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SCHWEINFURT
Gudrun Grieser wird 70: Freude an der Verantwortung
Gudrun Grieser feiert am 5. März 70. Geburtstag.
Foto: Anand Anders | Gudrun Grieser feiert am 5. März 70. Geburtstag.
Susanne Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:09 Uhr

Gudrun Grieser war von 1992 bis 2010 Oberbürgermeisterin von Schweinfurt. Am Sonntag, 5. März, wird sie 70. Anlass für ein Gespräch über Dankbarkeit, den Beruf OB und das Leben in der Öffentlichkeit.

Frage: Sie werden 70. Welches Gefühl löst das aus – leichte Panik oder Dankbarkeit?

Gudrun Grieser: Panik bestimmt nicht, auch wenn es ein komisches Gefühl ist, eine 7 vornedran zu haben. Aber ich bin dankbar: Es ist nicht selbstverständlich, dass man 70 werden darf.

Altwerden: Ist das ein Thema, mit dem Sie sich auseinandersetzen?

Grieser: Das Thema beschäftigt mich tatsächlich in der Literatur, in Gesprächen. Ich lese jetzt wieder mehr als in meiner Amtszeit als Oberbürgermeisterin, als mir die Zeit gefehlt hat. Da waren es eher Krimis zur Entspannung als Literatur. Aber es gab nie eine Phase, in der ich kein Buch parat hatte, ich bin eine Leseratte.

Gibt es ein Buch, das eine besondere Bedeutung für Sie hat?

Grieser: Nein, nicht ein einzelnes Buch. Ich lese breit, meistens Gegenwartsliteratur, aber manchmal ein Buch auch zum zweiten oder dritten Mal. Kürzlich habe ich zum Beispiel Josef und seine Brüder von Thomas Mann zum dritten Mal gelesen und die Ironie und den Humor des Erzählers so richtig genossen. Man lernt eben dazu.

Wenn Sie zurückblicken auf Ihr Leben – würden Sie an irgendeiner Stelle etwas anders machen?

Grieser: Von meinen Schülern am Olympia-Morata-Gymnasium habe ich viel positive Rückmeldungen für meine Arbeit bekommen. Trotzdem würde ich heute handfestere Fächer studieren als Anglistik und Geschichte. Die Geisteswissenschaften sind weniger konkret als das, was mir, glaube ich, mehr liegt. Ich denke, ich wäre auch eine ganz gute Managerin geworden.

War es schwer damals für Sie, nach Ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin plötzlich ein öffentliches Leben zu führen?

Grieser: Es war ein Bruch. Es war ja die CSU, die wollte, dass ich kandidiere. Ich habe mich lange gesträubt, nicht kokettiert, ich wollte es erst wirklich nicht. Aber ich habe es dann mit vollem Einsatz gemacht. Dass ich plötzlich eine öffentliche Person war, daran musste ich mich allerdings erst mal gewöhnen. Im übrigen auch meine Familie!

Von der Lehrerin zur Oberbürgermeisterin zu werden, war sicher nicht einfach.

Grieser: Heute muss ich sagen, es war ein Glück für mich. Ich bin dankbar, dass ich diese Chance hatte, mitten in meinem beruflichen Leben mit 45 etwas total anderes zu machen, etwas, was ich von der Pike auf neu lernen musste. Ich kam ja aus einer völlig anderen beruflichen Welt und musste im Schnelldurchlauf lernen, was ich jetzt brauchte.

Politik war ja auch zusätzlich ein ganz anderes Geschäft…

Grieser: Schweinfurt war damals politisch sehr polarisiert, mehr als heute. Dazu herrschte noch eine Wirtschaftskrise, in die mitten hinein ich gewählt wurde. Also ein Umbruch in mehrfachem Sinn in der Stadt, aber auch in meinem Leben, auf den ich heute mit uneingeschränkter Dankbarkeit zurückschaue. Mir hat das Chancen gegeben, die nicht jeder Mensch bekommt, und ich hoffe, ich habe sie richtig genutzt. Es war alles andere als leicht, natürlich musste ich auch Lehrgeld bezahlen – und nicht wenig. Aber im Rückblick war es für mich großartig, ein solches Amt ausüben zu können: Oberbürgermeisterin einer kreisfreien Stadt zu sein, in der man unwahrscheinlich viel gestalten kann.

Hört sich nach Traumjob an.

Grieser: Traumjob ist mir zu salopp. Oberbürgermeister ist ein durch und durch erfüllender und befriedigender „Beruf“.

Aber sicher auch anstrengend. . .

Grieser: Die Arbeit, die mit diesem Amt verbunden ist, war mir nie zu viel. Von früh um acht bis abends oft spät im Rathaus zu sein, hat mir wenig ausgemacht. Besprechungen, Aktenstudium, Entscheidungen treffen – was halt alles so kommt, und eines nach dem anderen abarbeiten, das hat mir nicht wirklich Mühe gemacht. Anstrengender waren da schon die vielen Feierlichkeiten, die mit diesem Amt verbunden sind, Ehrenabende, Empfänge, Verabschiedungen. Klar, es ist wichtig, mit Leuten in Kontakt zu kommen. Aber im Rathaus hat die Arbeit gewartet.

Wenn Sie zurück schauen: Worauf sind Sie stolz?

Grieser: Was mich sehr freut, ist dass auch nach fast sieben Jahren die Schweinfurter noch immer freundlich und unbefangen auf mich zugehen. Ich spüre eine positive Resonanz, das ist das Schönste, was man erleben kann. Viele Leute sagen mir: Sie haben doch aus Schweinfurt was gemacht. Das freut mich.

Und auf welche Projekte sind sie stolz?

Grieser: Wenn ich zurückschaue, wie die Stadt 1992 ausgesehen hat und dann 2010 – da hat sich viel verändert. Vom Industrie- und Gewerbepark im Süden zum Silvana-Bad im Norden, vorbei am Konferenz-Hotel Maininsel zum südlichen Stadteingang mit Museum-Georg-Schäfer und Stadtbücherei im Ebracher Hof, im Westen über den Jägersbrunnen zur Kunsthalle, zum Schillerplatz und zur neuen Schrammstraße. Wichtig im Osten die Erweiterungen des Leopoldina und der Gesundheitspark. Und in der Altstadt Fortsetzung der Stadtsanierung mit Hochdruck. Schweinfurt ist schöner, moderner und attraktiver geworden, das wird von den meisten Bürgern so gesehen.

Bauten waren aber nicht das einzige auf Ihrer Agenda.

Grieser: Genauso wichtig wie das Stadtbild sind die Strukturen. Zu Beginn meiner Amtszeit waren das Leopoldina-Krankenhaus und die Stadtwerke noch Eigenbetriebe mit wenig Selbstständigkeit. Es gab zwei Sparkassen in Schweinfurt. Ohne Reformen hätten diese Einrichtungen die politischen Veränderungen der jüngsten Vergangenheit kaum überlebt. Wir machten die Eigenbetriebe zu Städtischen Tochtergesellschaften, die beiden Sparkassen wurden fusioniert. Worauf ich übrigens wirklich stolz bin: Ich habe am Ende meiner Amtszeit einen schuldenfreien Haushalt übergeben.

Das war nicht mein Verdienst, das will ich klar sagen. Wir hatten nach sehr schlechten Steuerjahren sehr gute Steuerjahre, und haben unterstützt von Stadtrat und Verwaltung Schulden getilgt mit einer Konsequenz, die sich ausgezahlt hat. Ich habe in meinen 18 Jahren auch kein Stück städtisches „Tafelsilber“ verkauft.

Ist Ihnen nach 18 Jahren der Abschied aus dem Amt schwergefallen? Oder sind sie froh, jetzt als Oma mehr Zeit für Ihre Enkel zu haben?

Grieser: Auch das ist etwas, wofür ich dankbar bin. Für mich war immer klar, 2010 läuft meine dritte Amtszeit ab, gleichzeitig ging mein Mann in den Ruhestand. Ich hätte noch einmal kandidieren können, aus Altersgründen allerdings nur für vier Jahre. Dass ich gerade an dieser Schnittstelle auch noch mein erstes Enkelkind bekommen habe, hat den Entschluss, nicht mehr anzutreten, noch verfestigt. Das war ein schönes Geschenk. Ich würde es heute bedauern, wenn ich für mein erstes Enkelkind keine Zeit gehabt hätte, denn das kann man nicht mehr nachholen.

War es schwer, plötzlich einen leeren Terminkalender zu haben – von den Oma-Pflichten abgesehen?

Grieser: Eine gewisse Unruhe war schon da. Ich war immer gewöhnt, abends den Plan für den nächsten Tag durchzugehen. Hast du alle Unterlagen? Bist du auf jeden Termin vorbereitet? Worauf gehst du bei deiner Rede ein? Das war plötzlich nicht mehr. An dieser Stelle musste ich mich umgewöhnen. Ein Loch, in das ich gefallen wäre, gab es nicht bei mir. Das passt auch nicht zu mir. Ich habe immer was zu tun. Aber vielleicht hätte sich nach ein oder zwei Jahren ein solches Loch aufgetan. Aber dann bekam ich wieder eine neue Aufgabe und Chance: die Berufung in den Nationalen Normenkontrollrat. Noch mal etwas ganz anderes, das ich neu lernen musste. Und recht zeitintensiv. Manchmal denke ich, ich habe heute weniger Zeit als früher.

Wir haben jetzt mehrmals über Chancen gesprochen. Sie hatten aber auch Fortune, eine Portion Glück.

Grieser: Ja, das stimmt. Vieles fügte sich auf günstige Weise. Ich musste hart arbeiten und oft auch kämpfen. Aber ich war ja nicht allein, ich hatte gute Leute, die mir zugearbeitet haben – im Rathaus, in den Tochtergesellschaften, in Schweinfurt insgesamt, in der CSU, auf allen Ebenen. Und die Unterstützung der Staatsregierung. Nach einigen schlimmen Jahren flossen die Gewerbesteuern wieder. Das habe nicht ich bewirkt, aber ich bin verantwortungsvoll mit dem Segen umgegangen. Verantwortung zu tragen und zu gestalten hat mir immer Freude gemacht. Eigentlich hat mir das nach meiner Amtszeit am meisten gefehlt: nicht mehr die Verantwortung zu tragen. Rückblickend muss ich sagen: Ich habe wirklich viel Glück gehabt in meinem Leben. Mein Verdienst war es, dass ich 1992 den Mut aufbrachte, trotz widriger Umstände für das OB-Amt zu kandidieren. Diese Chance habe ich genutzt und danach hoffentlich das Bestmögliche daraus gemacht.

Zur Person
Gudrun Grieser wurde 1947 in Würzburg geboren. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. Von 1975 bis 1992 unterrichtete sie am Olympia-Morata-Gymnasium Englisch und Geschichte. 1992 wurde sie zum ersten Mal zur Oberbürgeremsiterin (CSU) gewählt. 2009 entschied sie sich, 2010 nicht mehr für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Seit 2011 ist sie Ehrenbürgerin der Stadt. Grieser wurde 2011 in den Nationalen Normenkontrollrat berufen, dem sie in einer zweiten Periode angehört. Sie ist Vorsitzende des Hochschulrates der Fachhochschule.

 
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