Als Hausarzt hat Gerhard Müller früher Schultern eingerenkt, Hausgeburten betreut oder gar Finger amputiert: Was bei einem "Praktischen Arzt" auf dem Land damals eben anfiel. Nach 36-jähriger selbstständiger Arbeit ist für den 68-jährigen Allgemeinmediziner nun Schluss: Er hat nach langer Suche und intensiver Vorbereitung einen jungen Nachfolger aus Serbien gefunden: Dr. Ivan Zmiric, an den er am 9. Januar seine Praxis in Obbach übergibt.
Geburtshilfe wird der 37-jährige Arzt aus Belgrad, der vor fünf Jahren nach Obbach kam, nicht leisten, zumindest nicht geplant. Und Finger wird er auch keine abnehmen. "Vieles ist heute ja auch rechtlich gar nicht mehr möglich", weiß auch sein älterer Kollege, Lehrer und Freund Gerhard Müller. Oder man brauche ganz spezielle Geräte und Apparaturen dafür. Die Zeiten hätten sich seit seinem eigenen Berufseinstieg eben sehr verändert, positiv wie negativ.
Auch Gerd Müllers Vater und Bruder waren Hausärzte
Als er 1983 zu seinem älteren Bruder Klaus-Peter Müller in die Praxis des Vaters einstieg, wartete gleich ein besonderer Wochenenddienst auf ihn, denkt der 68-jährige zurück: Mit drei Schlaganfällen und zwei Herzinfarkten. "Es war ein extrem heißer Sommer".
Wer Dienst hatte, musste rund um die Uhr bereit stehen. Als Landarzt war man auch sonst, während der Woche, immer erreichbar, auch nachts. "Es war ein Wochenjob, von Sonntagabend bis Samstagmittag."
Diese 24-Stunden-Erreichbarkeit gibt es heute beim niedergelassenen Allgemeinmediziner nicht mehr. Auch die Bereitschaftsdienste sind neu geregelt. "Es ist glücklicherweise nicht so geblieben", denkt Gerhard Müller an die Zeit vor zehn Jahren, als sein Bruder 65-jährig in der Praxis aufhörte. "Das wäre gar nicht gegangen".
Berufsbild hat sich sehr verändert
Wie sehr sich der Hausarztberuf verändert hat, wird ihm im Rückblick deutlich. Zeit ist ein noch kostbareres Gut geworden, in vieler Hinsicht. "Heute wird viel untersucht und zu wenig aufgeklärt", gerade in den Krankenhäusern, meint der scheidende Allgemeinmediziner. Gerade das sei aber die Domäne des Hausarztes: dem Patienten den Sachverhalt zu erklären. Die gesetzlichen Krankenkassen müssten das auch honorieren.
Verändert habe sich die Organisationsarbeit in der Praxis, die Verwaltung sei viel anstrengender und zeitraubender geworden, auch durch immer neue Dokumentations- und Nachweispflichten. Auch die Digitalisierung sei aufwändig und koste Zeit und Geld.
"Als Hausarzt ist man immer auch seelsorgerlich unterwegs", meint Gerhard Müller und denkt an manchen Unglücksfall, bei dem er auch den Angehörigen Beistand leistete. "Man ist da emotional ganz anders dabei, gerade wenn man die Menschen hier kennt".
Diese Nähe zu den Patienten macht für viele Mediziner auch den Reiz des Hausarzt-Berufes aus. Trotzdem finden sich nur sehr schwer junge Ärzte, die sich auf dem Land niederlassen wollen. Gerhard Müller begann beizeiten die Suche nach einem Nachfolger, nicht nur in Deutschland.
Die schwierige Suche nach einem Nachfolger
2014 bekam er via Internet eine Nachricht aus Serbien auf sein Stellenangebot eines Assistenzarztes mit der Aussicht zur Praxisübernahme. Der damals 32-jährige Belgrader Mediziner Dr. Ivan Zmiric suchte die Möglichkeit zur fachlichen Weiterbildung in Deutschland und wünschte auch für seine Kinder bessere Zukunftschancen. Nicht wissend, wo Obbach eigentlich liegt, bewarb er sich.
"Es ist eine Familienpraxis. Der Vater war Arzt, der Bruder auch und mit Gerhard habe ich mich sofort verstanden", erklärt Zmiric. "Ich bin auch ein Familienmensch", der Wert auf eine gute (Arbeits-)Atmosphäre lege. Im Mai 2014 absolvierte er eine Probezeit in der Obbacher Landarztpraxis und binnen weniger Tage erhielt er die nötigen Papiere wie eine Aufenthaltserlaubnis, die "Blue Card", weil Arzt ein Mangelberuf in Deutschland ist, eine Arbeitserlaubnis, eine Krankenversicherung oder einen Wohnsitznachweis.
"Es ging sehr schnell. Ich wurde auch wunderbar unterstützt von meinem Freund Gerhard, von der Gemeinde Euerbach sowie vom Landratsamt", zeigt sich Dr. Zmiric dankbar. Die serbische Approbation wurde von der Regierung von Unterfranken anerkannt, die deutsche Berufszulassung lief an.
Fünf Jahre Weiterbildung für Ivan Zmiric
Fünf Jahre Weiterbildung standen dem jungen, gut deutsch sprechenden Mediziner noch bevor: 18 Monate in der Müller‘schen Hausarztpraxis und dreieinhalb Jahre im Krankenhaus Sankt Josef sowie im Leopoldina. "Ich habe viele Erfahrungen gesammelt", meint er. Es sei für ihn auch wichtig, die Strukturen in den hiesigen Kliniken zu kennen.
Gemerkt hat er aber auch, wieviel Bürokratie Ärzte und Kliniken hierzulande zu bewältigen haben –er selbst auch. Denn eine rückwirkend ausgelegte Gesetzesänderung vom Juli 2015 hatte verlangt, dass er seine Facharztprüfung nicht 2019, sondern erst 2022 hätte ablegen dürfen.
Zmirics väterlicher Freund Gerhard Müller wandte sich an die Politik, an den Landtagsabgeordneten Gerhard Eck und an Gesundheitsministerin Melanie Huml. "Ich wollte jetzt aufhören und nicht erst, wenn ich 71 Jahre alt bin", sagt der Obbacher. Seine Praxis wäre dann geschlossen worden. "Es geht doch um die Versorgung der Patienten, diese Praxis sollte weitergeführt werden". Sein Nachfolger konnte schließlich in diesem Oktober seine Facharztprüfung ablegen.
Trotz solcher Erfahrungen ist Ivan Zmiric optimistisch, dankbar und freut sich auf die Herausforderung. "Das Lachen war nie weg aus meinem Gesicht", meint er nur dazu. Mit dem eingespielten Team will er die Landarztpraxis weiterführen.
Die Filiale in Schwemmelsbach, die sein Vorgänger vor drei Jahren eröffnete, muss er allerdings aufgeben. Denn die Kassenärztliche Vereinigung schreibt neuerdings 20 Mindeststunden vor. "Das schafft er nicht", weiß der scheidende Hausarzt.
Mit ungebetenen Ratschlägen für seinen Nachfolger will er sich zurückhalten. Aber wenn sein junger Kollege mit Fragen komme, "stehe ich natürlich zur Seite".