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Den Kiosk gelebt und geliebt
Von unserem Redaktionsmitglied Norbert Vollmann
 |  aktualisiert: 16.08.2007 03:08 Uhr

Es wird noch einige Zeit dauern, bis Brigitte Lindner ihr Kiosk völlig losgelassen hat. Obwohl jetzt im Ruhestand, steht sie immer noch um 6 Uhr auf und ertappt sich zuweilen dabei, dass sie ins Auto steigt, um die Blumen im inzwischen von der Stadt bereits neu verpachteten Kiosk gießen zu wollen. 30 Jahre lang waren die „Schoués Brigitte“, wie sie viele noch heute unter ihrem Mädchennamen rufen, und ihr Kiosk eine Institution. Beide gehörten zu Gerolzhofen und dem Stadtbild wie Kirche und Rathaus, wie Heiliger Florian und Gabelmann.

Und es wird auch noch eine Weile dauern, bis Brigitte Lindner von ihrem Kiosk und ihren Kunden und Gästen losgelassen hat. Das ist kein Wunder. Tag für Tag stand sie früh ab 6 Uhr stramm und war selten vor 20 Uhr, oft erst später, wieder daheim. Denn, was nicht alle wussten, Brigitte Lindner führte 15 Jahre lang, bis 2003, zwei Kioske parallel, den in Gerolzhofen an der Post und den in der orthopädischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses in Werneck. Zwei Kioske mit einer völlig anderen Struktur und einem völlig anderen Publikum.

Von 8 bis 13 Uhr öffnete Brigitte Lindner von Montag bis Samstag den Kiosk in der Grabenstraße, um dann „das Zeug einzupacken und nach Werneck zu rasen“. Ab 14 Uhr bis 18 Uhr stand sie schließlich dort täglich hinter der Theke, zusätzlich samstags und sonntags von 13 bis 18 Uhr. Immer gilt es während dieser 15 Jahre zwei Läden gleichzeitig zu bestücken.

Urlaub gab es derweil keinen, keine freien Sams-, Sonn- und Feiertage. Zu blieb die Tür nur bei Krankheit. Brigitte Lindner verdiente damit keine Reichtümer, konnte aber „einigermaßen davon leben“ und schaffte es so vor allem, nie arbeitslos zu sein.

Angefangen hatte alles durch einen tragischen Zufall im Jahr 1977. Bis dahin betrieb das Ehepaar Steffgen einen kleinen Kiosk an der Ecke Marktstraße/Bahnhofstraße, wozu auch das Auffüllen von Zigarettenautomaten in der Stadt mit dem Fahrrad gehörte. Just bei dieser Tätigkeit fiel Käthe Steffgen seinerzeit tot um, und die Erben suchten einen Käufer für die Holzbude.

„Jetzt probier ich's“, sagte sich Brigitte Lindner, um so zu versuchen, für sich und ihr kleines Kind den Lebensunterhalt zu verdienen.

„Mein Plus war, dass ich die Schoués Brigitte war und mich viele vom elterlichen Café in der Marktstraße kannten“, erklärt sie und erinnert sich noch heute gerne an die vielen Kunden aus der ganzen Stadt, aber auch aus den umliegenden Ortschaften.

„Mein Plus war, dass mich viele vom elterlichen Café kannten“

Brigitte Lindner über die Anfänge ihrer Kiosk-Aktivitäten

Die Geschäfte liefen vor allem gut, als noch über der Straße der RG- und spätere Eurospar-Markt existierte. Viele Kunden deckten sich dort zwar mit Lebensmitteln ein, gingen dann aber „zur Brigitte“, um vor allem noch Tabakwaren oder Zeitschriften mitzunehmen.

Der Kiosk lief gut. Daran konnte auch der Umstand nichts ändern, dass eines Tages Einbrecher die Tür aufbrachen und „alles bis auf die Wella-Suppen und die Zigarren“ ausräumten.

Doch dann die Hiobsbotschaft. Im Zuge des Neubaus der Florians-Apotheke an dieser Stelle und der gleichzeitigen Sanierung der angrenzenden Häuser mit Schaffung der rückwärtigen Zufahrt musste der Kiosk 1984 weichen. Für ihn war hier aufgrund der beengten Verhältnisse einfach kein Platz mehr.

„Wohin mit Brigitte und ihrem Kiosk? – das war nicht nur eine Frage, welche die Stadtverwaltung, sondern die gesamte Bevölkerung bewegte. So wenig wie Brigitte Lindner dem bisherigen Leben auf sechs Quadratmetern nachweinte, so sehr bangte sie doch um ihre geschäftliche Zukunft.

Nachdem die Pläne wieder verworfen wurden, die in die Jahre gekommene, nicht gerade attraktive Holzbude auf dem Marktplatz neu aufzustellen, reifte bei Bürgermeister, Förderkreis-Vorsitzendem Dietmar Kordowich und der Inhaberin selbst der Gedanke, an die Post umzuziehen, dorthin also, wo Publikumsverkehr herrscht und wo es Parkplätze gibt.

Möglich wurde dies, indem die Stadt hier in der Grabenstraße nicht nur einen neuen, nun mit zwölf Quadratmetern doppelt so großen Kiosk, sondern auch eine Busunterstellhalle sowie öffentliche WC-Anlage integrierte. Das kam allen Seiten entgegen, Brigitte Lindner musste sich aber per Pachtvertrag der Stadt gegenüber verpflichten, auch die unentgeltliche Reinigung von Unterstellhalle und Toiletten zu übernehmen.

Mit dem Umzug an die Post wandelten sich aber trotz der vielen treuen Stammgäste langsam, aber sicher, auch das Publikum und somit die Geschäftsgrundlage. Brigitte Lindner: „Aus geschäftlicher Sicht war die Marktstraße einfach der beste Standort“. Zunehmend kamen in der Grabenstraße die Menschen jetzt auch „auf eine Tasse Kaffee oder ein Bier vorbei“, ging der Betrieb mehr in die Gastronomie über.

Brigitte Lindner verkaufte natürlich weiterhin alles „quer durch den Gemüsegarten“. „Habe ich etwas nicht gehabt, habe ich es besorgt“, sagt Brigitte Lindner. Das Sortiment reichte von Zeitungen und Zeitschriften, über Suppen, Eis und Kaugummi bis hin zu Tabak, Zigaretten und Zigarren.

Doch aus dem bisherigen kleinen Laden wurde jetzt mehr und mehr auch die „kleine, gemütliche Kneipe“ ums Eck. Eine Anlaufstelle und Informationsquelle, wo in Person der Inhaberin zugleich das „Sorgentelefon“ stand.

Bei der „Brigitte“ verkehrte alles, was in der Stadt Rang und Namen hatte. Immer galt, was die Gäste ihrer Brigitte im August 2002 zum 25-jährigen Kiosk-Jubiläum ins Album schrieben: „Willst Du das Paradies auf Erden, musst Du Stammgast bei Brigittes Kiosk werden“.

Hier wurde noch, wie das Schild an der Eingangstür deutlich machte, „noch gegrüßt und gelacht“. Und gelacht wurde hier in der Tat viel (siehe nebenstehenden Bericht). Aber es musste auch immer wieder Abschied genommen und getrauert werden, wenn wieder einmal einer der treuen Stammkunden plötzlich nicht mehr da saß, wo er zuvor immer gesessen hatte. Und so musste jetzt auch Brigitte Lindner Abschied von ihren treuen Kunden und diese wiederum Abschied von „ihrer Brigitte“ nehmen.

 
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