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Schweinfurt
Landgericht Schweinfurt kann keinen versuchten Totschlag erkennen: Belastungszeugen "demontierten" sich selbst
Ein Streit zwischen Teenagern eskaliert, die Väter schalten sich ein. Vor Gericht geht es um ein versuchtes Tötungsdelikt. Die Kammer kommt zu einem anderen Ergebnis.
Der Prozess gegen einen Vater und seinen Stiefsohn vor dem Landgericht Schweinfurt ist zu Ende gegangen: Die Kammer sprach den 19-Jährigen frei, der 46-Jährige wurde wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
Foto: Anand Anders | Der Prozess gegen einen Vater und seinen Stiefsohn vor dem Landgericht Schweinfurt ist zu Ende gegangen: Die Kammer sprach den 19-Jährigen frei, der 46-Jährige wurde wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
Stefan Sauer
Stefan Sauer
 |  aktualisiert: 29.09.2024 02:29 Uhr

Da redet ein Jugendlicher beleidigend über ein 15-jähriges Mädchen, was ihr über Bekannte zugetragen wird. Sie ist verletzt, doch der 19-Jährige entschuldigt sich telefonisch. Damit hätte es sein Bewenden haben können. Was dann genau folgt, "wissen wir alles nicht", sagt die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung am dritten Prozesstag vor dem Landgericht Schweinfurt. Wahrscheinlich sei, dass der Vorschlag zur "Aussprache" über die Beleidigung von der Familie der 15-Jährigen gekommen sei.

Fest steht wiederum, dass der Vater des Mädchens zusammen mit diesem am ersten Weihnachtsfeiertag letzten Jahres in die Nähe des Hauses in Bad Kissingen fährt, in dem der 19-Jährige wohnt. Als dessen 46-jähriger Stiefvater auf den Vater des Mädchens trifft, bekommt er einen Schlag aufs Auge. Er schlägt zurück, bringt den Aggressor zu Boden, sitzt am Ende sogar auf diesem drauf. Davon gibt es ein Handyvideo der 15-Jährigen.

Der Vater des Mädchens kündigt nun an, seine Kumpels zu Hilfe zu holen. Der Vater des 19-Jährigen geht zunächst ins Haus zurück, kommt dann aber mit seinem Stiefsohn wieder heraus – und hat nun ein Messer dabei. Er öffnet die Fahrertür, schlägt den Vater des Mädchens, dieser schlägt zurück, "eventuell mit einem Schlagstock".

Sechs Messerstiche in Seite und Rücken

Nun zieht der 46-Jährige sein Messer und versetzt dem Vater der 15-Jährigen damit sechs Stiche in Seite und Rücken, jedoch "wohl nicht mit voller Wucht geführt". So bewertet es die Kammervorsitzende in ihrer Urteilsbegründung. Das Messer verursacht laut der Rechtsmedizinerin aus Würzburg eher geringe Verletzungen, nicht konkret lebensbedrohlich.

Zeitgleich soll der 19-Jährige das Mädchen vom Beifahrersitz weg aus dem Auto "gezerrt" und bedroht haben, damit sie keine Polizei ruft. Von der Aussage der 15-Jährigen aber, die zweimal vernommen wurde, gebe es "faktisch nichts, was wir zugrunde legen können", sagt die Vorsitzende Richterin. Deshalb könne dem 19-Jährigen, den der Staatsanwalt der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Nötigung für schuldig erachtet hatte, überhaupt kein strafrechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden. Er wird freigesprochen und erhält für die Untersuchungshaft eine Entschädigung.

Tötungsabsicht oder Notwehrexzess?

Sein Stiefvater aber, mit einer stattlichen Vorstrafenliste, muss wegen gefährlicher Körperverletzung drei Jahre ins Gefängnis und an den Verletzten 3000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Eine Tötungsabsicht erkannte das Gericht nicht, aus Notwehr habe der 46-Jährige aber auch nicht zugestochen. Seine Verteidiger hatten einen "Notwehrexzess" als Erklärung für den Messereinsatz ins Spiel gebracht.

Die Staatsanwaltschaft hatte für den 46-Jährigen wegen versuchten Totschlags eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und einem Monat gefordert, für den 19-Jährigen wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Nötigung 100 Arbeitsstunden.

Über das Aussageverhalten der 15-Jährigen und ihres Vaters – die Hauptbelastungszeugen in diesem Verfahren – findet die Vorsitzende deutliche Worte: "Man erlebt selten Zeugen, die sich derart selbst demontieren." Sie folgt damit auch Argumenten der Verteidiger, die "viele Beeinflussungsversuche der minderjährigen Zeugin durch ihre Eltern" anbrachten.

Sie waren überzeugt, dass der Vater der 15-Jährigen das verhängnisvolle Treffen "für ein klärendes Gespräch nachts um halb eins am Kreisel" initiiert habe, weil ihm die Entschuldigung des 19-Jährigen bei seiner Tochter nicht gereicht habe. Und: Seine Tochter habe das Video zurückgehalten, um die Aggression des Vaters zu verschweigen.

Gegen das Urteil ist Revision möglich.

 
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