
Wenn der Schmerz das erste Mal auftritt, dann denkt man noch, das gehe schon wieder vorbei, sagt Andrea Depner. Vielleicht ein verrenkter Wirbel, vielleicht Überlastung – nichts, was sich mit ein bisschen Ruhe oder Therapie nicht wieder in den Griff bekommen ließe. Ganz sicher jedenfalls nichts von Dauer, sei sie sich damals sicher gewesen.
"Damals" – das war im Sommer vor vier Jahren. Da plagten Andrea Depner plötzlich immer wieder Rückenschmerzen. Groß Gedanken gemacht habe sie sich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht, sagt die 47-Jährige: "Ich dachte mir, das geht schon wieder vorbei. Und habe eben versucht, was wahrscheinlich jeder so macht: Massagen, manuelle Therapie beim Arzt – aber die Schmerzen gingen nicht weg."
Ursache für die starken Schmerzen blieb lange ein Rätsel
Vier Jahre später sitzt Depner am Esstisch in ihrer Haßfurter Wohnung, ein Knie lässig an die Brust gezogen. Sie wirkt nachdenklich bei dem Versuch, sich an den Weg ihrer Diagnose zu erinnern.
"Im Dezember 2019 habe ich gemerkt: Da stimmt was nicht. Das ist nicht normal. Ich hatte so starke Schmerzen, ich konnte fast nicht laufen, ich kam nicht aus dem Bett hoch."
Ein paar wenige Treppenstufen auf dem Weg zur Arbeit – für die gelernte Arzthelferin damals eine fast unüberwindbare Hürde: "Ich musste mich mit aller Kraft am Geländer hochziehen, weil ich es einfach nicht geschafft habe, einen Fuß hochzuheben und auf die Stufe zu setzen. Solche Schmerzen hatte ich. Ich wusste nicht, was mit mir los ist."
Auch für Oliver Bechmann blieben die starken Schmerzen, die mit 18 während eines Ferienjobs am Fließband eingesetzt hatten, jahrelang ein Rätsel. Ein schmerzhaftes Ziehen, das ausgehend vom Kreuz-Darmbein-Gelenk am unteren Teil der Wirbelsäule bis ins linke Bein ausstrahlte.

"Am Anfang dachte ich, ich hätte mich einfach überlastet. Ich war das lange Stehen ja nicht gewohnt", sagt der 42-Jährige aus Madenhausen (Lkr. Schweinfurt). Als die Schmerzen nicht nachließen, suchte er das erste Mal ärztlichen Rat.
Die Schmerzen wurden immer schlimmer: "Die Ärzte waren ratlos"
Für Oliver Bechmann begann damit ein jahrelanger Ärztemarathon. Warum er – jung, topfit, sportlich, aktiv – plötzlich unter so starken Schmerzen litt, dass er zeitweise kaum das Haus verlassen konnte, habe ihm lange niemand beantworten können. "Die Ärzte waren ratlos. Aber die Schmerzen wurden immer schlimmer. Es war wirklich krass. Ich konnte kaum laufen, kaum sitzen."
Immer wieder wandert der Blick des 42-Jährigen zu einem Stapel Papier vor sich auf dem Tisch. Handschriftlich sind darauf Jahreszahlen, Kliniken, Symptome und Therapieansätze notiert – Bechmanns Krankheitsgeschichte. "Im Nachhinein war ich ziemlich schockiert, als ich das noch einmal alles gesehen habe", sagt er. Zeitweise habe er dreimal täglich Ibuprofen eingenommen, dazu weitere Schmerzmittel. Die Schmerzen blieben trotzdem.
Nach Jahren ohne Diagnose kamen die Zweifel
Wirklich schlimm seien jedoch die Zweifel gewesen, sagt der gelernte Handelsfachwirt heute: "Ich hatte Beschwerden aber keine Diagnose. Da kamen dann auch mal Aussagen wie: Ach, der hat doch nur Rückenschmerzen. Und in einem der Befunde stand auf einmal, man sei sich nicht sicher, ob ich denn wirklich etwas habe."
Dass die Suche nach der Ursache seiner Schmerzen hier nicht endete, habe er vor allem seinem Vater zu verdanken: "Er hat keine Ruhe gegeben und sich von den Ärzten nicht abkanzeln lassen. Das war mein großes Glück und dafür bin ich ihm bis heute dankbar."
2010 entdeckte ein Rheumatologe dann im MRT plötzlich Schädigungen an Bechmanns Kreuz-Darmbein-Gelenk. Mit Ende 20, zwölf Jahre nach Beginn der Schmerzen, erhielt der Madenhausener die Diagnose: Morbus Bechterew.
Morbus Bechterew kann zu einer vollständigen Versteifung der Wirbelsäule führen
Laut dem Bundesverband der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew e.V. (DVMB) mit Sitz in Schweinfurt leben in Deutschland rund 450.000 Menschen mit der Erkrankung. Sie ruft Entzündungen entlang der Wirbelsäule hervor, die mit fortschreitendem Verlauf zu einer Verknöcherung der Gelenkumgebung, im Endstadium sogar zu einer vollständigen Versteifung der Wirbelsäule führen können.
Mit seiner späten Diagnose ist Oliver Bechmann kein Einzelfall. Noch immer vergehen laut DVMB in der Regel sieben Jahre zwischen Beginn der Schmerzen und der endgültigen Diagnose. Für viele Betroffene ein langer Leidensweg.
Andrea Depner erhielt ihre Diagnose im April 2020 – nur wenige Monate nach Beginn der Schmerzen. Glück im Unglück, sagt die Haßfurterin. Als Arzthelferin in der Radiologie habe sie recht schnell einen MRT-Termin bekommen. Die Ergebnisse waren auffällig, weitere Untersuchungen bestätigten den Verdacht: Auch sie ist an Morbus Bechterew erkrankt.

Ein schwerer Schlag damals: "Ich war mit der Situation überfordert und habe mich gefragt: Warum ich? Ich habe gedacht, ich verliere den Boden unter den Füßen." Was sie in der Zeit aufgefangen habe: ein Reha-Aufenthalt und der Kontakt mit anderen Betroffenen.
Plötzliche Entzündungsschübe machen die Krankheit unberechenbar
In der Klinik erfuhr sie viel über die Krankheit und Therapiemöglichkeiten. Zwar ist Morbus Bechterew nicht heilbar, mittels individuell abgestimmter Therapie kann der Krankheitsverlauf aber zumindest reduziert oder sogar inaktiviert werden, informiert die DVMB.
Was vielen Betroffenen besonders zu schaffen macht, sind die plötzlich auftretenden Entzündungs-Schübe. Denn Morbus Bechterew ist unberechenbar, der Verlauf von mild bis hochaggressiv höchst individuell.

Die Schübe zu beschreiben, fällt Andrea Depner schwer. "Sie kommen urplötzlich, sind einfach da und dann geht gar nichts mehr." Meist kämen sie über Nacht, fingen mit der charakteristischen Morgensteifigkeit an.
"Ich wache auf und kann mich nicht bewegen. Manchmal komme ich ohne Hilfe nicht aus dem Bett, weil ich mich wegen der Schmerzen nicht drehen kann", sagt Depner. Dann sei sie auf die Unterstützung ihrer Familie angewiesen.
Mittlerweile habe sie für sich einen Weg gefunden, mit der Erkrankung umzugehen. Wie vielen Miterkrankten helfe ihr vor allem Sport, die Beweglichkeit zu erhalten. So leitet sie etwa weiterhin zweimal pro Woche Qigong-Kurse. Besonders dankbar ist sie dafür, bislang nicht dauerhaft auf starke Rheumamedikamente angewiesen zu sein. Die Schmerzen hält sie nur bei Bedarf kurzzeitig mit Schmerzmitteln in Schach.
Sein Therapieweg sei vor allem durch ein Ereignis beeinflusst gewesen, sagt Oliver Bechmann: die Geburt seines ersten Sohnes. Dass er wegen der Schmerzen in dessen ersten Lebensjahren an vielen Familien-Aktivitäten nicht teilnehmen konnte, traf ihn hart: "Ich hatte Angst, dass mein Kind vielleicht nicht normal aufwächst, weil sein Vater nicht alles machen kann. Das war der Moment, in dem ich zu meinem Arzt gesagt habe: So geht das nicht mehr. Ich will ein Leben führen, dass es mir ermöglicht, mit meinem Kind zu spielen."
Medikamente ermöglichen ein quasi schmerzfreies Leben – mit Risiken
Dass das heute möglich ist und er quasi schmerzfrei ist, habe er der Behandlung mit sogenannten Biologika zu verdanken. Alle paar Monate spritze er sich ein Medikament, das die Ausschüttung entzündungsauslösender Botenstoffe des Immunsystems hemme.
Doch die Behandlung birgt Risiken. Zu den Nebenwirkungen zählen laut DVMB mitunter die Schwächung der Immunabwehr und eine stärkere Anfälligkeit für Infektionskrankheiten. Auch sei über mögliche gefährliche Langzeitfolgen noch wenig bekannt. Eingesetzt werden sie deshalb vor allem in Fällen wie dem Bechmanns, wenn andere Therapien kaum Wirkung zeigten.
"Ich weiß, dass es zu Komplikationen kommen kann", sagt Bechmann. "Aber das Risiko gehe ich bewusst ein, um ein fast normales, schmerzfreies Leben führen zu können."
Was bleibt, ist die Befürchtung: Was wenn die Krankheit fortschreitet?
Was Oliver Bechmann wie auch Andrea Depner seit ihrer Diagnose begleitet, ist die Sorge um ihre Kinder. Laut DVMB gilt Morbus Bechterew zwar nicht als Erbkrankheit, tritt aber familiär gehäuft auf.
"Natürlich habe ich Angst, dass meine Kinder auch dieses Gen in sich tragen könnten und es vielleicht irgendwann aktiv wird", sagt Depner. "Man ist viel hellhöriger, wenn das Kind irgendwelche Schmerzen hat", sagt Bechmann. Dass er mit der Erkrankung mittlerweile gut leben kann, habe ihm die Angst aber ein wenig genommen. "Falls es wirklich so weit kommen sollte, bin ich froh, dass meine Kinder jemanden in der Familie haben, der weiß, wie es ist, betroffen zu sein – vielleicht würde ihnen dann schneller geholfen."