
Der Architekt Andreas Steigerwald ist derzeit dabei, mitten im Prichsenstädter Stadtteil Brünnau (Lkr. Kitzingen) einen seit zehn Jahren leerstehenden Bauernhof aus Familienbesitz zu sanieren. Im ehemaligen Wohnhaus und im benachbarten Nebengebäude, wo schon seine Urgroßeltern gewohnt haben, soll künftig sein Büro einziehen. Doch seit Steigerwald mit dem Umbau begonnen hat, gibt es auf der Baustelle eine Überraschung nach der anderen.
Den spektakulärsten Fund machte der Bauherr vor wenigen Tagen im Erdgeschosses des Hauses: Er stieß unter dem Fußboden auf einen bestens erhaltenen "Nachgeburtstopf". In dem Gefäß wurde vermutlich vor rund 400 Jahren die Plazenta einer Wöchnerin beigesetzt.
Untersuchungen belegen, dass die Eichen fürs Fachwerk 1520/21 geschlagen wurden
Bislang ging Familie Steigerwald davon aus, dass das alte Bauernhaus gegen Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut wurde und nichts besonders Schützenswertes darstellt. Schließlich steht das Haus auch nicht in der Denkmalliste. Doch als Steigerwald mit den ersten Arbeiten im Innern begann und auf teils kohlschwarz verrußte Deckenbalken und Unterzüge stieß, die auf eine Schwarzküche hindeuten, in der einst über offenem Feuer gekocht wurde, stiegen in ihm erste Zweifel auf, ob das Gebäude nicht doch deutlich älter sein könnte.
Seine Vermutung hat sich inzwischen bestätigt. Die dendrochronologischen Untersuchungen von mehreren Bohrkernen, die aus den Deckenbalken entnommen worden waren, belegen, dass die Eichen für das Fachwerk des Hauses im Winter 1520/21 geschlagen worden sind.

Es ist ein purer Glücksfall für die Archäologie, dass in dem 500 Jahre alten Haus mit Andreas Steigerwald ein Architekt werkelt, der sich neben seinem Beruf auch noch in Denkmalpflege fortgebildet hat und darin an der Universität Bamberg seinen Master gemacht hat. Als er begann, nach dem Entfernen der Dielenbretter den Fußboden im Erdgeschoss des nicht unterkellerten Hauses abzugraben, um eine für heutige Lebensgewohnheiten akzeptable Raumhöhe zu erreichen, verzichtete er auf schweres Gerät. Er griff nur zu Spaten und Schaufel – so wie er es einst während archäologischen Lehrgrabungen gelernt hatte.
Andreas Steigerwald fand einen Keramiktopf, auf dem der Deckel falsch herum lag
Die Vorsicht zahlte sich aus, denn der Bauherr wurde fündig. Im südöstlichen Teil des Erdgeschosses, wo sich früher die Wohnstube mit einem angebauten Viehstall befand, stieß er unter einer rund 30 Zentimeter starken Schicht aus losem Schutt und gelblich schimmerndem gestampften Lehm auf ein augenscheinlich noch intaktes Tongefäß, das an der Außenseite Schmauchspuren aufwies. Es steckte leicht schräg im Erdreich. Sein Deckel lag falsch herum auf und das Gefäß war mit einem Band aus Kalkmörtel versiegelt.
Dass man beim Graben in Gewölbekellern oder in Wohnstuben ohne darunter liegendem Keller auf Keramik stößt, ist an sich nicht ungewöhnlich. Doch solche Keramik ist in der Regel zerbrochen. Denn früher behalf man sich, wenn Feuchtigkeit von unten aufstieg, oft damit, dass man eine Art Feuchtigkeitssperre aus gebrochenem Geschirr oder den Resten von Kachelöfen aufschüttete. Andreas Steigerwald war deshalb sofort elektrisiert, als er hier einen augenscheinlich komplett erhaltenen und innen glasierten Topf aus dem Boden ragen sah.
Inhalt des Topfes wird nun auf Hormon-Reste untersucht
Könnte es sich vielleicht um einen Nachgeburtstopf handeln? Steigerwald beließ das irdene Gefäß an Ort und Stelle und schickte Bilder der Fundsituation an das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in Schloss Seehof bei Bamberg. Die Behörde reagierte. Am Gründonnerstag kam Grabungstechnikerin Sabrina Scherer nach Brünnau, um in einer zweistündigen Aktion den Fundort per GPS einzumessen, die Fundstelle zu putzen und zu fotografieren und schließlich den vollständig erhaltenen Topf vorsichtig zu bergen. Jetzt wird sein Inhalt wissenschaftlich auf Hormon-Reste untersucht, um den endgültigen Beleg zu erbringen, dass es sich um die Plazenta einer Gebärenden handelt.

Der Nachgeburtstopf ist eine beeindruckende Zeitkapsel, mutmaßlich aus dem frühen 17. Jahrhundert – eine Zeit, in der auch in der Region zwischen Steigerwald und Main der Aberglaube an Hexen und Zauberer stark verbreitet war. So ist der Fund auch ein Beleg dafür, wie die Menschen damals dachten, was sie fürchteten, wie sie mit ihren Ängsten umgingen und wie sie sich vor magischem Schadenszauber zu schützten versuchten.
Damals wurde die Nachgeburt aus Furcht vor Hexen in einem Topf vergraben

Nach der damalige Weltanschauung war es dringend geraten, die Nachgeburt an einem Ort zu vergraben, wo weder Sonne noch Mond hin scheinen. Neben hygienischen Gründen geschah dies auch aus Furcht vor dem bösen Treiben der Hexen. Bevor die Plazenta in einem Topf, zumeist ausrangiertes Kochgeschirr, vergraben wurde, wurde das Gefäß noch mit dem Deckel – mit dem Knauf nach innen – verschlossen, damit die Hexe Probleme hat, den Topf zu öffnen, falls sie ihn doch finden sollte. Manchmal waren die Töpfe zusätzlich noch mit eingeritzten Abwehrzeichen, etwa einem Pentagramm, versehen.
Nur rund vier Kilometer von Brünnau entfernt, in der bischöflichen Stadt Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt), war damals ein Haupthinrichtungsplatz für Hexen und Zauberer. Alleine zwischen 1615 bis 1619 wurden hier 261 Männer und Frauen wegen Hexerei hingerichtet. Viele weitere starben schon vor ihrer Verurteilung an den Folgen der sadistischen Folter.
Erst seit wenigen Jahrzehnten kennt man den wahren Nutzen der vergrabenen Töpfe
Im Fragenkatalog bei den peinlichen Verhören ging es damals auch um die sogenannte Hexenschmier. Mit dieser Salbe sollen die Hexen eine Mistgabel oder ihren Besen eingeschmiert haben, damit das Teil fliegen kann. Ihre Schmier stellten die Hexen, so der aberwitzige Glaube, angeblich aus dem Fett gekochter Säuglingsleichen her. Um an Säuglinge zu gelangen, formten die Hexen mithilfe gestohlener Plazentas zunächst einen "Wechselbalg", der der Wöchnerin dann im Austausch gegen ihr eigenes Kind heimlich untergeschoben wurde. Um solche Umtriebe zu verhindern, musste die Nachgeburt dem Aberglauben zufolge also für alle Zeiten an einem geheimen Ort vor den Hexen versteckt werden.

Wurde der Topf Jahrhunderte später durch Zufall doch wieder gefunden, dann maß man ihm in der Archäologie zunächst selten die richtige Bedeutung zu. Erst seit wenigen Jahrzehnten kennt man den wahren Nutzen dieser vergrabenen Töpfe. Eine grundlegende vergleichende Forschung fehlt aber noch immer.