilen, schlagen den Schädel ihm ein." Derbe Wortwahl, ansonsten geht es beim Mahl gesittet zu. Für die Textunsicheren werden oft Liederbücher bereitgehalten. Das Tragen der ausgelegten Lätzchen ist ungeschriebenes Gesetz.
Was wird serviert?
Das Fleisch kommt in dieser Reihenfolge: Bauch, Kamm, Bug, Stich, Schweinebacken und Ohren, Rüssel und Zunge, Herz und Nieren. Die Reste und das abgeschnittene Fett räumt der Wirt oder Metzger mit einer Maurerkelle ab. Früher landeten die Stücke in der Wurst, die den Gästen noch am gleichen Tag mitgegeben wurde. Hygienevorschriften stehen dem inzwischen entgegen. Wenn es heutzutage ein "Fresspaket" gibt, ist es schon vorab produziert worden. Das traditionelle Getränk zur Schlachtschüssel ist Wein oder Most (bloß kein Bier!), unterstützt von Zwetschgenwasser. Los geht's, wenn die Gäste mit Messer und Gabel auf das Brett trommeln.
Seit wann gibt es diese spezielle Mahlzeit?
1840 soll die Gastwirtin Susanne Magdalena Schwanhäuser in der heutigen Obere Straße erstmals die Schlachtschüssel in ähnlicher Form angeboten haben. Eine Bronzetafel am Haus mit der Nummer 6 erinnert an die Erfindung. Einen Rekord für das Guinness-Buch haben die Schweinfurter 1991 aufgestellt: Es kamen 1200 Menschen zur größten aller Schlachtschüsseln zusammen.
Wer bietet die Original Schlachtschüssel an?
Gasthäuser bieten die Völlerei auf Bestellung meistens für Gruppen ab 15 Personen zwischen September und April an. Hier wird man fündig: Holzer's Hafengaststätte, Waldgaststätte Schießhaus, Weißes Röß'l, Weinstube Korkenzieher, Gaststätte TV Oberndorf (alle Schweinfurt), Gasthaus Hühnernest, Gasthaus Geißler, Genussscheune Bauernhof Reck (alle Hambach), Brauerei Weinig (Gerolzhofen), Gasthaus Vier Jahreszeiten (Forst), Gasthaus Zum Auerhahn (Zeuzleben), Lutz Genusswelt (Dingolshausen), Landgasthof Goldener Stern (Poppenhausen), Stollburg (Handthal), Gasthof Zum weißen Roß (Bergrheinfeld). (Quelle: Tourist-Information. Die Liste erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit. Ergänzungen bitte in der Kommentarfunktion oder per E-Mail: redaktion.schweinfurt@mainpost.de)
Was ist der Geheimtipp für die Schlachtschüssel?
Unerfahrene Genießer sollten diesen Tipp unbedingt beherzigen: Bloß nicht zu viel Brot essen und bei den ersten Gängen nicht in die Vollen greifen. Denn das Beste kommt zum Schluss, beschwören Schlachtschüssel-Kenner. Und danach gibt's ohnehin noch Kaffee und Kuchen. Niemand muss hungrig heimgehen.
Vor wem sollte man auf der Hut sein?
Immer daran denken, seine Tischnachbarinnen und Tischnachbarn im Blick zu haben! Denn es ist Brauch, dass das Schwänzchen des geschlachteten Tiers an einer Nadel oder einem Haken befestigt wird, mit dem Ansinnen, es seiner Nebenfrau oder seinem Nebenmann unbemerkt an Hemd oder Hose zu hängen. Dann muss man dieses Schandmal wieder loswerden.
Noch mehr Wissen über die Schlachtschüssel?
Es gibt sogar ein Buch über die Schweinfurter Schlachtschüssel, in der Karl-Heinz Hennig auf 192 Seiten alles Wichtige und Wissenswerte über das Schlemmer-Ereignis zusammengetragen hat. Titel: "Zum Fressen gern." Allerdings ist es vergriffen, aber über Internetportale in gebrauchtem Zustand zu erhalten. Eine informative Beschreibung bietet auch www.schweinfurt-hat-schwein.de.
Warum soll die Schlachtschüssel schützenswertes Kulturerbe werden?
Nach einer Idee von Stadtrat und Metzgermeister Georg Wiederer (FDP) soll die Original Schweinfurter Schlachtschüssel in das bayerische Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen werden, wo neben 67 anderen schutzwürdigen Einträgen auch die Kirchweihen von Gochsheim und Sennfeld vertreten sind. So soll der Brauch bewahrt werden. Der Antrag beim Heimatministerium ist schon gestellt, hieß es jüngst im Schweinfurter Stadtrat. Allerdings werde man bis zu einer Entscheidung viel Geduld mitbringen müssen, ist sich Kulturamtsleiterin Andrea Brandl sicher.
Helau!