zurück
Schweinfurt
Mobilitätswende in Schweinfurt: Bestellerautorin Katja Diehl fordert die Stadt zu mutigen Entscheidungen auf
Bei einer Podiumsdiskussion im Rathaus diskutierte Katja Diehl mit Experten über die Verkehrswende. Der Hausherr war nicht da. Welchen Tipp sie dem OB gegeben hätte.
'Ich bin keine Auto-Hasserin', sagt Katja Diehl, Mobilitätsexpertin und Bestsellerautorin, die zu Gast bei der Europäischen Mobilitätswoche in Schweinfurt war. Sie wünsche sich nur eine Welt, die die Menschen im Fokus habe. 
Foto: René Ruprecht | "Ich bin keine Auto-Hasserin", sagt Katja Diehl, Mobilitätsexpertin und Bestsellerautorin, die zu Gast bei der Europäischen Mobilitätswoche in Schweinfurt war.
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 29.09.2024 02:29 Uhr

Nichts tun ist ab heute verboten!" Diese Ansage macht Mobilitätsexpertin Katja Diehl am Ende der gut zweistündigen Veranstaltung zur Mobilitätswende den Schweinfurterinnen und Schweinfurtern. Die Arbeitsgruppe "Klimafreundliche Mobilität" der Lokalen Agenda 2030 hatte die Mobilitätsexpertin und Bestsellerautorin im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche nach Schweinfurt geholt, wo sie vor rund 60 Interessierten in der Rathausdiele ihr neues Buch "Raus aus der Autokratie" vorstellte und im Anschluss mit dem ZF-Betriebsratsvorsitzenden Oliver Moll sowie Verdi-Bezirksgeschäftsführerin Marietta Eder über die spezielle Arbeitsplatzsituation in Schweinfurt aufgrund der Mobilitätswende diskutierte.

Gerne hätte Katja Diehl Oberbürgermeister Sebastian Remelé einen Tipp gegeben, was er für eine zukunftsgerichtete Mobilität in Schweinfurt tun könnte. Doch der Rathauschef befand sich nicht unter den Zuhörerinnen und Zuhörern: "Das ist sehr enttäuschend." Denn es brauche mutige Entscheider, um die Hürden der Verkehrswende auf gesellschaftlicher, politischer und systemischer Ebene zu überwinden. 

Warum geschieht nichts? Warum kommen wir nicht voran, obwohl wir das Wissen für eine nachhaltige Mobilität besitzen? Auch Schweinfurt hinkt im Vergleich mit anderen Städten hinterher. Über 100 Interviews hat Katja Diehl mit Menschen geführt, die bereits an der Transformation arbeiten. In ihrem daraus entstandenen Buch zeigt sie, wie abhängig viele deutsche Städte vom Auto sind und fordert mutige Schritte für die Mobilitätswende.

Ihr neues Buch 'Raus aus der Autokratie – Rein in die Mobilität von morgen' stellte Bestellerautorin Katja Diehl im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche in der Rathausdiele vor.
Foto: René Ruprecht | Ihr neues Buch "Raus aus der Autokratie – Rein in die Mobilität von morgen" stellte Bestellerautorin Katja Diehl im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche in der Rathausdiele vor.

Der Verkehr und die Mobilität sollten vor allem aus dem Blickwinkel der Inklusion und Barrierefreiheit betrachtet werden, verweist Katja Diehl auf Menschen, die kein Auto fahren können oder wollen oder es sich nicht leisten können. Mit ihrem Buchtitel "Autokratie" will die Autorin darauf aufmerksam machen, dass auf der Straße alles dem Auto unterworfen sei. "Wir sollten raus aus der Autokratie und rein in die Demokratie, damit es allen gut geht." Und sie fordert auf, aktiv zu werden. "Wir haben alle eine Verantwortung, auch kleine Dinge können Großes bewirken."      

Verkehrswende als Chance für die Industrie?

Doch wie kann in der Industriestadt Schweinfurt eine barrierefreie Mobilität gelingen, ohne dass tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen. Autozulieferer ZF will deutschlandweit bis Ende 2028 bis zu 14.000 Arbeitsplätze – also rund jede vierte Stelle – streichen. Am Werksstandort Schweinfurt, der mit rund 9000 Beschäftigten vor allem auf die Elektromobilität ausgerichtet ist, fürchten die Arbeitnehmervertreter einen Wegfall von bis zu 2000 Jobs bis 2028. Aktuell werden dort bereits 380 Stellen bis Ende des Jahres gestrichen.

ZF-Betriebsratsvorsitzender Oliver Moll sieht bei der Mobilitätswende die Industriebetriebe in der Pflicht, Lösungen gegen einen großflächigen Jobabbau zu suchen.
Foto: René Ruprecht | ZF-Betriebsratsvorsitzender Oliver Moll sieht bei der Mobilitätswende die Industriebetriebe in der Pflicht, Lösungen gegen einen großflächigen Jobabbau zu suchen.

ZF-Betriebsratsvorsitzender Oliver Moll sagt: "Wir müssen uns neu erfinden." Das Neugeschäft Elektromobilität könne die Verluste nicht ausgleichen und das Altgeschäft reiche nicht mehr aus.

"Wir brauchen keine krassen Elektro-SUVs, die nur das Ego aufpumpen."
Katja Diehl, Mobilitätsexpertin und Bestsellerautorin

Katja Diehl sieht gerade in der Verkehrswende eine Chance für ZF. Denn die Komponenten und Systeme für die E-Mobilität würden nicht nur für den Pkw gebraucht, sondern auch für Nutzfahrzeuge und Busse. "Ihr könntet eine totale Hilfe in der Mobilitätswende sein", glaubt sie.

Verdi-Bezirksgeschäftsführerin Marietta Eder verweist auf den Bedarf an Busfahrern, den die Mobilitätswende erfordern werde. Bei den Stadtwerken werde dieser groß sein, prognostiziert sie. Es gehe nicht darum, das Auto abzuschaffen, sondern eine Mobilität zu ermöglichen, die für alle da ist. Ihr Statement: "Ja zur Industrie, aber was wir bauen, darüber sollten wir nochmal nachdenken."

Verdi-Bezirksgeschäftsführerin Marietta Eder sagt, die Mobilitätswende werde neue Arbeitsstellen schaffen, weil der Bedarf an Busfahrern wachsen werde. 
Foto: René Ruprecht | Verdi-Bezirksgeschäftsführerin Marietta Eder sagt, die Mobilitätswende werde neue Arbeitsstellen schaffen, weil der Bedarf an Busfahrern wachsen werde. 

ZF-Betriebsratsvorsitzender Oliver Moll erkennt mit Blick auf nachfolgende Generationen: "Wir brauchen bei der Mobilität mehr Nachhaltigkeit." Die Betriebe müssten ihr Produktportfolio nochmal durchforsten und entsprechende Lösungen anbieten.

"Ja zur Industrie, aber was wir bauen, darüber sollten wir nochmal nachdenken."
Marietta Eder, Verdi-Bezirksgeschäftsführerin

Katja Diehl hat in der Podiumsdiskussion herausgehört, dass "ganz viel Kraft" für die Industrie in Bus und Bahn steckt. "Wir brauchen keine krassen Elektro-SUVs, die nur das Ego aufpumpen", sagt sie. Busse seien die Zukunft für alle. ZF sieht sie dabei als "Swingman", eine Lösung zu schaffen.  

Aus Parkflächen Radwege machen

Auch die Kommunen sieht Katja Diehl in der Pflicht. Sie sollten "alles oberflächige Parken" abschaffen und die freigewordenen Flächen entlang der innerstädtischen Straßen mit Farbe und Bollern zu Fahrradwegen deklarieren. Für die Autos gebe es genug Stellplätze in den Parkhäusern und Parkplätzen an der Peripherie. "Das ist nicht teuer, das kostet nur den Mut, es zu tun."

Am Ende verrät die Mobilitätsexpertin auch, welchen Tipp sie Oberbürgermeister Sebastian Remelé gegeben hätte: "Ich hätte ihm gesagt, er soll sich einmal im Rollstuhl oder mit dem Kinderwagen durch Schweinfurt bewegen." Denn wenn man mal eine andere Perspektive bei der Betrachtung der Lebensqualität seiner Stadt einnehme, entstünden auch Visionen für eine zukunftsgerechte Mobilität. 

Agenda-Sprecher Manfred Röder, der den Oberbürgermeister bei noch keiner Veranstaltung der von Ehrenamtlichen organisierten Europäischen Mobilitätswoche in Schweinfurt gesehen hat, will sich nicht mehr auf die Politik verlassen. "Wir müssen uns selbst einsetzen", ist sein Appell an die Gesellschaft für eine nachhaltige Verkehrswende. 

Europäische Mobilitätswoche

Die Europäische Mobilitätswoche ist eine Kampagne der Europäischen Kommission. Seit 2002 bietet sie Kommunen aus ganz Europa die Möglichkeit, ihren Bürgerinnen und Bürgern die Bandbreite nachhaltiger Mobilität vor Ort näherzubringen. Es werden innovative Verkehrslösungen ausprobiert oder mit kreativen Ideen für eine nachhaltige Mobilität in den Kommunen geworben. So werden beispielsweise Parkplätze und Straßenraum umgenutzt, neue Fuß- und Radwege eingeweiht, Elektro-Fahrzeuge getestet, Schulwettbewerbe ins Leben gerufen und Aktionen für mehr ⁠Klimaschutz⁠ im Verkehr durchgeführt.
2023 fand die Europäische Mobilitätswoche in 3351 Kommunen weltweit statt. In Deutschland machten 188 Kommunen mit. Die Stadt Schweinfurt ist seit sechs Jahren dabei. Organisiert und ausgerichtet wird die Mobilitätswoche von den ehrenamtlich Aktiven der Arbeitsgruppe "Klimafreundliche Mobilität" der Lokalen Agenda 2030 mit Unterstützung des Bau- und Umweltamtes der Stadt Schweinfurt.
Quelle: Umweltbundesamt/is
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Irene Spiegel
Europäische Kommission
Mobilität
Parkhäuser
Rathaus Schweinfurt
Sebastian Remelé
Stadt Schweinfurt
Stadtwerke
Verkehrswende
Ziele für nachhaltige Entwicklung
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Erich Spiegel
    Noch eine Podiumsdiskussion. Im Quatschen sind wir Weltspitze. In der Industrie geht es leider bergab. Wer was für die deutschen Innenstädte tun möchte kann an deutsche Schnarchnasen Politiker schreiben. Während sie diskutieren, handeln andere in der Welt. Chinesische Internet Firmen fluten Europa mit billigen Waren. Da kann das kleine Geschäft in Schweinfurt nicht mehr konkurrieren. China ist billig (u.a.), weil sie beim Zoll und MWSt tricksen. Datenschutz? Fehlanzeige. Der Chinesische Geheimdienst kennt Konto-Nr. und Adresse von 43% der Bevölkerung. Soviele bestellen nämlich bei Temu und Co. Wenn ich im Krankenhaus Anrufe und nach meiner Oma frage bekomme ich keine Auskunft mit Hinweis auf Datenschutz. Verkehrte Welt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Franz Barthel
    Besteller-Autorin

    Ich zitiere aus der Schubert-Messe: "Wohin soll ich mich wenden?
    Konkret: Wo und wie kann ich die Besteller-Autorin bestellen ?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Hans-Ullrich Völker
    "Für die Autos gebe es genug Stellplätze in den Parkhäusern und Parkplätzen an der Peripherie. " Das hat die Expertin sehr gut recherchiert. Allein am städtischen Krankenhaus sind Parkplätze im Überfluss vorhanden. Und selbst die braucht man ja nicht, wenn man bereit ist, die Perspektive zu ändern. Patienten können auch mit dem Bus oder dem Fahrrad bequem aus den Hassbergen, dem Steigerwald oder der Vorrhön nach Schweinfurt rollen. Oder etwa nicht?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Waldemar Thurn
    Natürlich kann ich mit dem Bus um 7:00 Uhr fahren wenn ich am Nachmittag einen Termin habe.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Peter Fischer
    Woher will diese Expertin denn wissen, dass die Käufer von "krassen Elektro-SUVs" diese nur gekauft haben, um ihr Ego "aufzupumpen"? Vielleicht wollen sie auch nur den Komfort, den es bietet, Kinderwagen, Regenschirm, Einkäufe, Kindersitze, Bobbycar, Hund, Getränkekisten etc. Mit sich führen zu können und vom ÖPNV unabhängig zu sein. Schweinfurt braucht mehr und nicht weniger Parkplätze, wenn die Geschäfte der Innenstadt nicht zugunsten von Einkauszentren auf der grünen Wiese zum Aufgeben gezwungen werden sollen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Jürgen Heurich
    Na da ist ja schon der erste der als betroffener Pfeift, also hat sie alles richtig gemacht. Als ob der SUV mehr Kofferraumvolumen hat, als ein Kombi und von welchem "Komfort" sprechen wir denn bitte genau? Von mir aus, können die Parkkosten gerne 5€/h betragen und damit wird kostenloser ÖPNV finanziert, dann nehmen mehr Menschen den Bus und das Fahrrad, die Stadt wird automatisch autofreier.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Peter Fischer
    Ich spreche von dem Komfort, all die Sachen bei mir zu haben, die ich gerne bei mir haben möchte und nicht auf den ÖPNV angewiesen zu sein. Denn der ist oft keine Option, vor allem, wenn man auf dem Land wohnt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Peter Fischer
    Falsch geraten. Ich fahre meistens einen 125er Motoroller und bei Regen oder besonderem Bedarf einen Nissan Micra.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Niklas Keilholz
    Ich denke niemand sagt etwas gegen ein Auto das tatsächlich voll ist.
    90% der Autos auf Schweinfurts Straßen haben aber genau einen Insassen. Hier ist der Flächen und Ressourcenverbrauch pro Kopf gesehen ungleich höher.

    Auch Ihr Argument mit den Einkaufszentren auf der grünen Wiese ist leider so nicht richtig. Genau die fußgängerfreundlichen Innenstädte mit hoher Aufenthaltsqualität haben sich als äußert resilient erwiesen und passen sich schneller an neue Einkaufsgewohnheiten und Bedürfnisse an.
    In der Stadtgalerie gibt es mehr als genug Parkplätze und trotzdem so viel Leerstand.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten