
Wenn Christa Weinzierl in ihrem grünen Kittel vor einer der geschlossenen Türen auf der gynäkologischen Abteilung des Leopoldina Krankenhauses steht, weiß sie selten, was die nächsten Minuten für sie bereithalten. Wie viele Augenpaare werden ihr gleich entgegenblicken? Wie werden die Patientinnen auf sie reagieren? Von welchen Schicksalen wird sie heute erfahren?
In Momenten wie diesen ist Christa Weinzierl noch immer aufgeregt. "Die Spannung, was mich da gleich erwartet, ist immer noch da – auch nach 40 Jahren noch", sagt die 79-Jährige. So lange gehören Situationen wie diese fest zum Leben der Schweinfurterin. Denn Christa Weinzierl ist eine "Grüne Dame" der ersten Stunde.
Einmal pro Woche schlüpft sie als Mitglied des ehrenamtlichen Besuchsdienstes "Die Grünen Damen" in ihren grünen Kittel und besucht Patientinnen auf der gynäkologischen Abteilung des Leopoldina Krankenhauses, hört ihnen zu, leistet Gesellschaft, spendet Trost. Und sie schenkt ihnen etwas, wovon im hektischen Klinikalltag oft kaum etwas bleibt: Zeit.
Große Offenheit gegenüber einer Fremden
"Ich frage mich oft, wenn ich selbst im Krankenhaus läge und da käme jemand Fremdes, ob ich demjenigen so viel erzählen würde", sagt Christa Weinzierl. Die 79-Jährige sitzt im Esszimmer ihres kleinen Hauses im Schweinfurter Nordosten. Vor ihr auf dem Tisch steht ein Strauß Blumen. Von ihrer Arbeit als Ehrenamtliche spricht sie mit Bedacht, aber auch mit Leidenschaft.
"Es ist eine harte Arbeit", sagt die ehemalige Erzieherin. Viele der Patientinnen, die sie besuche, seien schwerkrank. Nicht selten betrete sie Zimmer, in denen kurz zuvor eine Krebsdiagnose ausgesprochen wurde. Das wisse sie bei ihren ersten Schritten in den Raum, wenn sie sich den Patientinnen vorstelle, jedoch selten, meint Weinzierl. "Ich frage nie: Was haben Sie denn für eine Krankheit?"
Meist kämen die Frauen von selbst auf ihre Diagnose zu sprechen. Ratschläge gebe sie dabei nie, sagt Weinzierl. Das habe sie auch ihren Kolleginnen immer wieder eingeschärft. "Es geht vor allem ums Zuhören. Wir erarbeiten den Weg mit dem Patienten zusammen." Die Offenheit, mit der die Patientinnen ihr als Fremde dabei begegneten, überrasche sie immer wieder, sagt die 79-Jährige. "Ich sehe, dass die Not bei den Patienten groß ist. Und dass viele leichter einer Fremden etwas anvertrauen als dem eigenen Partner oder der Familie. Und dafür bin ich da", sagt sie.
Und damit ist Weinzierl nicht allein. In vielen Städten besuchen Grüne Damen und mittlerweile auch Grüne Herren ehrenamtlich Patientinnen und Patienten. Im Leopoldina gibt es den Besuchsdienst seit 1989. Unter ihm seien damals bereits bestehende Dienste wie der Besuchsdienst der evangelischen Kirche, bei dem Weinzierl zuvor ehrenamtlich tätig war, zusammengeführt worden, erinnert sich die Rentnerin.
Früher 25 Grüne Damen – heute noch sechs
Damals habe sie als Teamleiterin noch 25 Damen angeführt, zwischenzeitlich sogar zwei Grüne Herren, sagt sie. Altersbedingt, und spätestens seit Corona, hätten jedoch viele ihren Dienst an den Nagel gehängt. Geblieben sei ein Team aus sechs bis sieben Damen, sagt Weinzierl.
Als Grüne Dame unterliege sie wie Ärztinnen und Ärzte der Schweigepflicht. Auch deswegen fühlten sich viele der Patientinnen bei ihr sicher, vertrauten ihr schnell intime Gedanken an, meint die Rentnerin. "Innerhalb von zehn Minuten weiß ich oft das ganze Leben – Kindheit, Partnerschaft, Scheidung", sagt sie und schmunzelt.

Dabei seien die Schicksale der Frauen oft hart. "Die meisten liegen mit Krebsdiagnosen dort. Auch viele junge Frauen, ganz junge Muttis mit zwei, drei Kindern", sagt Christa Weinzierl. Viele der Fälle, die sie in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat, begleiten sie bis heute. Vor allem aus ihren Anfangsjahren, als sie Patientinnen noch über längere Zeit habe begleiten können. "Damals waren die Patientinnen oft drei, vier Wochen da. Da hat man die Leute richtig kennengelernt. Heute werden sie meistens nach drei, vier Tagen wieder heimgeschickt. Die sehe ich einmal und dann nie wieder", sagt Weinzierl.
Besonders bewegt habe sie etwa die Geschichte einer jungen Frau mit Krebsdiagnose. "Der haben sie gesagt: Da können wir nichts mehr machen. Gehen Sie nach Hause, bestellen Sie ihr Haus, aber viel Zeit bleibt Ihnen nicht mehr", erinnert sich die 79-Jährige. "Was soll man denn damit anfangen?", fragt sie. "Da hängt doch ein ganzes Leben dran."
Supervision soll helfen, Erlebtes zu verarbeiten
Solche Momente in der Klinik zu lassen, falle nicht immer leicht. "Niemand soll das Schicksal der Patienten im Herzen mit nach Hause nehmen. Aber manchmal begleitet es einen eben doch", sagt Weinzierl. Deshalb träfen sich alle Grünen Damen einmal im Monat, um sich bei einer Supervision über ihre Erfahrungen auszutauschen.
Zudem habe jede Grüne Dame ihren eigenen Weg gefunden, mit dem Erlebten umzugehen, meint Weinzierl – von Gartenarbeit bis Gummibärchen für den Nachhauseweg. Ihr selbst helfe ihr Glaube. "Unten vor der Tür sage ich immer: Lieber Gott, ich hab meins getan, jetzt tu du deins. Und damit gebe ich das ab", sagt die 79-Jährige.
Für langjähriges Engagement ausgezeichnet
Für ihr langjähriges Engagement wurde Weinzierl jüngst vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mit dem "Weißen Engel" geehrt. Die Auszeichnung würdigt besonderes ehrenamtliches Engagement im Gesundheits- und Pflegebereich und wird jährlich an höchstens 70 Personen verliehen.
Wie lange Christa Weinzierl den Grünen Damen noch erhalten bleiben will? "Bis zu meinem 81. Geburtstag", sagt sie ohne zu zögern. Das gelte als offizielle Altersgrenze für alle Grünen Damen und Herren, "bevor man dann doch ein wenig wunderlich wird", sagt Weinzierl und lacht. Vermissen werde sie die Zeit als Grüne Dame trotz aller Erfüllung wohl aber nicht. "Es hat eben alles seine Zeit", sagt sie.
Sie hoffe nun vor allem, dass sich wieder mehr Nachwuchs für die Grünen Damen und Herren fände. Interessierte dürften sie oder eine ihrer Kolleginnen gerne bei einem Besuch auf der Station begleiten, sagt sie.