
In Justizkreisen hatte zuletzt das Gerücht die Runde gemacht, im Prozess gegen den Kopf der Gemeinschaft "Go&Change" seien neue Beweise aufgetaucht. Tatsächlich präsentierte die Verteidigung von Kai K. am Landgericht Schweinfurt an diesem Montag - dem inzwischen 28. Verhandlungstag - "neue Erkenntnisse", die man nun in die Hauptverhandlung einbringen wolle.
Vor allem ging es den Anwälten um zwei Sprachnachrichten: Die 31-jährige Nebenklägerin soll diese an einen Bekannten und an ein anderes Mitglied von "Go&Change" verschickt haben - und zwar kurz nachdem sie von Kai K. am 17. Mai 2023 mutmaßlich vergewaltigt, geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt wurde.
Verteidiger von Kai K. kritisieren Ermittlungsarbeit
Die zwei Nachrichten würden die Glaubwürdigkeit der Frau in Zweifel ziehen, denn sie habe darin mit keinem Wort eine Vergewaltigung erwähnt, sagte Verteidiger Hubertus Werner. Außerdem habe sie "in quietschfideler Stimmlage" gesprochen, ergänzte Anwalt Helmut Mörtl.
Den Verteidigern zufolge hörte Anwalt Werner mit Kai K. die Nachrichten bei der Polizei an, weil sie bislang nicht Teil der Prozessakte waren. Die Auswertung der Handydaten sei "nicht ausreichend" durchgeführt worden, kritisierte Werner die Arbeit der Ermittler. Er regte am Montag an, sämtliche sichergestellten Gespräche in der Verhandlung zu hören.
Das Gericht ließ am Montag zumindest die beiden Nachrichten vom 17. Mai 2023 abspielen. Darin klingt die Frau tatsächlich nicht aufgebracht. Auch berichtet sie nicht von gerade erlebter Gewalt.
"Zur Entlarvung": USB-Sticks, Mappen und Protokolle aus unbekannter Quelle
Darüber hinaus wurden der Verteidigung nach eigenen Angaben zwei USB-Sticks und sieben Mappen zugespielt, deren Inhalt laut Absender "zur Entlarvung der Lügen der Belastungszeugen" beitragen sollen. Um was es sich bei dem Material konkret handelt, wurde am Landgericht zunächst nicht klar. Die Frage der Vorsitzenden Richterin Claudia Guba, woher die Anwälte die Datenträger und Schriftstücke hätten, wollten Werner und Mörtl nicht beantworten.
Unterdessen wuchs die Prozessakte weiter: Die Verteidigung habe dem Gericht Protokolle der bisherigen Verhandlungen zukommen lassen, sagte Richterin Guba. Die unbekannten Verfasserinnen und Verfasser sollen darin eigenen Schlüsse ziehen und angebliche Hintergründe zu Zeuginnen und Zeugen liefern. Seit dem ersten Verhandlungstag im Februar nehmen zahlreiche Anhängerinnen und Anhänger von "Go&Change" als Zuschauer am Prozess teil und schreiben mit. Dass die Protokolle aus diesem Kreis kommen, scheint naheliegend.
Diabetes diagnostiziert: Angeklagter schuldunfähig wegen Zuckerkrankheit?
Aus Sicht der Verteidigung scheint die Beweisaufnahme jedenfalls noch lange nicht abgeschlossen: Sein Mandant habe erst während der Untersuchungshaft erfahren, dass er an einer Zuckerkrankheit leide, sagte Anwalt Mörtl. Eventuell müsse ein Sachverständiger hinzugezogen werden, um zu erklären, wie sich der Drogenkonsum von Kai K. in Verbindung mit der Krankheit auf seine Schuldfähigkeit ausgewirkt habe.
Richterin Guba erklärte, dem psychiatrischen Gutachter, der den Angeklagten für teilweise schuldfähig hält, sei die Diagnose Diabetes bekannt gewesen.
Schließlich brachten die Verteidiger eine erneute Vernehmung der Nebenklägerin ins Spiel. Man wolle die 31-Jährige mit den Sprachnachrichten konfrontieren sowie mit der neuen Aussage des Angeklagten, wonach sie ihm Drogen gegeben habe. Zudem soll die junge Frau von den mutmaßlichen Taten Tonaufnahmen angefertigt haben, die im Nachgang gelöscht worden sein sollen. Nebeklage-Anwalt Jürgen Zillikens wehrte sich, seine Mandantin ein drittes Mal zu laden. Dies sei der Traumatisierten "nicht zumutbar". Der Antrag der Verteidigung wurde abgelehnt.
Erneutes Wortgefecht zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft
Die Stimmung im Gericht war erneut hitzig. Als Staatsanwältin Melanie Roth die Verteidigung aufforderte, endlich die nur angedeuteten Anträge zu stellen, "damit wir hier weiterkommen", entgegnete Anwalt Werner, sie solle "nicht so hysterisch" sein. Richterin Guba mahnte die Verteidigung daraufhin zum wiederholten Mal, im "Umgangston ein gewisses Maß" zu wahren.
Staatsanwältin Roth regte an, der Verteidigung für etwaige Folgeanträge Fristen zu setzen, um das Verfahren nicht weiter in die Länge zu ziehen. Nachdem Kai K.s Anwälte angekündigt hatten, erst im nächsten Termin weitere Anträge stellen zu wollen, machte Richterin Guba deutlich: "Bei so einem Verteidigungsverhalten trete ich der Anregung, Fristen zu setzen, näher." Bereits seit einem Vierteljahr sei die Beweisaufnahme grundsätzlich abgeschlossen.
Der Prozess wird an diesem Donnerstag, 19. September, fortgesetzt.