Es ist kein Geheimnis, dass die demografische Entwicklung mit immer mehr älteren Menschen zu einem erhöhten Bedarf an Pflegepersonal führt. Im Agenturbezirk Schweinfurt der Agentur für Arbeit waren zuletzt 29 607 Beschäftigte im Bereich Gesundheits- und Sozialwesen gemeldet.
Es ist ebenso kein Geheimnis, dass bereits Fachkräfte fehlen. In der Region sind es genau 792 offene gemeldete Arbeitsstellen. Im öffentlichen Diskurs heißt es oft, die Jobs seien unattraktiv im Hinblick auf die Bezahlung und die Belastung. Eine zunehmende Digitalisierung könnte zumindest die Belastung reduzieren, indem Prozesse vereinfacht würden.
Über dieses Szenario tagte nun eine Reihe von Experten unter dem Titel „Die Digitalisierung und der Mensch: Das Beispiel Pflege“. Eingeladen hatte die Schweinfurter Agentur für Arbeit in Zusammenarbeit mit der Akademie für Politische Bildung, Tutzing. „Gekommen sind Menschen direkt aus der Pflege sowie Menschen mit Interesse an Digitalisierung und Qualifizierung von Personal“, beschreibt Thomas Stelzer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Schweinfurt, das Publikum. Während des Programms stellten sich die Teilnehmer sowie die Referenten verschiedensten Fragestellungen rund um das Thema.
Pflegeroboter und ihr wesentliches Problem
Es kristallisierten sich zwei Schwerpunkte heraus: Zum einen ging es immer wieder darum, dass eine fortschreitende Digitalisierung ganz neue Optionen eröffnet, Pflegebedürftige zu versorgen, gleichzeitig Arbeitsprozesse anders zu gestalten und so den Beruf attraktiver zu machen. Als Beispiel hierfür stellte Anette Hagengruber vom Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt Oberfpaffenhofen Pflegeroboter vor. Ursprünglich für das Weltall konstruiert, sollen sie nun die Pflege revolutionieren – wären sie mit etwa 60 000 Euro pro Stück aktuell nur nicht so teuer.
Auch Bernd Griewing, Vorstand der Rhön-Klinikum AG, berichtete in einem Referat, welche Technologien im neuen medizinischen Campus in Bad Neustadt womöglich einsetzt werden sollen. Eine elektronische Dokumentation mittels geeigneter Software soll die Pflegeplanung und pflegerische Maßnahmen optimieren. Er zeigte die Möglichkeit der Telemedizin auf. Hierbei finden Pflegeleistungen, Diagnostik und Behandlung durch Informations- und Kommunikationstechnologien zur Überbrückung räumlicher Distanz statt. Gerade im ländlichen Raum sei das eine Option der Zukunft.
Apps zum Sprachtraining und intelligente Böden
Im Hinblick auf die rechtzeitige Erkennung von Gefahrensituationen sprach Griewing auch von Sensoren im Wohn- und Pflegebereich, darunter zum Beispiel intelligente Böden, die melden, wenn der Patient nachts aufsteht. Auch Apps etwa zum Sprachtraining oder Messenger wie WhatsApp zum Austausch mit Freunden und der Familie seien ein Thema.
Griewing führte weiter aus, dass neue Technologien und eine fortschreitende Digitalisierung eine Veränderung der Berufsbilder in der Pflege herbeiführen. Kernkompetenzen der Pflegeinformatik und eHealth müssen in die Rahmenlehrpläne der Pflegeberufe integriert werden. Vorstellbar ist die Entwicklung neuer Berufe wie Fachkrankenpfleger für roboterassistierte Pflege, Medical Data Scientist oder Facharzt für Telechirurgie.
Wo bleibt die Menschlichkeit?
Ein zweiter Schwerpunkt der Veranstaltung war die Ethik und die Frage, wo die Menschlichkeit bei all der Digitalisierung bleibt. Hierzu stellte der Referent Arne Manzeschke, Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, einige Überlegungen an. So müsse genau hinterfragt werden, welche Tätigkeiten abgezogen, beziehungsweise durch digitale Mechanismen ersetzt werden können und trotzdem noch der ethischen Kern der Pflege erhalten bleibt. „Wann ist Pflege keine Pflege mehr?“, fragte Manzeschke. Die Kunst sei es künftig, Technik so einzusetzen, dass sie zwischenmenschliche Beziehungen nicht weiter verknappen.
Auch während der anschließenden Podiumsdiskussion war die Ethik ein zentraler Punkt, als etwa eine Dame aus dem Publikum einwarf: „Wir müssen das Ganze mal von der Patientenseite aus sehen. Will der diese ganzen Assistenzsysteme überhaupt?“ Michael Pflügner vom Nürnberger Stift gab zu, dass er das nicht wüsste, dass er es aber gerne versuchen würde. Bernd Griewing weist darauf hin, dass man die Menschen langsam heranführen müsse.
Stelzer: Keine Antwort auf den Fachkräftemangel
Das Fazit von Thomas Stelzer lautet am Ende des Tages: „Die Digitalisierung ist kein Schreckgespenst der Pflege.“ Dass sie aber eine Antwort auf den Fachkräftemangel ist, weil Technik menschliches Handeln ersetzt, glaubt er ebenso wenig. „Womöglich kann der Pflegenotstand etwas abgemildert werden. Gelöst wird das Problem so aber nicht.“