Ein Grab auf dem Jüdischen Friedhof, der Teil des Schweinfurter Hauptfriedhofes ist. Die Namen Ludwig und Selma Silberstein stehen auf dem Grabstein. Direkt gegenüber, im nicht-jüdischen Teil des Friedhofs, ist die Jüdin Margarita Calvary, geborene Silberstein, beerdigt.
„Ich durfte diese wunderbare Frau persönlich kennenlernen, und es hat mich sehr berührt“, erzählt Monika Remelé, die Ehefrau des Oberbürgermeisters, bei einem Besuch an der Grabstätte der Silbersteins. Da habe Margarita Calvary von der glücklichen Zeit in ihrer Schweinfurter Kindheit geschwärmt. „Bis zu jenem Tag im Jahre 1933, als ihre beste Freundin sich nicht mehr traute, sie anzusprechen, und alle Klassenkameraden sie mieden.“
Am 30. April 1922 in Schweinfurt geboren, stammt Margarita Calvary, geborene Silberstein, aus einer angesehenen, kultivierten Familie. Ihr Vater war Schuhfabrikant, die Fabrik nahe dem Obertor angesiedelt. In einem selbst verfassten Lebenslauf von Margarita Calvary, der Monika Remelé vorliegt, erzähle sie, dass ihr Vater Ludwig gute Kontakte zur Städtischen Handelskammer hatte und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Schweinfurt war.
Mit der Machtübernahme der Nazis änderte sich das Leben plötzlich
Doch mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten änderte sich alles. „Margarita Calvary beschrieb, dass sie das demütigende Gefühl, das sie beschlichen hatte, nur wettmachen konnte, indem sie sich im Sport auszeichnete“, erzählt Remelé. Da das Fach Sport zu dieser Zeit einen großen Stellenwert hatte, sei ihre Leistung hier respektiert worden. Margarita Calvarys Vater wurde 1937 krank. „Calvary vermutete, dass er mit der Tatsache, dass die Nazis seine Fabrik enteignet hatten, nicht fertig wurde.“ Er sei sehr plötzlich gestorben und Margaritas Mutter habe die Tochter Gretl – wie sie von vielen genannt wurde – kurz darauf nach London geschickt, erzählt Monika Remelé weiter.
Schon 1938 holte Margarita Calvarys Bruder die ganze Familie ins Exil nach Argentinien. „Zum Glück blieb ihnen das Trauma der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 erspart“, sagt Monika Remelé. In Argentinien habe Gretl Silberstein 1942 den deutsch-jüdischen Berliner Ernesto Calvary geheiratet, mit dem sie zwei Töchter bekam. „Sie beschrieb sich in ihrem selbst verfassten Bericht als sehr wissbegierig. Zudem hatte sie das Gefühl, in puncto Bildung aufholen zu müssen, da sie in Schweinfurt die Schule aufgrund der schwierigen politischen Situation nicht abschließen konnte“, erzählt Monika Remelé. So erlernte Calvary von 1944 bis 1947 den Schwesternberuf beim Roten Kreuz. „Außerdem beschäftigte sie sich viel mit Psychologie, Philosophie und Architektur, und sie spielte Violine.“ Erst spät – im Alter von 50 Jahren – fand Margarita Calvary ihre große Berufung: die Malerei.
„Die erste Ausstellung in Madrid in der Galeria Zodiaco war wohl ein großer Erfolg, es folgten viele weitere und zudem Unterricht beim spanischen Maler José Mendez Ruiz, geboren 1936, der Calvary das Stillleben näherbrachte“, erzählt sie. Im Jahr 1984, 46 Jahre nach der Flucht ins Exil, gab es dann in Regensburg die erste Ausstellung in Deutschland.
1985 mit einer eigenen Ausstellung zurück in Schweinfurt
„Ein Jahr später, 1985, wagte sie den Gang zurück in ihre Heimatstadt Schweinfurt und stellte in der Städtischen Sparkasse ihre Gemälde aus.“ Ein guter Entschluss, der für Calvary tiefgreifende Gefühlsregungen zur Folge hatte: „Während ich durch die Straßen meiner Stadt ging, erschien mir diese wie ein fremder und ferner Ort – trotzdem, manchmal in blitzartigen Momenten – beim Einatmen eines vergessenen Geruchs, beim Klang irgendeines Tones oder beim Wahrnehmen eines Eindruckes – stellte sich ein plötzliches eigenartiges Gefühl tiefer Zuneigung ein“, schrieb Margarita Calvary in ihrem Lebensbericht.
Wie tief diese Zuneigung dann doch gewesen sein muss, zeigte sich auch darin, dass sie 2003 zurück nach Schweinfurt zog, wobei sie stets Unterstützung fand im ehemaligen Oberbürgermeister und späteren Ehrenbürger Kurt Petzold und seiner Ehefrau Gisela. Calvary fand neue Freunde, betrieb ein eigenes Atelier in der Friedensstraße, wo sie auch Schüler in der Malerei unterrichtete. „Als ich sie kennenlernte, war ich beeindruckt, wie bescheiden und doch willensstark diese körperlich zierliche Frau auftrat, die so viel erlebt hatte“, erinnert sich Monika Remelé.
Künstlerisches Werk wurde in der Kunsthalle gezeigt
Wie es in einem Bericht der Main-Post heißt, übergab Calvary ihr künstlerisches Werk an ihre Heimatstadt, 70 Werke wurden in der Kunsthalle gezeigt. „Genau dort, im früheren Ernst-Sachs-Bad, das sie noch als Gretl Silberstein nicht mehr hatte betreten dürfen, als die Nazis jüdischen Kindern die Teilnahme am Sport verboten“, schreibt der Journalist. Auch bei der feierlichen Übergabe der Stelen am jüdischen Gedenkort in der Siebenbrückleinsgasse im Jahr 2013 – genau 75 Jahre nach dem Pogrom und der Emigration – war Margarita Calvary dabei, erinnert sich Monika Remelé.
2016 starb Margarita Calvary mit 94 Jahren. Die Stadt Schweinfurt sowie die Kunstszene erwiesen ihr mit einer Laudatio die letzte Ehre und verabschiedeten sich „von der Weltbürgerin“, wie es in einem Bericht der Main-Post heißt. Zu ihrem Gedenken wurde auch eine Straße im neuen Schweinfurter Stadtteil Bellevue nach ihr benannt: Margarita-Calvary-Straße, Grafikerin, Malerin, Autodidaktin (1922-2016). Monika Remelé ist dankbar.
Dankbar und berührt, „dass auch meine vier Kinder diese wunderbare Frau kennenlernen durften und sie so im persönlichen Gespräch ein Bild von Calvary bekamen. Von einer Jüdin, die ein schweres Schicksal erlebt hat und doch im Nachhinein ihren Frieden damit gemacht hat – ohne Groll zu hegen“. Eine Geschichte der Versöhnung mit der Stadt Schweinfurt. Monika Remelé findet: „So schließt sich der Kreis.“
So geht’s zur Gedenkstätte
Das Grab von Margarita Calvary befindet sich im nicht-jüdischen Friedhofsteil des Schweinfurter Hauptfriedhofs gegenüber des Grabes ihres Vaters Ludwig Silberstein im jüdischen Teil, Abteilung 10 an der Ecke Friedhofstraße/Auenstraße.
Das Buch „Schweinfurter Geheimnisse“ ist in Kooperation zwischen der Main-Post und dem Bast Medien Verlag erschienen. Das Buch (Hardcover) kostet 19,90 Euro, hat 192 Seiten und ist durchgehend bebildert. Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag: bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei). ISBN: 978-3-946581-81-9
Hinweis
In einer früheren Version des Textes hieß es, die Jüdin Calvarysei im Grab ihres Vaters Ludwig Silberstein beerdigt, wie die "Geheimnis-Patin" der Geschichte, Monika Remelé, erzählt hatte. Das war falsch. Calvary habe zwar den Wunsch geäußert, im Grab des Vaters beerdigt zu werden, ihn aber dann wieder verworfen, erklärt die Kennerin der jüdischen Geschichte in Schweinfurt, Elisabeth Böhrer. "Im Judentum sind Gemeinschaftsgräber unüblich, jeder Tote erhält sein Grab mit eigenem Grabstein." Laut Böhrer ist Margarita Calvary im nicht-jüdischen Teil des Friedhofs begraben, – angrenzend an den jüdischen Teil des Friedhofs – genau gegenüber des Grabes ihres Vaters Ludwig. "Es war ihr sehr wichtig, in seiner Nähe die letzte Ruhe zu finden", weiß Böhrer.
Und wieso stiefmütterlich?
Wäre gut, wenn man wüsste, wie sich Reichspogromnacht überhaupt schreibt...
Komisch, die Familie Remelé sieht man nie an den Gedenkfeiern wie Reichsprogromnacht am 10.11 etc. da schicken Sie immer die SPD hin.
Sie hat ein eigenes Grab. Und nicht im jüdischen Friedhofsteil.