Eine neue Puppe, dazu das passende Puppenhaus, ein Malkasten, Videospiele und vielleicht auch gleich noch ein paar Bauklötze – jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit füllen sich vielerorts wieder die Wunschzettel. Neben leuchtenden Kinderaugen sorgt diese Tradition bei vielen Eltern häufig vor allem für Stress und Unsicherheit. Denn beim Schenken kann viel schiefgehen.
Und nicht nur das eigene Schenken stellt Eltern vor Herausforderungen. Meist wollen auch alle Verwandten den Kleinen etwas Gutes tun, sodass sich am Ende nicht selten Berge an Geschenken unter dem Baum türmen. Dabei können sich zu viele Geschenke sogar negativ auf die kindliche Psyche auswirken, warnt Christian Güra. Er ist Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche in Schweinfurt. Er gibt Tipps, worauf Eltern und Angehörige beim Beschenken von Kindern achten können.
Wie lang darf der Wunschzettel für Weihnachten denn werden?
Wenn es um Weihnachtswünsche geht, kommen Kinder schnell vom Hundertsten ins Tausendste. Sollten Eltern hier Einhalt gebieten? Nicht unbedingt, meint Christian Güra. Den Wunschzettel auf eine bestimmte Anzahl an Wünschen zu begrenzen sei nicht notwendig. Eltern könnten ihren Kindern beim Formulieren ihrer Wunschliste ruhig freien Lauf lassen. Wichtig sei jedoch, dass die Kinder lernen, nicht jeden Wunsch erfüllt zu bekommen.
"In unserer Konsumgesellschaft ist es so, dass Kinder ihre materiellen Wünsche oft sehr schnell erfüllt bekommen. Dadurch könnten sie die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub zum Teil verlieren", sagt der Therapeut. Bedürfnis- oder auch Belohnungsaufschub meint dabei, dass die Befriedigung eines Bedürfnisses oder die Belohnung für ein Verhalten nicht sofort sondern verzögert erfolgt. Dadurch entwickeln Kinder wichtige Frustrationstoleranz und lernen mit dem Ausbleiben eines erwarteten Erfolgserlebnisses umzugehen. Bei allzu umfangreichen Wunschzetteln rät der Experte den Eltern, im Gespräch mit dem Kind dessen absoluten Herzenswunsch herauszufinden und primär diesen zu erfüllen.
Welche Wünsche sollte ich meinem Kind sonst noch erfüllen?
In vielen Elternforen kursiert der Rat, sich beim weihnachtlichen Schenken an die sogenannte 4-Geschenke-Regel zu halten. Je nach Definition bekommt das Kind hierbei einen Herzenswunsch erfüllt, etwas Nützliches, das es gebrauchen kann, etwas zum Anziehen und etwas zum Lesen. Auch Christian Güra hält diese Faustregel für eine gute Orientierung. Er würde allerdings noch einen fünften Punkt hinzufügen. "Das schönste Geschenk ist Zeit, die man mit dem Kind verbringen kann. Das ist auch für die Entwicklung der Kinder das Förderlichste", sagt er. Dabei müsse es nicht immer ein konkretes Ereignis sein, hier seien Regelmäßigkeit und Exklusivität der Schlüssel. Also Zeit, in der das Kind alleine, ohne Geschwisterkinder, die volle Aufmerksamkeit von Mama oder Papa bekommt und die es abseits vom Alltagsstress frei gestalten kann.
Können zu viele Geschenke für Kinder schädlich sein?
Werden Kinder mit Geschenken überhäuft, könnte es sein, dass die Reizüberflutung sie überfordert, meint Güra. Außerdem warnt er davor, mit großen Mengen an Geschenken falsche Signale zu senden. "Kinder könnten dadurch lernen, mit etwas Materiellem emotionale Defizite auszugleichen und den Eindruck gewinnen, dass es ein materielles Geschenk braucht, um zu zeigen, dass sie geliebt werden", sagt der Therapeut. "Hier sollte man nicht den Grundstein für eine narzisstische Fehlentwicklung legen", warnt er. Es bestehe die Gefahr, dass Kinder auch im späteren Erwachsenenalter mit immer neuen Anschaffungen den nächsten "Kick" suchen. Ein Verhalten, das auf lange Sicht nicht erfolgreich sein könne, meint der Experte.
Wie können Eltern Verwandte sinnvoll ins Schenken mit einbinden?
So schwer es auch sein mag – den Geschenkefluss der Onkel, Tanten, Omas und Opas einzudämmen und konkrete Absprachen zu treffen, sei durchaus sinnvoll, rät der Experte. "Es muss nicht sein, dass das Kind 20 teure Geschenke auspackt", sagt er. Besser sei es, klare Regeln aufzustellen, wie viel geschenkt werden darf und sich vielleicht auf ein paar wenige Geschenke zu einigen und diese gemeinsam zu schenken. Zudem müsste es auch hier nicht immer etwas Materielles sein. "Es ist auch schön, wenn ein Geschenk der Onkel und Tanten mal aus einem Besuch und einer gemeinsamen Unternehmung besteht", sagt Güra.
Was kann ich beim Akt des Schenkens oder der Bescherung beachten?
Nicht nur das Geschenk an sich, auch die Geste spielt beim Schenken eine wichtige Rolle. Hier könnten Eltern darauf achten, das Schenken, Aufpacken und Begutachten des Geschenks als gemeinsames Erlebnis zu gestalten, rät Güra. "Wichtig ist, dass die Eltern mit dabei sind, den Prozess begleiten und sich gemeinsam mit dem Kind freuen", sagt er. So könnten sie auch Enttäuschungen, wenn etwa eine bestimmte Sache nicht unter den Geschenken ist, emotional auffangen.
Außerdem könne es sinnvoll sein, die Bescherung zu strukturieren, beispielsweise indem die Kinder immer abwechselnd je ein Geschenk auspacken, statt alles auf einmal und wild durcheinander. So richte sich der Fokus auf ein Ereignis und die ganze Familie könne sich gemeinsam freuen, meint der Experte. Auch das gemeinsame Aufräumen des Papiers im Anschluss an die Bescherung könne Teil dieses Prozesses sein. "Diese Ordnung und Struktur können helfen, dass sich Kinder von den Eindrücken nicht so schnell überfordert fühlen", sagt der Therapeut.
Ab welchem Alter ist es überhaupt sinnvoll, mein Kind zu beschenken?
Ab wann Kinder das Beschenktwerden wirklich begreifen, hänge sehr von ihrer individuellen Entwicklung ab, meint Güra. Eine Empfehlung, ab welchem Alter oder welcher Entwicklungsstufe es sinnvoll ist, Kinder zu beschenken, könne es deshalb kaum geben. Das materielle Beschenktwerden dürften aber gerade sehr junge Kinder im Alter von bis zu einem Jahr höchstwahrscheinlich noch nicht wirklich begreifen. "Die Fähigkeit, Dinge kognitiv einzuordnen, beginnt in der Regel erst ab einem Alter von etwa zwei Jahren", sagt Güra.
Trotzdem dürften Eltern natürlich auch ihren Allerkleinsten zu Weihnachten eine Kleinigkeit schenken. Hier empfiehlt der Therapeut zum Beispiel ein taktiles Spielzeug, das die Sinne des Kindes besonders anspricht und Lernprozesse fördert. Allerdings sollte dieses vor allem nach Bedarf besorgt werden und muss nicht unbedingt an eine bestimmte Festlichkeit gebunden sein. Viel wichtiger sei die Kleinsten an Weihnachten emotional abzuholen, meint Güra. "Die emotionalen Wahrnehmung fängt schon im Mutterleib an", sagt er. "Wenn an Weihnachten also die ganze Familie in harmonischer Atmosphäre zusammenkommt, die Zeit genießt und zum Beispiel gemeinsam Lieder singt, dann spüren das auch sehr kleine Kinder."