"Weihnachtspostfiliale, Schotte am Apparat." Rosemarie Schotte hebt das Telefon ab. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch. Plexiglasscheibe. Papiere. Laptop. Cola-Light und das Telefon, in das hinein sie einem Herren gerade erklären muss, wo er gerade gelandet sei, dass heute keine Bürgersprechstunde sei und es auch nichts an der Sache ändere, dass er gerade zufällig im Dorf sei. So weltlich geht manchmal zu, hier "Am Kirchplatz" 3, 97267 Himmelstadt.
Ausruhen müsste sie sich gerade, die 80-jährige Schotte. Lange stehen geht nicht mehr, ihr tut dann alles weh, was 80-Jährigen eben so weh tut. Was natürlich nichts ändert, dass sie nach dem Auflegen wieder aufsteht, weiter erklärt, organisiert. Weiter macht. "Die Weihnachtspostfililale", sagt sie. "Das ist mein Baby."
An eine Pinnwand neben ihr hat sie Wunschzettel gehangen. Emilia wünscht sich einen Detektiv-Koffer. Amelie wünscht sich ein Walkie-Talkie, eine Barbie, aber auch ein Buch und eine CD (von wem und über was hat sie vergessen hinzuschreiben). Mila wünscht sich eine Hängeschaukel, ein namenloses Kind wünscht sich eine Luxusvilla, ein Riesenrad, eine Schiffschaukel. Ein anderes Kind wünscht sich, dass Papa öfter Zuhause ist. Daneben hat es einen Christbaum gemalt und Sticker aus dem Film "Eiskönigin" geklebt. Kein Zentimeter Pinnwand ist mehr frei.
In der Ecke sitzt ein rotbäckiger Weihnachtself, ein zweiter am Sortiertisch. Im Fenster kann man den Schatten eines Sterns hinter den Jalousien erahnen. Etwas Weihnachtsstimmung zwischen aufgestapelten gelben "Deutsche Post"-Kisten. Dazu fünf Helfer, ein Reporter, eine Rosemarie Schotte. Es ist inzwischen die zweite Corona-Vorweihnachtszeit.
Wie das Weihnachtspostamt nach Himmelstadt kam
So weit die nüchterne Bestandsaufnahme dieses für viele Kinder so mystischen, geheimnisvollen Ortes. Muss ja auch krass für ein Kind klingen das Wort: Weihnachtspostfiliale. 80 000 Wunschzettel an das Christkind, in ihnen die tiefsten Wünsche, Sorgen und Nöte, landen jedes Jahr hier. Jeder Brief wird von Rosemarie Schotte und ihrem Team aus Freiwilligen gelesen und beantwortet. Seit über 35 Jahren geht das so in der Weihnachtspostfiliale.
Angefangen hat das mit den Wunschzetteln jedoch schon lange davor. Immer wieder mal hätten Kinder nach Himmelstadt geschrieben. "Liegt ja auch nahe, bei dem Namen", sagt Schotte auf ihre trockene Art. Weil niemand wusste wohin mit den Kinderbriefen, habe einfach irgendwer, meistens der Posthalter, geantwortet. Irgendwann sei die Post in Würzburg dahinter gekommen, habe das Beantworten übernommen. Sie glaube, dass es denen bald zu viel wurde, sagt Schotte. 1985 sourcte die Post das Beantworten der Brief nach Himmelstadt zurück, seitdem gibt es die Weihnachtpostifiliale.
Wie Rosemarie Schotte ans Weihnachtspostamt kam
Rosemarie Schotte fing vor 29 Jahren als Freiwillige an, bald darauf leitet sie den Laden. Auf ehrenamtlicher Basis, natürlich, obwohl sie das ganze Jahr über beschäftigt sei. Sie organisiert den Ablauf. Sie organisiert Freiwillige. Sie gibt Interviews. Sie gestaltet den Poststempel. Sie schreibt den Antwortbrief, der an die meisten der 80 000 Einsendungen zurück geht. Dieses Jahr wird es um die Arbeit in der Geschenke-Werkstatt, die Weihnachtsbäckerei und auch Corona gehen.
Was Rosemarie Schotte nicht machen kann, das delegiert sie an die Tochter (die Zeichnungen auf den Briefen) oder den Ehemann (alles Körperliche und das Briefe stempeln). "Da gibt's dann Zoff", sagt sie und lacht. "Alles muss so werden, wie ich es mir vorgestellt habe." Würde mal was schiefgehen, dann könnte man sagen: Die Schotte ist schuld. Die Verantwortung sei enorm.
Die Himmelstadter Weihnachtspostfiliale ist die einzige in Bayern, die Eröffnung, das Drücken des Stempels auf den ersten Antwortbrief, ein gern genommener Foto-Termin für wichtige Leute. Der Markus Söder war vor ein paar Jahren mal da, damals noch als bayerischer Finanz- und Heimatminister. Söder, vom Besuch offenbar so nachhaltig beeindruckt, verlieh nur kurze Zeit später Rosemarie Schotte stellvertretend für das ganze Team den Heimatpreis Unterfranken. "Ein persönliches Anliegen", wie er damals sagte. Vergangenes Jahr setzte die bayerische Digitalministerin traditionsgemäß den ersten Stempel auf den nicht digitalen Brief. Dieses Jahr wird's der Würzburger Bischof machen.
Wie die Briefe zu den Kindern kommen
Als die fünf Helferinnen an diesem Nachmittag durch die Tür ins Weihnachtspostamt treten: kaum mehr Smalltalk als notwendig. Ein "Oh, heute ist auch mal ein Mann da". Ein "Ich bin der Reporter, ich schreibe nur". Schotte fragt: Die Hände desinfiziert? Den Impfausweis dabei? Dann schon delegiert sie zu den Plätzen. Abstand einhalten, mahnt sie noch. Heute gebe es viel zu tun.
In der Weihnachtspostfiliale gibt es Arbeitsteilung. Ein paar Helferinnen lesen die Briefe und kategorisieren sie. Standard, Ausland, Kindergärten und Schulen, Recherche, Zusatz. Was nicht da reinpasst kommt in "Besondere/Schotte".
Die anderen packen die Antworten in die Briefe. Es gibt Umschläge für Kinder mit Zeichnungen drauf. Dort komme der Brief hinein, verschiedene Postkarten und ein Lesezeichen, erklärt Schotte einer neueren Helferin. Erwachsene bekämen einen anderen Umschlag und kein Lesezeichen, dafür ein Weihnachtsrätsel.
Wie viele Erwachsene schreiben denn? "Ach", sagt Schotte dann und atmet tief aus. "Viele." Früher hätten fast nur Kinder geschrieben. Klar, ein paar Erwachsene seien zwar auch darunter gewesen, aber nicht in diesem Ausmaß.
Mancher teilt dem Christkind Sorgen und Nöte mit
Und was wünschen sich Erwachsene so? "Notwendige Dinge, die ihnen oft über das Jahr hinweg kaputtgegangen sind. Eine Waschmaschine oder einen Herd zum Beispiel." Schotte sagt, viele seien zu stolz, sich helfen zu lassen. Denen schreibe sie dann auch persönlich, wo sie sich hinwenden könnten. "Manche, vor allem ältere Herrschaften, sind aber auch einsam. Die erzählen dann von sich." Das sind so Fälle für das Fach "Besondere/Schotte".
Es gibt sie übrigens auch, die Fälle, in denen die Weihnachtspostfiliale nicht antwortet. Schotte erinnert sich an eine Frau, die einen Brief mit 70 Adressen geschickt habe. Dazu einen 20-Euro-Schein. "Wir sollten ihre Weihnachtspost erledigen." Rosemarie Schotte lacht. Sogar dem Masseur hätten sie schreiben sollen, dass er so gut massiere. "Das haben wir natürlich nicht gemacht und das Geld zurückgeschickt."
Was wünschen sich die Kinder dieses Jahr?
Anders da die Wünsche der Kinder: "Lego, Playmobil, Barbie. Das sind seit Jahren die Dauerbrenner", sagt Schotte. Viele wünschten sich auch Corona weg und dass die Menschen gesund bleiben würden. Manchmal sei ein echtes Pferd auch darunter, also unter den Wünschen.
Letzte Frage, es gibt ja noch viel zu tun für Rosemarie Schotte und ihre Helferinnen (die sich übrigens über jede Hilfe freuen würden, auch männliche): Gibt es einen Brief, der ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Natürlich hat Schotte sofort einen parat.
"Auf dem Dachboden hat eine Frau einen Wunschzettel ihrer 90-jährigen Oma gefunden, den sie 79 Jahre zuvor an das Christkind geschrieben hat. Sie hat ihn dann uns geschickt, mit der Bitte, ihn doch zu beantworten. Ich habe mir da Zeit genommen, zwei Seiten habe ich geantwortet. Handschriftlich natürlich. Am 24. Dezember hat sie ihn erhalten und sich riesig gefreut. Sie hat ihn sogar auswendig gelernt. Im Januar ist sie dann gestorben. Ihre Pfleger haben erzählt, wie sie vom Brief geschwärmt hat. Ich bin immer noch mit der Familie in Kontakt."
Kaum eine Geschichte charakterisiert Rosemarie Schotte wohl besser.