Wer hat schon Zeit, um 14.30 Uhr ins Rathaus zu gehen und von der Zuschauertribüne aus die Sitzung des Schweinfurter Stadtrats zu verfolgen. Und wer hat Lust dazu? Die Antwort ist einfach. Damit Bürgerinnen und Bürger die Politik, die vor Ort gemacht wird, nachvollziehen können, damit diese Politik transparent wird und mehr Menschen erreicht, braucht es sozusagen Barrierefreiheit - öffentliche Livestreams im Netz.
Das ist, knapp zusammengefasst, genau das, was die Mehrheit im Schweinfurter Stadtrat denkt. Und deshalb gab es in der Sitzung am Dienstag auch mit 28 Stimmen (von 41) mehr als eine Zweidrittelmehrheit dafür, dass es weiter Livestreams aus dem Stadtrat gibt.
Zweimal war die Übertragung ins Netz ausgesetzt worden. Der Grund: ein rechtlicher. Als der Stadtrat 2021 beschloss, seine Sitzungen live zu streamen, war die Basis laut Gemeindeordnung eine andere. Inzwischen hat sich das geändert. Seit diesem Jahr muss eine Zweidrittelmehrheit für die Liveübertragung stimmen. Das war bisher nicht der Fall.
Und ohnehin nicht nötig, meint SPD-Stadtrat Peter Hofmann, der die Begründung des Innenministeriums nicht nachvollziehen kann. Schließlich könne jeder im Gremium entscheiden, ob er in Bild und Ton übertragen werden will oder nicht. Sei es drum. Im Kern gehe es um Transparenz, warb Hofmann um eine Zweidrittelmehrheit. Auch, damit "Schweinfurt nicht zum Gespött wird, weil wir nicht nach draußen vermitteln wollen, was hier abläuft im Stadtrat".
Nicht alle Stadträtinnen und Stadträte wollen sich filmen lassen; bei sechs der 44 Stadträtinnen und Stadträte wird die Liveübertragung ausgeblendet, wenn sie sich äußern. Auch ein Teil der Amtsleiterinnen und Amtsleiter macht von seinem Persönlichkeitsrecht Gebrauch.
Schreckt eine Liveübertragung aus der Sitzung ab, sich für den Stadtrat zur Wahl zu stellen?
Stefan Funk, Fraktionsvorsitzender der CSU im Stadtrat, kann es nachvollziehen, "wenn der ein oder andere geschützt reden mag". Manche, so vermutet er, könnte eine Übertragung ins Netz auch davon abhalten, sich ehrenamtlich im Stadtrat zu engagieren. Die Öffentlichkeit sieht er vertreten, durch Presse, die Pressestelle der Stadt und die Möglichkeit für alle, von der Zuschauertribüne aus die Diskussion im Sitzungssaal selbst zu verfolgen.
Die Mehrheit sieht es anders. Das Stichwort, das immer wieder in der Diskussion auftaucht: Transparenz. Auch Linken-Stadtrat Robert Striesow ist sie wichtig, außerdem sei der Livestream ein Mittel, mit dem man Desinformation entgegenwirken könne. Politik Interessierten die Möglichkeit zu geben, sich direkt zu informieren, das sieht Holger Laschka (Bündnis 90/Die Grünen) als Chance. Den Schritt in die Öffentlichkeit sieht wie er auch Adi Schön (Freie Wähler) schon in der Entscheidung, sich für den Stadtrat aufstellen zu lassen.
Zwischen Persönlichkeitsrecht und transparenter Demokratie
Richard Graupner, AfD, verwies darauf, es sei das Recht eines jeden Einzelnen, sich für oder gegen eine Liveübertragung zu entscheiden. Das dürfe man nicht kritisieren. Graupner ist der einzige aus der vierköpfigen AfD-Fraktion, der sich bei Livestreams bisher filmen lässt. Die AfD stimmte gegen eine weitere Übertragung der Stadtratssitzungen.
Dass manche, die live nicht zu sehen und zu hören sein wollen, auch nicht wesentlich etwas zur Diskussion beitragen, diesen Seitenhieb wollte sich Ralf Hofmann (SPD) nicht verkneifen. Sein Votum war klar für die Liveübertragungen: "Es geht um einen Beitrag zur demokratischen Teilhabe, die Demokratie", die man hier vorlebe. Transparenz habe man versprochen, meint Christiane Michal-Zaiser – und das müsse man auch halten. Für Ulrike Schneider (zukunft./ödp) ist es kein Argument, dass die bisherigen Zugriffe auf den Stream eher bescheiden waren. Zu wenig sei für das Angebot geworben worden.
Um mehr Menschen zu erreichen, regte Ulrike Schneider ebenso wie Robert Striesow an, die Streams nicht nur live, sondern auch on demand, also auf Abruf, anzubieten. Damit Menschen dann die Stadtratssitzungen sehen könnten, wenn sie Zeit haben. Darüber, so Pressesprecher Werner Duske, werde man in einer Arbeitsgruppe sprechen. Der Vertrag für die Liveübertragungen laufe bis Jahresende. 36.000 Euro lässt sich die Stadt das kosten.
Eine namentliche Abstimmung, wie Ulrike Schneider sie gefordert hatte, wurde mit 21:21 Stimmen abgelehnt. Dafür gab es für eine Fortsetzung der Livestreams 30 Ja-Stimmen. 28 wären für eine Zweidrittelmehrheit nötig gewesen.