
Die Schwarze Kunst bezeichnete zweierlei: Zum einen die Magie, zum anderen mit einer Farbe aus Ruß und Leinöl sowie mit Lettern aus Blei einen Druck aufs Papier zu zaubern. Zwar ist es für den Laien nicht minder geheimnisvoll, wie heutzutage die Schrift aus dem Computer in die Zeitung gelangt, doch wer denkt darüber schon tiefer nach?
In einer etwas versteckt liegenden Werkstatt am Main könnte, wer Lust hat, mehr erfahren – zumindest was das alte, seit über 550 Jahren bekannte Druckverfahren betrifft. Ein Fenster mit großen und kleinen Buchstaben und allerlei Schriften, der Memphis etwa mit ihrem streng geometrischen Aufbau, macht auf „WerkDruck“ aufmerksam. Auch ein Spruch des Philosophen und Schriftstellers Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) über dem Eingang in die kleine Werkstatt fällt sofort ins Auge: „Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert. Und mehr als das Blei in der Flinte, das im Setzkasten.“
Wertvoller als Blei ist Gold allemal. Und dass Geld, Gold, Gier die Welt verändert haben, ist ebenso einsichtig. Aber das Blei? Allzulange ist es noch nicht her und doch schon fast vergessen, dass die Schrift eben nicht aus dem Computer kam. Sie wurde in Blei gegossen und im sogenannten Buchdruckverfahren gedruckt. Dass Bücher und Schrift die Welt verändert haben, steht wohl außer Frage.
Das Handwerk, das sich mit Bleilettern und nachfolgend dem Druck auf Handpressen beschäftigt, das ist nicht mehr, zumindest nicht rentabel. Das Gold hat also wieder die Oberhand. Doch ganz vereinzelt gibt es sie noch, diese „Winckeldruckereyen“. Das Wort bezieht sich auf die damaligen Raubdrucker oder illegalen Flugschriften-Hersteller. In dieser Tradition sieht sich auch der Prinzipal dieser Offizin, also der Chef der Druckwerkstatt.
Werner Enke will im WerkDruck zeigen, dass „es erhaltenswertes Kulturgut ist, das sich über einige Jahrzehnte angesammelt hat". Freilich sammelt sich das nicht ganz leicht, denn die Werkzeuge und Maschinen wiegen schon etwas mehr als ein heutiger Drucker. „Doch es ist alles begreifbar und das soll es auch sein“, sagt Werner Enke. Anders als das benachbarte „Kleine Industriemuseum“ in der Spinnmühle versteht sich WerkDruck nicht als Museum.

Hier wird nämlich wirklich noch produziert, allerdings nicht für Gold und Geld, um den Faden noch einmal aufzugreifen, sondern zur Freude und zum Genuss. Denn mittlerweile ist die mögliche Tätigkeit im WerkDruck für viele ein Ausgleich zum Vor-dem-Bildschirm-Sitzen. Hier hat man einen Setzkasten mit seinen 125 Fächern vor sich und muss Buchstabe für Buchstabe herausfischen. Ein Buchstabe in einem falschen Fach heißt auch wirklich „Fisch“. Überhaupt hat das Setzer- und Druckerhandwerk eine eigene Sprache, und die Bezeichnungen für die Schriftgrößen und Zwischenräume oder das Handwerkszeug klingen oft mysteriös.
Da gibt es den Winkelhaken, das Viertelpetit, die Konkordanz oder das Gautschen. WerkDruck residiert seit 2004 in den Parterre-Räumen der Disharmonie. Konzipiert ist die Werkstatt in der Kulturwerkstatt als Mitmach-Angebot. Dass man sich dazu auf etwas altes Neues einlassen muss und ein gewisses Durchhaltevermögen braucht, schreckt die Interessierten nicht ab. Mittlerweile tummeln sich schon einige regelmäßig, andere seltener in WerkDruck, aber sie alle sorgen für Anwendung und damit Erhaltung dieses Kulturgutes.
Seit 2016 gibt es die „Kalendarier- Gruppe“ und außer dem mithelfenden Willy Denzer, einem altgedienten früheren Druckereibesitzer und Setzermeister aus Gochsheim, stehen nur Laien am Setzkasten und an der Abziehpresse. Falls nicht gerade die Tür offen steht und der Neugierige durchs Buchstaben- oder andere Fenster ins Innere blickt, ist an der Stirnwand der Werkstatt eine Art Zunftfahne mit der Aufschrift Tÿpographia Schweinfurt zu erkennen. Dies nun ist selbst für Werner Enke ein Rätsel, obwohl er als Schweizerdegen – das ist einer, der beide Berufe erlernt hat, den des Schriftsetzers und des Buchdruckers – die Geheimnisse der Schwarzen Kunst doch einigermaßen kennt.
Zunftfahne wurde bei einem Johannisfest vermacht
Bei einem Johannisfest, das seit einigen Jahren wieder zu Ehren des Erfinders des Buchdrucks, Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg (1400-1468), im Juni gefeiert wird, vermachte die Witwe eines Druckers eben dieses Objekt der Werkstatt, wo die Zunftfahne nun einen Ehrenplatz hat. Wer sie einstmals geschwungen und was diese Tÿpographia Schweinfurt so getrieben hat, ist bisher nicht bekannt.
Was sich im Innern noch so alles befindet, verwirrt anfänglich die Sinne, denn wo kein Satzmaterial oder eine Maschine steht, hängen Drucksachen und selbst auf den Wänden stehen Sprüche. Etwa der: "Des Daseins eigentlichen Anfang macht die Schrift." Oder dieser: "Das größeste ist das Alphabet, / denn alle Weisheit steckt darin. / Aber nur der erkennt den Sinn, / der's recht zusammenzusetzen versteht."
Die Zitate stammen vom griechischen Philosophen Heraklit von Ephesos (520-460 v. Chr.) und dem deutschen Lyriker Emanuel Geibel (1815-1884). So merkt man bei längerem Aufenthalt im WerkDruck, dass hier nicht „normale“ Werbedrucksachen oder Flyer hergestellt werden, der „Untertitel“ von WerkDruck verrät es: „Laboratorium für Handsatz und Versuchsanstalt zur Erhaltung des Buchdrucks“. Und dazu passt ein weiterer Sinnspruch des amerikanischen Schriftstellers Henry Thoreau (1817-1862) an einer Wand: "Es genügt nicht, hart zu arbeiten – überlege, woran arbeitest du?"
So geht's zum Buchstabenfenster
Vom Marktplatz hinunter zum Main und in den Hof vor der Disharmonie, Gutermann-Promenade 7.
Das Buch „Schweinfurter Geheimnisse“ ist in Kooperation zwischen der Main-Post und dem Bast Medien Verlag erschienen. Das Buch (Hardcover) kostet 19,90 Euro, hat 192 Seiten und ist durchgehend bebildert. Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag: bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei). ISBN: 978-3-946581-81-9