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Schweinfurt
Schweinfurter Geheimnisse: Die Bastei und ihre uralte Geschichte
"Schweinfurter Geheimnisse" heißt ein Buch mit 50 Geschichten von Insidern aus der Stadt. Karla Wiedorfer erzählt die Geschichte der alten Schweinfurter Bastei.
Karla Wiedorfer steht vor den Überbleibseln der Bastei in der Nähe der Heilig-Geist-Kirche.
Foto: Hannes Helferich | Karla Wiedorfer steht vor den Überbleibseln der Bastei in der Nähe der Heilig-Geist-Kirche.
Hannes Helferich
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:59 Uhr

Mühltor, Neutor, Fischertor, Brückentor, Obertor, Spitaltor: Einzig Straßennamen erinnern noch an die im 13. Jahrhundert erbauten, aber ab Mitte des 19. Jahrhunderts abgebrochenen Stadttore. Den Altvorderen war die Stadterweiterung einfach wichtiger. Der Zweite Weltkrieg riss weitere Schneisen ins Alt-Schweinfurt, das in den 1950er- und 1960er-Jahren – dem damaligen Zeitgeist folgend – noch mehr an historischer Substanz verlor.

„Ein Umdenken hat sich erst ab den 1970ern ausgewirkt“, sagt Stadtführerin Karla Wiedorfer. Was damals von der Altstadt und von der früheren Befestigungsanlage noch übrig war, ist längst saniert, restauriert und teils wieder aufgebaut worden. Als Beispiele nennt sie den Oberen und Unteren Wall im Osten und den Bereich Alter Friedhof, wo viel altes Schweinfurt – zur Freude auch der Besucher der Stadt – wieder belebt wurde.

„Für ein anderes gehöriges Stück Schweinfurter Geschichte gilt das leider nicht“, bedauert Karla Wiedorfer. Sie meint die letzten Reste der Bastei gleich neben der Heilig-Geist-Kirche, die auch deshalb kaum einer beachtet, weil man dort Uralt- Schweinfurt wegen der an dieser Stelle entstandenen Nachkriegsbauten gar nicht vermutet.

Ein Foto des früheren Spitaltors, das in der Schultesstraße zwischen der heutigen Musikschule und der Heilig-Geist-Kirche stand.
Foto: Peter Hofmann | Ein Foto des früheren Spitaltors, das in der Schultesstraße zwischen der heutigen Musikschule und der Heilig-Geist-Kirche stand.

Aber der Reihe nach und zunächst die Geschichte: Das Spitaltor stand dereinst zwischen der katholischen Kirche und dem früheren Steinwegschulhaus, der heutigen Musikschule. Die Vorgängerkirche von Heilig-Geist hieß deshalb einst Spitalkirche, die Schultesstraße Steinweg. Die mächtige Spitaltoranlage mit Bastei war nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618-1648) von der schwedischen Besatzung – wie die gesamte Stadtbefestigung – erneuert und ausgebaut worden.

Bis ins späte 19.Jahrhundert hat sie hier zwischen Heilig- Geist-Kirche und dem Alten Friedhof die Stadt begrenzt. Um die neuen Industrieanlagen im Westen der Stadt zu erschließen, hatten die Schweinfurter selbst damals den Stadtgraben zugeschüttet und Spitaltor, -turm und -brücke „geschliffen“. Auch die größten Teile der Bastei fielen schrittweise dem Straßenausbau zum Opfer. Nur ein Teilstück der mächtigen alten Basteimauer und die daran anschließende Stadtmauer mit dem Schalenturm erstreckte sich noch bis in die 1960er-Jahre von der Heilig-Geist-Kirche in Richtung Rüfferstraße/Jägersbrunnen.

„Sie hätte wie viele Teile unserer alten Stadtmauer wieder in altem Glanz erstehen können und würde sich noch dort befinden.“
Karla Wiedorfer.

Karla Wiedorfer zeigt Bilder aus diesen Jahren: Darauf sieht man eine fast romantisch wirkende Ansicht der etwas ramponierten alten Stadtmauer mit Turm, Buschwerk und Bäumen. „Sie hätte wie viele Teile unserer alten Stadtmauer wieder in altem Glanz erstehen können und würde sich noch heute dort befinden, wenn der Stadtrat nicht in geheimer Sitzung anders entschieden hätte“, sagt die geschichtsfeste Gästeführerin.

Damals hatte der Stadtrat das Baugesuch der Helmut-Horten GmbH genehmigt, die „auf dem Gelände der ehemaligen Barthels Villa ein Kaufhaus bauen will“, zitiert Karla Wiedorfer aus einem Bericht des Schweinfurter Tagblatts vom 4. Oktober 1963. Ursprünglich hatte Horten laut Zeitungsbericht die „Errichtung eines fünfgeschossigen, riesigen Kaufhausklotzes“ geplant.

Das lehnte der Stadtrat, weil „städtebaulich untragbar“, jedoch ab. Einer kleineren Kaufhausversion wurde nach manchen Kämpfen aber zugestimmt, ebenso wie später dem Baugesuch der Firma C&A. Der Abbruch von Turm und Stadtmauer konnte „nicht unterbunden werden, weil diese Bauten nicht unter Denkmalschutz stehen“, schrieb das Tagblatt. Mauer und Schalenturm mussten weichen, „ein Frevel und aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar“, meint Karla Wiedorfer: „Das ist bei vielen Schweinfurtern bis heute nicht in Vergessenheit geraten.“

Rest der Basteimauer der letzte sichtbare Beweis der Spitaltoranlage

Einzig der kleine Basteimauerrest ist tatsächlich das letzte sichtbare Überbleibsel der ehemaligen Spitaltoranlage. Er fällt kaum auf, weil man in der Zufahrt zu einer nichtöffentlichen Tiefgarage unter dem Kaufhaus nun mal nichts Historisches vermutet. Horten öffnete am 29. Oktober 1964 seine Pforten. Obwohl das Kaufhaus schon lange den Namen Galeria Kaufhof trägt, ist es für die älteren Schweinfurter „der Horten“ geblieben.

Der Garten neben den Basteiresten gehört zum Pfarrhaus Heilig- Geist und nennt sich „Schanze“, wie der Schweinfurt-Kenner Peter Hofmann zu ergänzen weiß. Vom mutmaßlich 700 Jahre alten Gewölbekeller des Vorvorgängerbaus führte ein unterirdischer Gang zum Turm, der ja Horten weichen musste.

Der Turm war einst Vereinstreff der Neudeutschen Jugend, einer katholischen Jungmännervereinigung, die sich fast ausschließlich aus Gymnasiasten zusammensetzte. Nur Insidern dürfte bekannt sein, dass nach der Machtergreifung durch die Nazis oft die Hitlerjugend diesen Turm belagerte. „Wenn es brenzlig wurde, flüchtete man durch den unterirdischen Gang ins Pfarrhaus“, schildert Peter Hofmann.

Kurz vor dem Verbot der Jugendorganisationen, Ausnahme war natürlich die Hitler-Jugend, wurde der Vereinsraum verwüstet und in Brand gesteckt. Unter der Schanze waren im Zweiten Weltkrieg Luftschutzstollen eingebaut worden. 2007 wurde dann gegenüber das Domizil fürs Schweinfurter Tagblatt und die Volkshochschule gebaut. Im Untergrund fanden sich große Teile der Spitaltorbrücke. Ihr guter Zustand überraschte und sorgte dafür, dass die Brücke freigelegt wurde und heute zugänglich ist.

So geht's zu den Basteiresten:

Vom Marktplatz bis zur Heilig-Geist-Kirche gehen und zehn Meter weiter bis zur Abfahrt in die Kaufhof-Tiefgarage.

Das Buch „Schweinfurter Geheimnisse“ ist in Kooperation zwischen der Main-Post und dem Bast Medien Verlag erschienen. Das Buch (Hardcover) kostet 19,90 Euro, hat 192 Seiten und ist durchgehend bebildert. Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag: bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei). ISBN: 978-3-946581-81-9

 
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Kommentare
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  • W. S.
    Glückwunsch. So schafft man Geschichte. Danke für den Artikel und die Fotos.
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