Am Mittag des dritten Verhandlungstages im Prozess um eine vermeintliche Massenschlägerei, die sich am 19. Februar 2023 nach dem Faschingsumzug in Hammelburg zugetragen haben soll, ist von fünf Angeklagten nur noch einer übrig.
Er steht mit seinem Verteidiger jetzt ganz vorne vor dem Richterpult, als die Vorsitzende Richterin ein Urteil spricht: Der 29-Jährige ist schuldig des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und der fahrlässigen Körperverletzung und muss 100 Tagessätze à 35 Euro zahlen. Hinsichtlich einer gefährlichen Körperverletzung spricht das Gericht ihn frei.
Die Verfahren nach dem Faschingsumzug in Hammelburg gegen zwei Personen sind eingestellt
Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt hat das Verfahren gegen den 29-Jährigen und einen 18-Jährigen in dem Prozess gegen ursprünglich fünf Männer abgetrennt. Auch das Verfahren gegen den 18-Jährigen stellt das Gericht ein, weil man auch ihm die gefährliche Körperverletzung nicht beweisen konnte. Für die drei übrigen Angeklagten geht es am 12. März weiter.
Wegen einer vermeintlichen Massenschlägerei im Februar 2023 in Hammelburg mussten sich seit Montag ursprünglich fünf Männer zwischen 18 und 35 Jahren vor Gericht verantworten. Sie sollen mehrere Personen geschlagen und getreten haben sowie eine Sicherheitsmitarbeiterin und Polizeibeamte verletzt, bedroht und beleidigt haben.
Ihnen allen hat die Staatsanwaltschaft unter anderem gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Für zwei Angeklagte – einen 21-Jährigen und einen 35-Jährigen – ging es um versuchten Totschlag.
Haftbefehl gegen zwei Angeklagte wird aufgehoben
Tränen fließen, Angeklagte und Angehörige liegen sich in den Armen, nachdem die Vorsitzende Richterin verkündet hat, dass der Haftbefehl gegen zwei der fünf angeklagten jungen Männer aufgehoben wird. Es bestehe kein dringender Tatverdacht hinsichtlich eines versuchten Totschlags mehr, lautet die Begründung des Gerichts. Das Lösen der Fußfessel feiern die Anwesenden wie einen Freispruch.
Doch die Vorsitzende Richterin sagt auch: Es bestehe "kein Grund zur uneingeschränkten Freude". Es gehe noch immer um den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung, der Bedrohung, der Beleidigung und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte.
Schilderung der mutmaßlichen Tathandlungen entsprechen nicht dem Verletzungsbild
In der Anklageschrift ist die Rede von zwei verletzten Unbekannten. Einem von ihnen wollte ein 36-jähriger Sicherheitsmitarbeiter zu Hilfe eilen, der vor Gericht aussagt. Er sei von dreien der Männer angegriffen und gegen den Kopf getreten worden. Der 36-Jährige will auch gesehen haben, wie die Angeklagten einen zweiten Unbekannten mit einem Tritt in den Bauch und gegen den Kopf verletzt haben.
Ein Tritt gegen den Kopf des 36-Jährigen lasse sich nicht belegen, sagt ein Gerichtsmediziner. "Wenn das so ist, erwarte ich ein entsprechendes Verletzungsbild." Etwa aufgeplatzte Lippen, Veilchen, Blut aus der Nase, blaue Flecken, sagt er. Und nicht nur eine Kopfprellung, wie sie ein Arzt diagnostiziert habe.
Auch gehe er nicht davon aus, dass sich der 36-jährige Zeuge in Lebensgefahr befunden habe, sagt der Sachverständige. Gleiches gelte für den beschriebenen Angriff auf den unbekannten Mann.
Verteidigung hinterfragt Ermittlungstaktik der Hammelburger Polizei
Für die Verteidigungen der übriggebliebenen Angeklagten – zwei Brüder und ein 35-Jähriger – steht fest: Die Ermittlungen der Polizeiinspektion Hammelburg seien nicht ausreichend. Die Anwälte bemängeln, dass die Angriffe auf den ersten Unbekannten auf den Aussagen eines einzigen Zeugen beruhen.
Dessen Identität und auch die des zweiten Unbekannten habe der Ermittler, der alleine mit der Sachbearbeitung befasst gewesen sein soll, nicht feststellen können. Es sei ja wohl "kein Hexenwerk, im Krankenhaus anzurufen und zu fragen, ob jemand mit Kopfverletzungen behandelt wurde", sagt einer der Anwälte. Der Zeuge entgegnet: "Was möglich war, wurde von mir ermittelt."
Ein Angeklagter hätte Angst vor der Polizei und würde dann wegrennen
Einsicht in den Charakter der beiden angeklagten Brüder gibt vor Gericht in Schweinfurt eine Familienfreundin. Die Zeugin spricht von Schwierigkeiten in der Familie und der Schule, von Problemen mit der Polizei. Einer der Brüder "hat Angst vor der Polizei", sagt sie. "Wenn er nicht weiß, wie er eine Situation bewältigen kann, dann rennt er weg und ruft um Hilfe."
In Stresssituationen sage er schon mal, er habe eine Kalaschnikow oder ein Messer dabei, schildert die Familienfreundin. Zudem grinse er in unpassenden Situationen. "Das ist hier eine Stresssituation. Nicht, dass hier der Eindruck entsteht, er würde die Verhandlung nicht ernst nehmen", fügt sein Verteidiger hinzu.
Eine psychiatrische Gutachterin stellt bei dem Bruder keine Persönlichkeitsstörung fest, jedoch liege aufgrund einer Erkrankung eine "gesteigerte Impulsivität" vor. Schon als Kind sei er "leicht aggressiv" und "aufbrausend" gewesen. Die Gutachterin hält den 21-Jährigen für den Tatabend für vermindert schuldfähig aufgrund erheblicher Steuerungsmängel – durch seine Erkrankung und die Intoxikation mit Alkohol und Betäubungsmitteln nach dem Faschingsumzug in Hammelburg.