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Schweinfurt
Scheine, Anträge, Nachweise: 4 Handwerksbetriebe über den täglichen bürokratischen Wahnsinn in ihrem Büro
Unternehmen und Handwerksbetriebe klagen über maßlose Bürokratie. Vier Schweinfurter Betriebe erklären, wie das heißt und wie das im Alltag für sie aussieht.
Haben täglich mit überbordender Bürokratie zu kämpfen: Margit Rosentritt, Christine Wessing, Jürgen Weth und Gerhard Götz.
Foto: René Ruprecht, Anand Anders, Josef Lamber | Haben täglich mit überbordender Bürokratie zu kämpfen: Margit Rosentritt, Christine Wessing, Jürgen Weth und Gerhard Götz.
Marcel Dinkel
 |  aktualisiert: 09.02.2024 02:53 Uhr

Sie trieb es in den vergangenen Wochen ebenfalls auf die Straßen: Neben den Landwirtinnen und Landwirten waren bei den Bauernprotesten im Landkreis Schweinfurt auch immer wieder Handwerksbetriebe unter den Demonstrierenden vertreten. Sie hatten sich mit den Bäuerinnen und Bauern solidarisiert und nutzen die Proteste, um ebenfalls auf ihre Sorgen aufmerksam zu machen.

Neben dem Fachkräftemangel treibt die Handwerksbetriebe seit Jahren vor allem eins um: die zunehmende Bürokratie. Anstatt ihrer eigentlichen Arbeit nachzukommen, müssen die Handwerkerinnen und Handwerker immer mehr Zeit am Schreibtisch verbringen.

In ihrer aktuellen Konjunkturanalyse zum Jahresbeginn spricht die Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt (IHK) von einer "angespannten Stimmung" innerhalb der Branche. "Die überbordende Bürokratie, eine wenig unternehmerfreundliche Politik und fehlende Planungssicherheit nehmen die Luft zum Atmen." Doch wie genau sieht Bürokratie innerhalb der Betriebe eigentlich aus?

Architektin und Geschäftsführerin Christine Wessing: "Es ist ein riesen Wust an Sachen, den wir erfüllen müssen."

Christine Wessing vom Bauunternehmen Pfister Bau in Schweinfurt sieht das grundlegende Problem in der Rechtssprechung.
Foto: Anand Anders | Christine Wessing vom Bauunternehmen Pfister Bau in Schweinfurt sieht das grundlegende Problem in der Rechtssprechung.

"Es ist ein riesen Wust an Sachen, den wir erfüllen müssen", sagt Christine Wessing, Geschäftsführerin des Bauunternehmens Pfister Bau in Schweinfurt. Wessing ist seit mehr als 20 Jahren in der Baubranche tätig. Das Regal in ihrem Büro ist bis zur Decke hoch mit Aktenordnern gefüllt. Je nach Baustelle gebe es unterschiedliche Anforderungen, sagt sie. Nachweise über Baustoffe, Lieferscheine, die gesammelt werden müssen bis hin zu notwendigen Qualifizierungen, die das Unternehmen genauestens dokumentiert haben muss.

Etwas, was speziell ihren Betrieb plagt, ist die Kontrolle der eigenen Arbeitsmittel. "Alle Geräte, Werkzeuge müssen überprüft werden." Unter anderem auch banale Dinge, wie Leitern. "Um diese Leitern überprüfen zu können, was ja eigentlich jeder mit seinen eigenen Augen tun kann, müssen wir extra jemanden beauftragen." Aber dafür muss die zuständige Person erst einmal einen Lehrgang besuchen, damit sie die Berechtigung dafür hat. Zudem benötigen laut Wessing alle Geräte, Autos und Maschinen zusätzlich zum TÜV eine Unfallverhütungsprüfung.

Ähnliches Spiel bei den Baumitteln: Beim Bauschaum gilt seit August eine neue Vorschrift, sagt Wessing. Aufgrund der enthaltenen schädlichen Stoffe dürfen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Bauschaum nur noch nach einer Anwenderschulung verwenden. Sie müsse ihre Angestellten quasi darauf hinweisen, sich den Bauschaum nicht in den Mund zu spritzen, während das Baumittel für alle anderen im Baumarkt frei erhältlich sei.

"Das ist nicht grundlegend falsch", sagt Wessing. Nur scheint der Aufwand an vielen Stellen nicht im Verhältnis zu stehen. Allein das Prüfen von Geräten beschäftige eine Person sechs Wochen im Jahr. "Das Problem ist einfach unsere Rechtssprechung", deutet die Geschäftsführerin an. Heutzutage müsse sich jeder und jede gegen alles absichern, was den "Dokumentationswahnsinn" entsprechend vergrößere.

Elektromeister Jürgen Weth: "Die Systeme funktionieren nicht."

Jürgen Weth, Geschäftsleiter des Betriebs Elektrotechnik Jooß GmbH in Schweinfurt, hält viele Regelungen für gut gemeint, aber schlecht gemacht.
Foto: Anand Anders | Jürgen Weth, Geschäftsleiter des Betriebs Elektrotechnik Jooß GmbH in Schweinfurt, hält viele Regelungen für gut gemeint, aber schlecht gemacht.

Für Elektromeister Jürgen Weth aus Schweinfurt ist nach wie vor die Datenschutzgrundverordnung ein Hindernis. Seitdem diese erlassen wurde, muss Weth sich bei Aufträgen das Einverständnis vom Kunden für einzelne Arbeitsschritte einholen. "Zusätzliche Formulare oder Ermächtigungen – sie brauchen für jede Geschichte eine Erlaubnis." Hat der Elektromeister einen Auftrag bei einem Industriebetrieb, wo beispielsweise Messungen im Stromnetz vorgenommen werden müssen, muss er hierfür Rücksprache mit dem Energieversorger halten.  

Oder die digitale Krankschreibung: "Die führt eigentlich mehr zu einer Behinderung der Abläufe." Bis der Betrieb im Falle einer Krankmeldung einen Antrag auf Kostenerstattung stellen könne, würden erstmal vier Tage vergehen. "Die Systeme funktionieren nicht."

Friseurin und Kreishandwerksmeisterin Margit Rosentritt: "Das tut einfach weh."

Margit Rosentritt, Kreishandwerksmeisterin und Inhaberin eines Friseursalons, ärgert sich über banale Vorgaben vom Gesetzgeber.
Foto: Lisa Marie Waschbusch | Margit Rosentritt, Kreishandwerksmeisterin und Inhaberin eines Friseursalons, ärgert sich über banale Vorgaben vom Gesetzgeber.

"Ich muss ein Gefahrenverzeichnis schreiben", sagt Kreishandwerksmeisterin Margit Rosentritt. Das heißt, dass die Geschäftsleiterin die Inhaltsstoffe aller neuen Produkte in ihrem Salon, vom Putzmittel bis zum Haarspray, dokumentieren muss. Blödsinn, meint sie. "Als Friseursalon bestelle ich gemäß der EU-Vorgabe nur bei sogenannten Friseurfirmen. Da sind keine Gefahrenstoffe drin, sonst dürfte ich das gar nicht verwenden", sagt Rosentritt.

Zudem, so die Friseurin, müsse sie für jede Dauerwelle oder Färbung einen schriftlichen Nachweis in der Kundenkarteikarte hinterlegen, welchen die Kundin dann wieder in einem Dokument genehmigen soll und der von ihr zehn Jahre lang aufbewahrt werden muss. Das Gleiche beim Bonusheft für Kundinnen und Kunden: "Wenn das Bonusheft voll ist, kriegt die Kundin einen Gutschein. Wenn der Gutschein ausgefüllt wird, muss die Kundin wieder unterschreiben, dass sie den Gutschein bekommen hat."

Was Rosentritt besonders ärgert, ist die Gefährdungsbeurteilung, welche über die Berufsgenossenschaft gemacht werden muss. "Bei mir sind das über 70 Seiten." Der größte Humbug sei aber, dass jeder Betrieb, sobald er einen Mitarbeiter hat, eine Gefährdungsbeurteilung für Schwangere machen müsse – auch wenn darin nur Männer angestellt sind.

"Ich habe vier Mitarbeiterinnen, die ihr 25-jähriges Jubiläum schon gemacht haben. Und die muss ich jedes Jahr unterweisen, wie sie sich richtig bücken oder wie sie was aufheben. Die halten mich einfach für blöd." Bei Nichterfüllung drohen laut Kreishandwerksmeisterin Strafen von bis zu 3000 Euro. Und jede Institution bringe zusätzlich eigene Regeln mit. "Das tut einfach weh."

Bäckermeister Gerhard Götz in Schweinfurt: "Ich muss die Lieferscheine aufheben, bis die Ware verbraucht ist."

Bäckermeister Gerhard Götz aus Schweinfurt würde sich mehr Ausnahmen für kleinere Betriebe wünschen.
Foto: Josef Lamber | Bäckermeister Gerhard Götz aus Schweinfurt würde sich mehr Ausnahmen für kleinere Betriebe wünschen.

Bäckermeister Gerhard Götz aus Schweinfurt kämpft ebenfalls mit der Dokumentationspflicht bei sich im Betrieb. Zum Beispiel beim Einkauf: Wegen des Mindesthaltbarkeitsdatums muss der Bäcker bei Waren wie Wurst oder Käse alles aufschreiben. "Wann es gekauft ist, wann es weggegangen ist. Ich muss die Lieferscheine aufheben, bis die Ware verbraucht ist", sagt er.

Ähnlich bei den Verpackungen: Hier muss der Bäcker für jede Tüte am Ende eine Recycling-Gebühr abführen. Mindestens zwölf Stunden in der Woche müsse er für die Bürokratie am Schreibtisch verbringen, anstatt in der Backstube zu arbeiten. Wie viele Betriebe wünsche er sich deshalb eine Ausnahmeregelung für kleine Betriebe.

 
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  • Gerhard Hörlin
    "Ich muss ein Gefahrenverzeichnis schreiben", sagt ... Rosentritt. Das heißt, dass .... Produkte in ihrem Salon, vom Putzmittel bis zum Haarspray, dokumentieren muss. Blödsinn, meint sie. "Als Friseursalon bestelle ich gemäß der EU-Vorgabe nur bei sogenannten Friseurfirmen. Da sind keine Gefahrenstoffe drin, ...", sagt Rosentritt.
    Frau Rosentritt scheint äußerst kompetent zu sein. Beim "Gefahrenverzeichnis" hat sie wohl das Gefahrstoffverzeichnis gemeint. Die Chefin sollte mal auf das Haarspray im Salon schauen, das ist höchstwahrscheinlich als entzündlich (durch die Treibgase Propan, Butan oder Dimethylether) eingestuft. Die Haarfärbemittel enthalten Diamine und Ammoniak, die sich durch ihren Geruch bemerkbar machen, und auch Gefahrstoffe sind, die nicht in die Augen gelangen sollten. Von wegen die Produkte von Friseurfirmen enthalten keine Gefahrstoffe. Die häufigen Hauterkrankungen von Friseurinnen sprechen wohl gegen die inkompetenten Behauptungen der Kreishandwerkermeisterin.
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  • Peter Koch
    Ich habe mal ein wenig geforscht wie es zum Bürokratismus der Berufsgenossenschaften kam.
    1884 trat im Deutschen Reich das Unfallversicherungsgesetz in kraft worin geregelt war, dass sich die Arbeitgeber um die Gründung von Berufsgenossenschaften zwecks Absicherung der Arbeitnehmer zu kümmern haben. Seither ist das nicht Sache der Politik.
    Schuld ist der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck. Ob Markus Söder wirklich weiss was sein Vorbild da verbrochen hat? Man darf einfach den Deutschen keine Freiheit lassen eine vom Staat losgelöste Bürokratie zu entwickeln.
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  • Roland Albert
    Das Problem des Bürokratiemonsters ist es doch, dass jedes Pöstchen und jeder BG Mitarbeiter, jeder Handwerkskammer und IHK - Bevollmächtigtseinwollender seine Nützlichkeit im System sichern muss. Also wird das immer mehr, weil man sich immer mehr und unsinnigeres einfallen lässt, weil das Notwendige schon längst erreicht bzw. überschritten ist.
    Der einzige Schritt davon wegzukommen, wäre eine Diktatur. Doch wer will das schon...
    Jede Branche ächzt. Aber keiner der Bezahlpräsidenten ändert was. Finde den Fehler.
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  • Peter Koch
    In der Industrie ist es nicht anders.
    Es ist aber wirklich nicht die Politik die für die meisten der Schikanen verantwortlich ist. Es sind die Berufsgenossenschaften die wiederum von den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften kontrolliert werden.
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  • Thomas Diener
    Es ist schön das man darüber diskutiert , aber es ändert sich einfach nichts .
    Die Politiker versprechen seit Jahren das Blaue vom Himmel , aber es wird nicht besser
    sondern immer schlimmer . Da sind aber alle Parteien gleichmäßig gut , oder einfach
    in der Leistung absolut ungenügend ( schlecht wäre da noch zu gut ) .
    Warum gehen die Leute auf die Straße : Weil sich nichts bewegt und außer vieler
    leeren Worte keiner an seinen eigenen Versprechungen hält .
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  • Christa Bullmann
    …. Sie müsse ihre Angestellten quasi darauf hinweisen, sich den Bauschaum nicht in den Mund zu spritze…..

    Sollte man dann lieber ein Glas nehmen oder was? Man muss sich da schon wundern, was die Beamten inhalieren, damit sie in der Regierung mit solchen Ideen kommen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Johannes Bullmann MPA
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  • Andreas Alin
    Das sind Vorschriften der Berufsgenossenschaft
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  • Silke Müller
    Frau Wessing von Pfister Bau sieht es differenzierter als Sie. Sie macht auch die Rechtsprechung mitverantwortlich dafür, dass sich alle immer 150 prozentig absichern, um nicht mit Schadensersatz oder Schmerzensgeld etcpp belangt zu werden. Entbürokratisierung fängt bei jedem einzelnen an. Nein, wenn ich von der Leiter falle ist es nicht die Schuld von meinem Chef. Ich gehe nicht vor Gericht. Nur mal als plakatives Beispiel .
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  • Matthias Braun
    Dieser Bürokratismus muss wieder teilweise rückgängig gemacht werden. Aber doch nicht in dem man Straßen blockiert, Mist auf die Autobahnen kippt und Strohballen anzündet.
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