Aufs Land wollen die jungen Ärzte nicht mehr. Die künftige ärztliche Versorgung sieht daher nicht rosig aus, auch nicht im Landkreis Schweinfurt. Der Obbacher Allgemeinarzt Gerhard Müller sucht seit Jahren einen Assistenzarzt, der seine Praxis später fortführen könnte. Antwort erhielt er aus Serbien, genauer aus der Hauptstadt Belgrad: Seit April arbeitet Dr. Ivan Zmiric nun bei ihm, mit Begeisterung.
Seine erste Leichenschau in Deutschland hat der 32-jährige serbische Doktor nun auch hinter sich. „Die ganzen Formulare musste ich ihm erst erklären“, sagt Landarzt Gerhard Müller, als er mit seinem jungen Angestellten in die Praxisräume seiner Euerbacher Filiale kommt.
Fachlich gesehen sind solche Hausbesuche kein Problem für den Arzt aus Belgrad. Schließlich hat er nach sechs Jahren Medizinstudium, halbjährlichem Praktikum plus Prüfung bei der Ärztekammer schon seit Jahren in einem staatlichen Gesundheitszentrum in der Millionenstadt Belgrad gearbeitet. Als Allgemeinmediziner, der auch bettlägerige Patienten zuhause besucht, und in der Ambulanz.
Aber genau diese Arbeit befriedigte ihn nicht mehr: Seine Tätigkeit war eingeschränkt, erzählt er. In vielen Fällen sei eine sofortige Überweisung an einen Facharzt im Nebenzimmer des Zentrums die Gepflogenheit gewesen.
„Hier habe ich eine viel interessantere Aufgabe“, meint er. Von seinem „Vorbild“ Gerhard Müller könne er sehr viel lernen und als Landarzt einfach „viel mehr machen“.
Ivan Zmirics Deutsch ist nach achtmonatigem Lernen in Serbien recht gut. Damals entschied er sich gemeinsam mit seiner Frau Marijana zu dem großen Schritt, die Heimat zu verlassen. Zwar hatte auch seine Frau, die Englisch, Griechisch und Literatur studierte sowie einen Masterstudiengang in Marketing absolvierte, einen guten Job in Belgrad. Aber für ihre Zukunft sahen sie in Deutschland bessere Chancen, Ivan wollte sich weiterbilden, fachlich vorankommen.
Und vor allem für ihre 21-monatige Tochter Masa, die mit Atemproblemen kämpft, wollten sie „frische Luft“ auf dem Land. Und gewiss auch eine bessere Schulbildung als zuhause.
Bei der Internet-Suche nach einem Arbeitsplatz in Deutschland stieß Ivan Zmiric über die Jobbörse des Arbeitsamts auf das Angebot des knapp 63-jährigen Obbacher Landarztes.
„Es ist eine Praxis mit Geschichte“, erklärt der junge, ausgesprochene „Familienmensch“: „Der Vater war dort Arzt, der Bruder auch“. Eine familiäre Praxis also, die genau das Gegenteil seiner bisherigen Arbeit war. Denn auf eine gute Arbeitsatmosphäre legt Zmiric Wert. Und auf die räumliche Nähe zu den Patienten.
Gleich beim ersten Treffen der zwei Mediziner aus Serbien und Deutschland merkten beide: Die Chemie stimmt, wir können miteinander. Damit daraus eine langfristige Kooperation wird, und damit der serbische Doktor in Deutschland später auch eine Praxis führen darf, muss er allerdings eine Facharztprüfung vorweisen.
Das heißt nun, Gerhard Müller stellt den 32-Jährigen 18 Monate lang als sogenannten „Weiterbildungsassistenten Allgemeinmedizin“ an, dann muss er ein halbes Jahr in einer weiteren Praxis und danach noch drei Jahre in einem Krankenhaus arbeiten.
Mit dem Müller'schen Arbeitsvertrag in der Tasche begann für den Doktor aus Serbien – noch kein EU-Land – der Gang durch die deutsche Bürokratie: Arbeitserlaubnis, Wohnsitz nachweisen, Anmeldung, Krankenversicherung, Blaue-Karte beantragen.
Mittlerweile hat der 32-Jährige alles beisammen, auch Dank der Hilfe seines „Chefs“, der Gemeinde Euerbach und des Landratsamtes. „Das hat nur drei Tage gedauert, bei uns wären es drei Monate gewesen“, resümiert Ivan Zmiric. „Der öffentliche Druck auch auf die Politik ist mittlerweile groß, damit Ärzte aufs Land kommen“, meint dazu Gerhard Müller.
Die serbische Approbation wurde von der Regierung von Unterfranken anerkannt, die deutsche Berufszulassung läuft. Weil Arzt ein Mangelberuf in Deutschland ist, war auch die „Blue Card“ für den ausländischen Hochschulabsolventen kein Problem. Jetzt hat er einen Aufenthaltstitel für zunächst zwei Jahre.
Zu den Anfangsproblemen zählte auch ein Kleinkredit bei einer Bank zur Anschaffung von Möbeln; das war nur mit Hilfe seines Chefs möglich.
Der junge Mann ist glücklich über das gute Verhältnis zu Müller. „Wo gibt's denn das, dass der Chef dir hilft, Möbel zu schleppen?“, fragt er begeistert von der Hilfe nach einem Ikea-Besuch. Er lobt die Gastfreundschaft und die Offenheit in Deutschland, gerade gegenüber anderen Kulturen.
Im Obbacher Praxis-Alltag übernimmt Dr. Zmiric mittlerweile eigene Patienten, zunächst noch einfachere Fälle. „Wenn ich nicht hundertprozentig sicher bin, dann frage ich meinen Chef“, der ein Zimmer weiter die Patienten behandelt. „Ich bin Perfektionist“, fügt er an. Und dass er mit großer Lust noch viel lernen will. Auch mit dem fränkischen Dialekt muss er sich noch vertraut machen.
Für den Landarzt Gerhard Müller wäre der junge Serbe der potenzielle Nachfolger. „Ich wünsche es mir“, sagt der fast 63-Jährige. Und Ivan Zmiric meint dazu: „Ich träume davon.“