Engelbert Müller ist immer noch ganz verliebt, wenn er von seiner Maria spricht – und dies nach 65 Ehejahren. "Ich hätte keine bessere Frau finden können", sagt der 86-Jährige und erzählt, als wäre es gestern gewesen, wie sie sich kennenlernten. Einst hat er als Bäcker in Hergolshausen für frische Backwaren gesorgt. Seit einem Jahr wohnt er im Pflegezentrum Maininsel der Diakonie Schweinfurt, Tür an Tür mit seiner Gattin, die auf den Rollstuhl angewiesen ist und mit einem Lächeln das sanfte Wangetätscheln ihres Gatten quittiert. "Ich komm gut mit die Mädli hier aus", so Engelbert Müller mit einem verschmitzten Lächeln, und damit meint er ausnahmsweise nicht seine Frau, sondern die rührigen Pflegefachkräfte, die sich um die Müllers kümmern.
Fachkräfte die sich kümmern, die sich nicht mit "satt und sauber" zufrieden geben, das würde auch Irmgard Saffert sofort unterschreiben. Die 90-Jährige ist Heimbeiratsvorsitzende im Pflegezentrum auf der Maininsel und damit Ansprechpartnerin für die 114 Bewohner des an den Ufern des Mains gelegenen Pflegezentrums. Zu schlichten gibt es wenig, "hier wird keiner ruppig behandelt oder ausgeschimpft", so die ehemalige Schneiderin, die gerne malt, bastelt, Spaziergänge an den Main macht und immer dabei ist, wenn sich ein paar Senioren zum Gesang zusammenfinden.
Es hat sich viel geändert, aber es gibt auch "schwarze Schafe"
Die Müllers und Irmgard Saffert, zwei Beispiele dafür, dass ein Platz in einer Pflegeeinrichtung auch ein warmes Nest sein kann in Zeiten, in denen die Pflege zu kämpfen hat – vor allem auch mit dem Negativimage das ihr anhaftet. Niedriglöhne, unzumutbare Arbeitszeiten, Azubis müssen fehlendes Personal ersetzen – Vorurteile, die Volker Göbel zumindest für die tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen so nicht pauschal gelten lassen will, die sich aber dennoch hartnäckig in der öffentlichen Wahrnehmung halten, auch weil es nach wie vor "schwarze Schafe" in der Branche gibt. Göbel ist Geschäftsbereichsleiter bei der Diakonie Schweinfurt und damit verantwortlich für die fünf Pflegeeinrichtungen der Diakonie in der Region (Pflegezentrum Maininsel, Wilhelm-Löhe-Haus, Seniorenhaus Kramerswiesen in Oerlenbach, Theresienstift in Bad Kissingen und Erhard-Klement-Haus in Maßbach). Dazu kommen Angebote in der Tagespflege.
Das Bild in der Öffentlichkeit ist oft ganz anders als der Alltag in den Häusern
Ja, die Belastung der Mitarbeiter/innen sei auf Kante genäht, es zeichne sich eine Überalterung des Personals ab und es sei schwer, den Nachwuchs für Pflegeberufe zu begeistern, aber noch sei die Lage nicht hoffnungslos. "In der Stadt ist die Personaldecke noch einigermaßen ausreichend in den ländlichen Einrichtungen sieht es schlechter aus".
Womit wir wieder beim Image-Problem wären. Ein Azubi für den Beruf der Pflegefachkraft startet heute im ersten Lehrjahr mit rund 1100 Euro, nach der Ausbildung seien es gut 3000 Euro brutto in tarifgebundenen Einrichtungen, legt Göbel Zahlen vor, die sich so gar nicht vertragen mit der Legende vom Mindestlohnjob Pflege. Bei der Diakonie habe man das Ausbildungskonzept überarbeitet, so dass die jungen Leute sanft herangeführt werden an ihre Aufgaben und somit weit davon entfernt sind, "Lückenbüßer" für fehlendes Personal zu sein. Vor und nach Schulblöcken gebe es keinen Wochenenddienst. Ganz wichtig sei es auch, den Pflegekräften Planungssicherheit im Hinblick auf Dienstplan und Urlaubsplanung zu bieten.
Der Fachkräfte-Markt ist leer
Auch der alte Spruch "Einmal am Bett, immer am Bett" sei längst überholt. Die beruflichen Perspektiven, die Chancen Karriere zu machen, seien ausgezeichnet, werden doch Kräfte für die Pflegedienstleitung und ähnliches händeringend gesucht. Der Personalschlüssel, den die Kostenaufwandsträger den Einrichtungen zugestehen, sei ausreichend, bei der Entlohnung habe sich viel getan in den vergangenen Jahren. Das Problem sei, Fachkräfte für die Stellen zu finden. "Was wir theoretisch finanziert bekämen wäre in Ordnung, aber der Markt ist leer", fasst Göbel zusammen, wobei sich natürlich jeder in der Pflege Beschäftige über mehr Geld freuen wird.
Mit Forderungen wie "Langzeitarbeitslose in die Pflegeberufe" habe auch mancher Politiker seinen Teil dazu beizutragen, das Image der Pflegeberufe zu ramponieren, was sich nur schwer reparieren lasse. Und weil es es so schwer ist, ausreichend emphatisches und engagiertes Personal zu bekommen, glaubt Göbel, gefragt nach der möglichen Situation in zehn Jahren, dass man wohl verstärkt auf technische Assistenzsysteme setzen müsse. Roboter, die Vitalfunktionen überwachen oder zum Beispiel das Essen ins Zimmer bringen, sind keine Science-Fiktion mehr.
Die Lücken mit Menschen mit Migrationshintergrund zu füllen, gelinge nur bedingt und noch eher im Hilfskräftebereich. Weder Motivation noch Fachkenntnisse seien das Problem, sondern Sprachbarrieren, die auch nicht durch einen erfolgreichen Sprachkurs ausgeräumt werden können, denn in Pflegeberufen sei der sichere Umgang mit vielen Fachausdrücken unerlässlich. Genauso wichtig sei es, die Bewohner, die vielleicht nach Vorerkrankung nur noch undeutlich sprechen können oder ihren Dialekt pflegen, auch verstehen zu können. Spezielle Sprachkurse, die Migranten auf die Pflege vorbereiten, wären ein Ansatz.
Geringe Abbrecherquote – auch bei den Azubis
Dass die Jobs in der Pflege viel besser sind als ihr Ruf, dafür spreche auch die geringe Abbrecherquote bei Neu- oder Quereinsteigern, so Göbel. Klar gebe es Menschen, die nach kurzer Zeit und wie in anderen Berufen auch, gemerkt haben, dass sie sich in ihrer Berufswahl geirrt haben, aber die Quote sei gering. Wer den Pflegealltag von innen kennenlernt und sich von Vorurteilen befreit hat, bekommt häufig schnell ein anderes Bild und schätzt die Arbeit im Team und mit den Senioren. Das ist die Erfahrung von Christiane Fischer, Einrichtungsleiterin des Pflegezentrums auf der Maininsel. Die gelernte Maschinenschlosserin ist selbst Quereinsteigerin, die sich 1993 entschlossen hat, den Maschinen ade zu sagen und sich den Menschen zuzuwenden.
Auch berufliche Quereinsteiger sind keine Seltenheit
Dass es dafür nie zu spät ist, beweist gerade Cornelia Brüger. Mit 50 hat sie alle beruflichen Brücken als Bürokauffrau und in der Großindustrie hinter sich abgebrochen und ist nun generalistische Pflegefachkraft-Azubi im dritten Lehrjahr. "Das war schon immer mein Traumjob, als ich jung war haben mir meine Eltern abgeraten, jetzt geht dieser Traum doch noch in Erfüllung", so Brüger, die aus Sternberg im Grabfeld stammt.
Den direkten Weg geht Samuel Fladung aus Ostheim/Rhön. Der 17-Jährige hat bereits eine schulische Pflegehelferausbildung gemacht, das Praktikum in seiner M-Klasse hat ihm so gut gefallen, dass er zum 1. September nun seine Ausbildung begonnen hat. Als junger Mann ist er unter den elf Azubis zwar immer noch in der Minderheit, aber es tut sich was in den Köpfen, denn vor allem beim Nachwuchs nimmt der Männeranteil behutsam zu, während sonst fast nur Frauen die Pflegeberufe mit Leben erfüllen. So wie zum Beispiel Sabrina Reuss. Mit 16 hat sie als Praktikantin angefangen, jetzt, nur zehn Jahre später, ist sie Wohnbereichs- und stellvertretende Pflegedienstleiterin. Eine Bilderbuchkarriere und ein lebendiger Gegenentwurf für das Image der Pflegeberufe mit ihren angeblich so schlechten Aufstiegschancen.
Satt und sauber ist nicht alles
Alles Menschen, die nicht nur gerne, sondern leidenschaftlich in der Pflege arbeiten und die Engelbert Müller meint, wenn er von "seine Mädli" spricht. "Eng aber machbar" bezeichnet Christiane Fischer die Arbeitsbedingungen und betont, wie wichtig es dennoch sei, neben der körperlichen und medizinischen Pflege mit den Bewohnern individuell zu arbeiten. Engelbert Müller winkt uns nach, als wir sein Zimmer verlassen und Irmgard Saffert zeigt uns noch, wie viel Spaß sie am Malen hat, und welche holzhandwerklichen Kleinode ihr verstorbener Mann gebastelt hat, die jetzt in ihrem Zimmer stehen. Der Pflegenotstand steht vor der Tür, noch aber bemühen sich engagierte Pflegekräfte mit viel Herzblut ihm den Eintritt zu verwehren.