Was wünscht sie sich zum 75. Geburtstag? Die Frage habe sie erwartet, sagt Gudrun Grieser. Und darüber nachgedacht. "Dass wir weiterhin gesund bleiben", wünscht sie sich für ihre Familie. "Ich bin mit meinem Leben, meiner Situation zufrieden. Alles, was ist und kommt, nehme ich, wie es ist."
Zum Zeitpunkt des Gesprächs ist noch kein Krieg in der Ukraine. Der kommt kurze Zeit später. Der zweite Wunsch, dass die Zeiten ruhig bleiben mögen, wird also nicht erfüllt werden. Gudrun Grieser, Jahrgang 1947, erinnert sich an die Kuba-Krise, den Kalten Krieg. Und an die Furcht vor Krieg: "Meine Generation kennt das."
Vor 30 Jahren zur Oberbürgermeisterin gewählt
Von 1992 bis 2010 war Gudrun Grieser Oberbürgermeisterin von Schweinfurt. Vor 30 Jahren wurde sie also von der Gymnasiallehrerin zur Politikerin. Ihr Amtsantritt fiel nicht in leichte Zeiten, erinnert sie sich. "Nur die Älteren wissen wahrscheinlich noch, was das für eine Krise war." Die Industrie lag am Boden, Arbeitsplätze waren gefährdet, viele Existenzen bedroht. "Die Menschen hier waren unmittelbar betroffen."
"Schweinfurt stand am Abgrund", kommentierte ein Zeitungsartikel diese Zeit. Dass es dann trotzdem möglich war, die Stadt weiterzuentwickeln, zu gestalten, macht Gudrun Grieser stolz. In der Tat hat sie in 18 Jahren Schweinfurt nachhaltig geprägt. Vom Industrie- und Gewerbepark zum Silvana-Bad, vom Konferenz-Hotel Maininsel zum südlichen Stadteingang mit Museum-Georg-Schäfer und Stadtbücherei im Ebracher Hof, vom Jägersbrunnen zur Kunsthalle, zum Schillerplatz und zur neuen Schrammstraße. Dazu die Erweiterungen des Leopoldina und der Gesundheitspark. Und in der Altstadt die Fortsetzung der Stadtsanierung.
"Ich bin dankbar, dass ich diese Chance hatte, mitten in meinem beruflichen Leben mit 45 etwas total anderes zu machen, etwas, was ich von der Pike auf neu lernen musste. Ich kam ja aus einer völlig anderen beruflichen Welt und musste mir im Schnelldurchlauf aneignen, was ich jetzt brauchte", hatte sie im Interview zu ihrem 70. Geburtstag erzählt. "Ich bin ein positiver Mensch", sagt sie von sich. Das und die Macherinnen-Qualität, die ihr selbst ihre Gegnerinnen und Gegner attestieren, haben ihr bei ihrer Karriere sicherlich geholfen.
Seit 2011 ist sie Mitglied im Nationalen Normenkontrollrat
Die Freude am Lernen, die Freude am Machen ist nicht weniger geworden, im Gegenteil. Gudrun Grieser gehört seit 2011 dem Nationalen Normenkontrollrat in Berlin an. Das unabhängige Beratungsgremium der Bundesregierung arbeitet geschäftsführend weiter, bis die neue Bundesregierung einen neuen Normenkontrollrat beruft. Sie würde gerne weitermachen, sagt Grieser. Im Normenkontrollrat ist sie Berichterstatterin für die Bundesministerien für Verkehr und digitale Infrastruktur und für Bildung und Forschung. Inzwischen hat sie dort zwei Amtszeiten absolviert, ob es eine dritte für sie geben wird, davon wird sie sich überraschen lassen.
"Ich empfinde es als großes Privileg, mit 75 noch richtig aktiv arbeiten zu können." Sich permanent in neue Sachverhalte einzuarbeiten, findet sie spannend. "Das ist was Gutes. Das wäre ein Grund, dabei zu bleiben." Nichts machen, vor allem, keine Verantwortung zu tragen, das wäre nichts für die ehemalige Oberbürgermeisterin. Das muss sie nicht extra betonen. Wer sie kennt, weiß das. Beschlussvorlagen des Normenkontrollrats müssen bis zu einem bestimmen Zeitpunkt bearbeitet sein: Dieses "gewisse Korsett", wie sie es nennt, schätzt sie sehr. "Nur Kür, keine Pflicht, das habe ich nie erlebt."
Arbeiten im Homeoffice hat sie schätzen gelernt
Was sie noch zu schätzen gelernt hat: Homeoffice, Videokonferenzen. Das sei nicht ineffizienter als sich gegenüber zu sitzen. Und spare viel Zeit und Ressourcen, die sonst für Fahrten draufgingen. Vor Corona musste Gudrun Grieser alle zwei Wochen nach Berlin. Jetzt wurde viel online getagt und beraten. Es hat ihr gefallen, sich mit der Technik und dieser anderen Art der Kommunikation auseinander zu setzen. Weitere Erkenntnis aus Corona: In Sachen Digitalisierung sei noch Luft nach oben.
Lesen war schon immer ihre Leidenschaft. "Aber soviel wie seit Corona, habe ich noch nie gelesen." Auch hier verbindet sie Kür und Pflicht und liest gerne Bücher in der englischen Originalversion. Hält geistig fit, sagt sie.