
Seit nahezu zwei Jahren beschäftigt sich der aus Brünnau stammende Architekt Andreas Steigerwald mit dem Umbau eines bäuerlichen Gehöfts aus Familienbesitz. Ursprünglich wollte er das unscheinbare Wohnhaus in der Nähe der Brünnauer Mühle komplett umbauen: Das Dachgeschoss sollte für Wohnzwecke abgerissen und neu errichtet werden und im Erdgeschoss des Gebäudes, der benachbarten Scheune und der sich dort anschließenden alten Wagner-Werkstatt seines Großvaters Adolf Steigerwald sollten die großzügigen Arbeitsräume seines Architektenbüros entstehen. Sollten.

Denn mittlerweile stellt sich der Umbau nicht mehr ganz so einfach dar, wie zunächst gedacht. "Schuld" daran ist der Bauherr selbst. Denn er ist Experte für alte Gemäuer. Neben seinem Architekturstudium hat Steigerwald den Master in Denkmalpflege gemacht und ist dabei mit Grundzügen der Archäologie in Berührung gekommen. Sein Fachwissen hat nun dazu geführt, dass er immer stutziger wurde, je mehr er sich mit dem auf den ersten Blick unscheinbaren Gebäudekomplex beschäftigte.
Nicht in der Denkmalliste
Die Ausgangslage im Jahr 2020 schien zunächst einfach: Das Bauernhaus, inzwischen schon zehn Jahre nach dem Tod der Großmutter leerstehend, wird umgebaut und den heutigen Bedürfnissen angepasst. Große Rücksicht muss man nicht nehmen auf die Bausubstanz, denn solche Häuser aus dem 19. Jahrhundert finden sich zuhauf in zahlreichen Dörfern der Region. Auch der Denkmalschutz hat nichts dagegen: Das Haus ist unbedeutend und nicht in der Denkmalliste verzeichnet. Also freie Bahn für Mini-Bagger und Presslufthammer.
Doch schon nach den ersten Arbeiten auf der Baustelle mehrten sich bei Steigerwald Zweifel, ob das Haus tatsächlich erst im 19. Jahrhundert gebaut wurde. Er begann zu recherchieren und legte dabei ein detektivisches Gespür an den Tag. Zuerst fiel ihm auf, dass sein Gehöft von drei Straßen begrenzt ist, die laut Urkataster schon seit Jahrhunderten bestehen. In unmittelbarer Nachbarschaft des Gehöfts stehen Gasthof, Mühle und Kirche. Diese Gebäude, die die Keimzelle von Brünnau bilden, sind nachweislich alle bereits zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert entstanden.
Uralter Obstbaum
Und dann gibt es diesen riesigen Birnbaum im ehemaligen Würzgarten an der Nordseite des Bauernhauses. Der Obstbaum hat einen gewaltigen Stamm und von Andreas Steigerwald deswegen zu Rate gezogene Experten schätzten das Alter der Birne auf mindestens 200 Jahre. Da lag die Vermutung nahe, dass das Wohnhaus mindestens genauso alt ist wie der Baum im Garten.

Neben Hinweisen aus den archivalischen Belegen entdeckte der Bauherr immer mehr bauliche Hinweise am Haus, die ihn in seiner Vermutung weiter stützten, das Haus, in dem schon seine Urgroßeltern wohnten, könnte bedeutend älter sein. Als Steigerwald in einem kleinen Flur des Erdgeschosses und im benachbarten Bad die moderne Deckenverkleidung aus Gipskarton abnahm, kamen darunter kohlschwarz verrußte Deckenbalken zum Vorschein. Als Experte erkannte er sofort: Hier hatte es nicht gebrannt, sondern in diesem Bereich befand sich früher eine sogenannte Schwarzküche.
Rauch färbte die Wände schwarz
In solchen Küchen wurde früher, bevor geschlossene Küchenherde mit Kaminanschluss gebräuchlich wurden, über einem offenen Feuer gekocht. Der Rauch stieg hoch und färbte im Lauf der Jahre das obere Viertel des Raums rußschwarz. Da man damals noch keine gemauerten Kamine kannte, entwich der Qualm einfach durch die undichte Küchendecke und den Dachraum. Im bäuerlichen Bereich waren solche Rauchküchen teilweise bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch üblich, ehe sie dann aufgrund moderner Feuerschutzbestimmungen umgebaut werden mussten.
Flur mit Sandsteinplatten
Die nächste Überraschung gab es, als der Bauherr im Flur des Hauses ein Loch öffnete, um Leitungen zu verlegen. Unter dem modernen Estrich, in dem ein quadratisches Fliesenmuster eingeprägt ist, stieß Steigerwald auf den originalen Bodenbelag des Flurs: großflächige, von Hand behauene und geglättete Sandsteinplatten. Solche Platten kennt man bereits von anderen alten Häusern, beispielsweise vom sogenannten Betty-Stumpf-Haus in Gerolzhofen (Anfang 17. Jahrhundert) , wo sich diese Urform des fränkischen Hausflurs bis heute unverfälscht erhalten hat.

Seine ersten Erkenntnisse meldete Steigerwald Mitte 2020 dann dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in Schloss Seehof bei Bamberg und lud die Experten zu einem Baustellenbesuch in Brünnau ein. Doch die Behörde zeigte ihm die kalte Schulter. Der von Steigerwald vorgeschlagene Ortstermin und mögliche Untersuchungen von Putz, Farbgebung und Deckenbalken halte man für nicht notwendig, heißt es in einer E-Mail vom September 2020. An einem Haus, offenkundig aus dem 19. Jahrhundert, und noch dazu kein Denkmal, zeigten die Experten kein Interesse.
"Mindestens 18. Jahrhundert"
Doch Steigerwald ließ sich nicht entmutigen. Nachdem er durch hohe berufliche Belastung im vergangenen Jahr kaum Zeit fand für seine "persönliche Bauforschung", wie er es nennt, investierte er in den vergangenen Monaten wieder mehr Zeit in die Baustelle. "Ich ging dann aufgrund meiner Befunde davon aus, dass das Haus mindestens aus dem 17. oder 18. Jahrhundert stammt", berichtet Steigerwald. Zwei befreundete Denkmalpfleger unterstützten seine These.

Steigerwald traf schließlich für sich persönlich die Entscheidung: Mein Haus ist schützenswert – auch wenn die Denkmalschutzbehörde davon nichts wissen will. "Um weitere Substanzverluste zu vermeiden, habe ich mich deshalb so weit wie möglich erst einmal auf die Außenanlagen konzentriert." Das Wohnhaus blieb weitgehend unangetastet.
Bohrkerne aus den Eichenbalken
Endgültige Klarheit über das Alter des Hauses sollte dann die Untersuchung von mehreren Bohrkernen bringen, die aus den Eichenbalken des Fachwerks im Erdgeschoss entnommen wurden. Im dendrochronologischen Labor der Universität Bamberg wurden im März 2022 im Auftrag von Andreas Steigerwald die Brünnauer Bohrkerne mit den Jahresringen von Holzproben abgeglichen, deren Fälldatum bekannt und gespeichert ist. Dabei gab es zwei Überraschungen.
Die eine: An drei Proben aus Steigerwalds Anwesen war sogar noch die sogenannte Waldkante erhalten, also das Splintholz des Stamms bis zur Rinde. Damit war es möglich – im Gegensatz zu Balken, die durch die Bearbeitung des Zimmermanns ihre äußeren Jahresringe verloren haben – das Fälldatum der drei Balken nicht nur zu schätzen, sondern auf das Jahr genau zu bestimmen.
Überraschung Nummer zwei war eine faustdicke: Die im Bauernhaus der Familie Steigerwald verbauten Balken stammen von Eichen, die im Winter 1520/21 gefällt wurden. Die Bäume waren damals zwischen 121 und 83 Jahre alt gewesen. Jetzt hatte es Steigerwald also schwarz auf weiß: Statt eines unbedeutenden Gebäudes aus dem späten 19. Jahrhundert werkelt er in einem Haus, das sage und schreibe 500 Jahre alt ist. Ein lokaler Schatz ohnegleichen.

Das hat inzwischen auch beim Landesamt für Denkmalpflege Eindruck gemacht. "Ich habe jetzt mündlich signalisiert bekommen, dass das Haus als Denkmal eingestuft wird", berichtet Steigerwald. Und nicht nur das. Jetzt ist sogar von einem Bodendenkmal die Rede. Denn der Bauherr hat im Fußboden der ehemaligen Stube dieser Tage einen aufsehenerregenden Fund gemacht: Als er vorsichtig mit der Schaufel den Schutt abtrug, um eine höhere Raumhöhe zu erreichen, stieß er dort auf einen vollständig erhaltenen, innen glasierten Topf. Archäologen des Landesamts haben Steigerwalds Vermutung bestätigt: Es handelt sich um einen sogenannten Nachgeburtstopf, in dem wohl Mitte des 16. Jahrhunderts die Plazenta einer Wöchnerin beigesetzt wurde. Am Gründonnerstag wurde der Fund von einer Grabungstechnikerin des Landesamts geborgen.
Jetzt wird umgeplant
Und wie geht es nun weiter? Andreas Steigerwald wird seine Planungen den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Denn jetzt hat er es ganz offiziell mit einem historisch wertvollen Haus zu tun, das unter Denkmalschutz steht und eng mit der Ortsgeschichte von Brünnau verzahnt ist. Den geplanten Abriss und Neubau des Dachgeschosses am Wohnhaus hat er schon mal zu den Akten gelegt. Auch die Wagner-Werkstatt seines Großvaters, die noch so aussieht, als wäre der Senior nur mal kurz in die Mittagspause gegangen, will Steigerwald jetzt doch nicht antasten, sondern erst einmal in ihrer jetzigen Form erhalten.

Der Schwerpunkt der Arbeiten wird nun auf die fachgerechte Sanierung und den vorsichtigen Umbau des Wohnhaus gelegt. Denn wer weiß, was dort noch alles ans Tageslicht kommen wird. Während des Zeitverlusts von fast zwei Jahren sind die Baupreise drastisch gestiegen, bedauert der Bauherr. Wobei ihm klar ist, dass er sich dies alles ja selbst "eingebrockt" hat.
Es ist der Fluch seines Fachwissens. Denn hätte sich Steigerwald nicht so gut ausgekannt mit alten Gemäuern, wäre der Umbau des Bauernhauses schon längst abgeschlossen und das Architekturbüro Steigerwald wäre dort schon eröffnet. Doch dann wäre auch uralte Bausubstanz unwiederbringlich zerstört worden. Und niemand hätte es bemerkt.
Das ist das große Verdienst von Andreas Steigerwald.
Jedem das Seine.
...und gleichzeitig das Versagen des Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Anderswo werden Häuser dem Verfall preisgegeben weil das Landesamt kaum mit sich reden lässt und hier ist es genau umgekehrt. So etwas sollte auch den Verantwortlichen im Amt zu denken geben!