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Gerolzhofen
"Schoués Brigitte": Abschied von einem Gerolzhöfer Original
Sie entstammte dem Caféhaus Schoué in der Marktstraße und betrieb dann für Jahrzehnte einen Kiosk in der Stadt: Nun ist Brigitte Lindner einer schweren Krankheit erlegen.
Bei den bunten Abenden im 'Theaterhaus', ihrem ehemaligen Elternhaus, ist Brigitte Lindner (rechts) vor gut zwei Jahren, begleitet von Ingrid Unger, noch einmal als 'Schönheitskönigin von Schneizlreuth' aufgetreten.
Foto: Archivbild Anne Bauerfeld | Bei den bunten Abenden im "Theaterhaus", ihrem ehemaligen Elternhaus, ist Brigitte Lindner (rechts) vor gut zwei Jahren, begleitet von Ingrid Unger, noch einmal als "Schönheitskönigin von Schneizlreuth" aufgetreten.
Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 09.02.2024 02:13 Uhr

Im Alter von 79 Jahren ist nach einem schweren Krebsleiden die Gerolzhöferin Brigitte Lindner (geborene Schoué) gestorben. Sie gehörte zu den wenigen einheimischen Originalen, die es in der heutigen Zeit noch in der Stadt gibt.

Geboren im Dezember 1942, wuchs Brigitte Lindner mit ihren beiden Brüdern in der Backstube und im elterlichen Café Schoué in der Marktstraße auf. Schon als Kind war sie als helfende Hand eingebunden ins Geschäft und bekam früh viel aus der Gerolzhöfer Gesellschaft mit, als in guten Zeiten sich im Café alle Schichten trafen, dort viel gefeiert und gelacht wurde. Die Gehirntumor-Operation ihres damals 16-jährigen, später früh verstorbenen Bruders Harald hat sie in Hoffen und Bangen intensiv erlebt. Dies schweißte die Familie zusammen.

Der Sohn als ihr ganzer Stolz

Im Jahr 1964 heiratete sie. Ihr Sohn Thomas wurde 1966 geboren, der ihrem Leben auch nach der Scheidung im Jahr 1971 einen Lebenssinn gab. Mit ihm war sie zeitlebens eng verbunden und er war ihr großer Stolz, auch wenn er mit seiner Familie weit weg von ihr wohnte. In der Nähe von Sohn Thomas zu sein, das war ihr Herzenswunsch, auch, als sie im März dieses Jahres von den Ärzten erfuhr, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte. In den letzten Monaten konnte sie jeden Abend und das Wochenende mit ihrem Sohn und dessen Frau in einem Hospiz in Oberursel verbringen.

So kannte man Brigitte Lindner: als Inhaberin des Kiosks bei der Post in Gerolzhofen. Das gelbe Schild an der Eingangstür war auch eine Art Lebensmotto.
Foto: Archivbild Nobert Vollmann | So kannte man Brigitte Lindner: als Inhaberin des Kiosks bei der Post in Gerolzhofen. Das gelbe Schild an der Eingangstür war auch eine Art Lebensmotto.

30 Jahre lang waren die "Schoués Brigitte", wie sie von vielen gerufen wurde, und ihr Kiosk eine Institution. Was viele aber nicht wissen: Sie führte 15 Jahre lang, bis 2003, zwei Kioske parallel: einen in Gerolzhofen und den Kiosk in der orthopädischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses in Werneck. Von 8 bis 13 Uhr hatte Brigitte Lindner von Montag bis Samstag den Kiosk in ihrer Heimatstadt offen, um dann anschließend nach Werneck zu fahren. Dort stand sie nochmals von 14 bis 18 Uhr hinter der Theke, zusätzlich auch sonntags von 13 bis 18 Uhr. 15 Jahre lang keinen Urlaub, kein freies Wochenende, kein freier Feiertag. Brigitte Lindner verdiente damit keine Reichtümer, wie sie einmal erzählte. Aber sie konnte "einigermaßen davon leben" und schaffte es so vor allem, nie arbeitslos zu sein.

Nachfolgerin von Steffgen 

Angefangen hatte ihre Kiosk-Karriere durch ein tragisches Ereignis im Jahr 1977. Bis dahin betrieb das Ehepaar Steffgen einen kleinen hölzernen Kiosk an der Ecke Marktstraße/Bahnhofstraße. Zum Geschäftsbereich gehörte auch das Auffüllen von Zigarettenautomaten in der Stadt mit dem Fahrrad. Just bei dieser Tätigkeit fiel Käthe Steffgen tot um, und die Erben suchten einen Käufer für die Holzbude. Brigitte Lindner übernahm das kleine Geschäft, um für sich und ihr kleines Kind damit den Lebensunterhalt zu verdienen.

Die Geschäfte liefen vor allem gut, als noch auf der anderen Straßenseite der RG-Markt existierte. Viele Kunden deckten sich dort zwar mit Lebensmitteln ein, gingen dann aber "zur Brigitte", um noch Tabakwaren oder Zeitschriften mitzunehmen. Doch dann kam die Hiobsbotschaft. Im Zuge des Neubaus der Florians-Apotheke an dieser Stelle und der gleichzeitigen Sanierung der angrenzenden Häuser mit Schaffung einer rückwärtigen Zufahrt musste der hölzerne Kiosk im Jahr 1984 weichen. Für ihn war hier aufgrund der beengten Verhältnisse einfach kein Platz mehr.

Neuer Standort an der Post

So wenig wie Brigitte Lindner dem bisherigen Leben auf sechs Quadratmetern nachweinte, so sehr bangte sie um ihre geschäftliche Zukunft. Doch dann die Lösung: Die Stadt errichtete am Postplatz einen neuen, nun mit zwölf Quadratmetern doppelt so großen Kiosk, zudem auch eine Busunterstellhalle sowie eine öffentliche WC-Anlage. Bis zum Juli 2007 betrieb die Verstorbene hier dann den Kiosk, ehe sie sich in die Rente verabschiedete, um nebenbei als Vertreterin einer Kosmetikfirma noch etwas Geld dazuzuverdienen.

Im Jahr 1984 musste der alte Kiosk an der Ecke Marktstraße/Bahnhofstraße weichen, als ein Anbau für die Floriansapotheke (im Hintergrund) errichtet wurde.
Foto: Archivbild Norbert Vollmann | Im Jahr 1984 musste der alte Kiosk an der Ecke Marktstraße/Bahnhofstraße weichen, als ein Anbau für die Floriansapotheke (im Hintergrund) errichtet wurde.

Mit dem Umzug an die Post wandelte sich auch das Publikum und somit die Geschäftsgrundlage. Aus dem Kiosk wurde ein kleiner gastronomischer Betrieb, die kleine, gemütliche Kneipe ums Eck. Und hier wurde, wie ein Schild an der Eingangstür es deutlich machte, "noch gegrüßt und gelacht". Aber es musste auch immer wieder Abschied genommen und getrauert werden, wenn wieder einmal einer der treuen Stammkunden plötzlich nicht mehr da saß, wo er zuvor immer gesessen hatte. 

"Mutter Teresa von Gerolzhofen"

"Ich glaube, man kann es nicht genug wertschätzen, was ihr Kiosk für das soziale Leben in Gerolzhofen bedeutet hat", betonte deshalb auch Pfarrer Stefan Mai während der Beisetzungsfeier für die Verstorbene. Brigittes Kiosk sei Anlaufpunkt für viele einsame Menschen gewesen, eine Kontaktstelle für Menschen der unterschiedlichsten Schichten. "Brigitte war mehr als nur Kioskbetreiberin", sie sei quasi die Leiterin einer Sozialstation gewesen und habe für manchen Problemfall einen Psychologen ersetzt. "Mit ihrer Schlagfertigkeit, manchmal Barschheit, und ihrem Sinn für Humor, den sie immer trotz einer verletzlichen Seele zeigte, prägte sie dort eine bunte und fröhliche Atmosphäre und hatte manchen Spezialisten immer im Griff", würdigte der Pfarrer ihren Einsatz. Und wenn Dietmar "Diko" Kordowich sie einmal als die "Mutter Teresa von Gerolzhofen" bezeichnet habe, so sage dies mehr aus als jede bedeutungsschwere Rede.

Auftritt im ehemaligen Elternhaus

Vor zwei Jahren habe er Brigitte Lindner beim Theaterspielen im damaligen Theaterhaus in der Marktstraße, dem ehemaligen Café Schoue, kennengelernt, erinnerte sich Stefan Mai. Sie sei damals überglücklich und total aufgeregt gewesen, bei den bunten Abenden unter dem Motto "Im Caféhaus", begleitet von Ingrid Unger am Schifferklavier, in ihrem ehemaligen Elternhaus noch einmal auftreten zu dürfen. Unter dem Jubel des Publikums erschien sie singend in der Rolle der Salvermoser Zenz als legendäre "Schönheitskönigin von Schneitzlreuth" auf der Bühne. Hinter den Kulissen habe man mit dem Ensemble viel gelacht und Brigitte Lindner habe mit ihrer typischen spontanen Schlagfertigkeit wegen ihres Lampenfiebers gesagt: "Pfarrer, kannst mer net jetzt scho die letzte Ölung geb'?"

"Der Herrgott weiß immer warum"

Auf Brigitte Lindners Wunsch wurden während der Beisetzung auch Lieder eingespielt. So erklangen "O mein Papa" und – natürlich – Peter Alexanders "Die kleine Kneipe". Und außerdem das Lied von Hans Moser: "Wenn der Herrgott net will, nutzt es gar nix, schrei net um, bleib schön stumm, sag, es war nix."

Diese Haltung sei stets auch die Lebenshaltung der "Schoués Brigitte" gewesen, in der sie ohne Jammern und Wehleidigkeit die Gewissheit, bald sterben zu müssen, ertragen habe, sagte Pfarrer Mai. "Viele Menschen, die mit ihr Kontakt hatten, liegen bereits hier auf dem Friedhof. So wie ich Brigitte kannte, gäbe es für sie kein schöneres Auferstehungserlebnis, als mit ihren Eltern und den vielen Kiosk-Stammkunden da drüben ein fröhliches Wiedersehensfest zu feiern."

Mit Infos von (novo).

 
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