Die 4. Welle der Pandemie schlägt mit voller Wucht in den Krankenhäusern auf, die Intensivstationen sind voll, weil zu den "normalen" Intensivpatienten die überwiegend ungeimpften Covid-Patienten kommen. Patienten, die beatmet werden müssen und nicht selten Atemzug für Atemzug mit ihrem Leben ringen.
Eine Zustandsbeschreibung, die nur erahnen lässt, wie es jenen geht, die täglich diesen wochenlangen Kampf mit ungewissem Ausgang aufnehmen. Die Pflegekräfte auf den Stationen, nicht nur dort wo Covid-Patienten behandelt werden, sind am Limit. Andreas Schenker, Stationsleiter der operativen Intensivstation, und Thomas Heigl, stellvertretender Leiter der internistisch-neurologischen Intensivstation am Leopoldina Krankenhaus Schweinfurt, geben Einblicke in den Pflegealltag in Pandemiezeiten, der alles andere als alltäglich ist.
Über 41 Intensivbetten verfügt das Leopoldina, davon waren, Stand 17. November, 39 belegt. Zehn davon mit Corona Patienten. Dafür die Personaldecke vorzuhalten sei abgesehen von der Pandemie, im Herbst nicht einfach, da wie in anderen Berufen auch im Herbst der Krankenstand steige, so Andreas Schenker.
Dass Pflegekräfte hinschmeißen, weil sie es einfach nicht mehr schaffen, diese Entwicklung gebe es bisher am Leopoldina nicht, freuen sich Schenker und Heigl. Funktionierende Teams, in denen man sich auffängt, seien wichtig. Teams, in denen Kraft zum Durchhalten getankt werden kann. Und die wird dringend gebraucht, denn "langsam kommen Zweifel auf, denn wir machen das nun schon zum vierten Mal durch", ergänzt Andreas Schenker.
Zweifel, auch an der Vernunft der Menschen, die sich nicht impfen lassen, denn die sind es, die mit schweren Verläufen die Intensivstationen fluten. Rund 80 Prozent der am Mittwoch im Leopoldina auf Intensiv liegenden Covid-Patienten waren nicht geimpft, einige davon unter 50 Jahre alt. Geimpfte, die sich infizieren und schwer erkranken, so die Erfahrung der beiden Stationsleiter, seien meist entweder betagt oder bringen Vorerkrankungen mit. Bei den Älteren sei ein wesentlicher Faktor, dass ihre Impftermine lange zurückliegen.
Nicht nur deshalb sprechen sich Andreas Schenker und Thomas Heigl für rasche und flächendeckende Drittimpfungen aus. "Die Politik war viel zu lange mit vielen anderen Dingen beschäftigt, nur nicht mit der dritten Impfung", legt Schenker nach, denn es werde immer klarer, dass der Impfschutz mit der Zeit nachlässt. Es sei ein Stück weit verschlafen worden, Hochrisikogruppen und älteren Menschen zügig die Auffrischungsimpfungen anzubieten.
"Elf Prozent der über 60-Jährigen (Stand 16. November) haben die Auffrischung, das ist definitiv zu wenig", ergänzt Veit Ortel, am Leopoldina Krankenhaus für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Möglichst rasch Drittimpfungen vor allem bei Älteren durchführen und sich dabei nicht akribisch an die Sechsmonatsfrist zu klammern, sei Gebot der Stunde, sind sich die Fachleute am "Leo" einig. Für das Krankenhauspersonal ist das Angebot sich Boostern zu lassen, bereits angelaufen.
Kaum voraussehbar wie sich die Situation entwickeln wird
Massive Belastungen haben die Pflegekräfte in der vierten Welle zu stemmen. Damit einher gehe auch die Enttäuschung der Kolleginnen und Kollegen darüber, dass es so weit kommen musste. Nach der Sorglosigkeit im Sommer mit niedrigeren Inzidenzen werde nun immer noch fröhlich Karneval gefeiert oder in vollen Stadien Fußball gespielt. Die explodierenden Infektionszahlen und, dass die Kliniken volllaufen, dies sei mit Blick auf die Erfahrungen im Pandemieherbst 2020, vorhersehbar gewesen.
Deutlich mehr testen, mehr impfen, Rückbesinnung auf die AHA-Regeln, so das Credo der Pflegefachleute, bei denen die Resultate der Sorglosigkeit landen. "Wir sind kurz vor der Überlastungsgrenze", spricht Thomas Heigl für sein Team. "Wir haben aktuell sieben Covid-Intensivpatienten, aber wir wissen nicht, was uns in drei Tagen erwartet". Kommen Verlegungen aus anderen Häusern, wie entwickelt sich der Zustand unserer Patienten? – Fragezeichen, die täglich neu auftauchen.
Dazu komme, dass die Arbeit mit Vollschutz körperlich sehr kräftezehrend sei. "Nach eins, zwei Stunden wäre dringend eine Pause nötig, man kann aber nicht, weil man den Patienten noch stabilisieren oder in Bauchlage bringen muss". Dazu komme die psychische Belastung, wenn Menschen, die wochenlang gepflegt wurden, doch sterben. Weil Angehörige nicht vorgelassen werden, nur per Handy mit den Erkrankten kommunizieren können, sei es am Ende oft die Pflegekraft, die einem Sterbenden die Hand hält.
Davor, so Thomas Heigl, komme nicht selten das Bedauern darüber, nicht geimpft zu sein. "Ich habe bisher keine Zeit gehabt für die Impfung", habe ihm unlängst ein Covid-Patient erzählt. Mittlerweile ist er gestorben. "Ist es wirklich so schlimm, das Covid?", werde er von Patienten gefragt, die das Virus auf die leichte Schulter nahmen, ergänzt Heigl. Es gebe auch Patienten, die infiziert auf Station kommen und während der ersten Tage noch jede Therapie infrage stellen, nach dem Motto "ist das wirklich notwendig", und Tage später, jetzt mit Beatmung, komme die Einsicht, dass es falsch war sich nicht Impfen zu lassen.
Eng wird es auf den Intensivstationen auch, weil die Liegezeit von Covid-Patienten sehr lange ist. "Die normale Verweildauer auf Intensiv liegt bei rund fünf Tagen", so Andreas Schenker im Hinblick auf Herzinfarkte, Schlaganfälle und andere Intensivfälle. Dagegen sei kaum ein Covid-Patient weniger als 30 Tage und mit hohem Pflegeaufwand auf der Intensivstation. "Einen Patienten umzudrehen, dazu braucht es fünf Leute."
Kristina Schätzlein, Krankenschwester auf der medizinisch-neurologischen Intensivstation, auf der neben Covid-Fällen auch neurologische-und internistische Patienten betreut werden, ist eine, die davon ein Lied singen kann. "Es ist absolut anstrengend, wenn man sechs bis acht Stunden im Zimmer arbeitet und nicht einmal etwas trinken kann." Nach der Schicht sei man einfach nur ausgelaugt, unter Vollschutz sei die Arbeit körperlich und psychisch erschöpfend. "Echt sauer" machen sie Leute, die sich nicht haben impfen lassen "und dann stehen wir da drin und kämpfen um ihr Leben".
Krankenhäuser nicht nur unter ökonomischen Aspekten sehen
Müssen deshalb schon planbare Operationen, die eine intensivmedizinische Nachsorge notwendig machen, verschoben werden? "Wir haben uns entschieden, die OP Kapazitäten für unser Haus mit Beginn der nächsten Woche von elf auf acht Säle zu verringern", so Veit Oertel. Diese Entscheidung ermögliche höhere Flexibilität, um auf deutlich steigende Coronafallzahlen reagieren zu können. Zeitgleich könne Personal aus OP, Anästhesie etc. zur Unterstützung der Intensivkräfte generiert werden.
Unabhängig von der aktuellen Lage sei man in Deutschland im europäischen Vergleich sehr gut aufgestellt im Hinblick auf die Intensivbetten-Kapazität. Für die Zukunft brauche es aber eine Debatte darüber, inwieweit Krankenhäuser elementarer Bestandteil der Daseinsfürsorge sein müssen und deshalb nicht vollumfänglich unter ökonomischen Aspekten zu betrachten sind, so Oertel.