Showtime. Jochen Heil knipst eine bunte Lichterkette an. Sie ist kreuz und quer um eine tragbare Musikbox geschlungen. Aus den Lautsprechern erklingt das Weihnachtslied "Leise rieselt der Schnee". Es ist kurz vor Weihnachten und kalt auf dem Balkon der Kinderklinik des Würzburger Uniklinikums.
Der 64-jährige Unternehmer rückt die knallrote Plastiknase zurecht, die von einem Gummiband mitten in seinem weiß und rot geschminkten Gesicht gehalten wird. Noch einmal sieht er auf den Zettel in seiner Hand, auf dem Namen und Alter einiger Kinder notiert sind. Dann beginnt die Show.
Als der 64-Jährige vor das erste Fenster tritt, ist Jochen Heil verschwunden. Jetzt steht JoJo vor den Kindern auf der anderen Seite der Scheibe. JoJo, der Klinikclown. Gemeinsam mit seiner Clowns-Partnerin Machnix alias Silvia Kirchhof, wird er heute kranken Kindern und deren Angehörigen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und sie zumindest mental für einen Moment aus dem fordernden Klinik-Alltag entführen.
Die Würzburger Klinikclowns wollen glückliche Momente schenken
"Wir nehmen jedes Kind an, wie es ist", wird Jochen Heil nach seinem Auftritt sagen, "mit seinen Schmerzen, seinem Schicksal – da wird nichts gewertet. Auch wenn das manchmal schwierig ist, wenn man die Kinder leiden sieht."
Bereits seit acht Jahren verwandelt sich der Betreiber eines Spielwarenhandels in seiner Freizeit für den Würzburger Verein "Lachtränen e.V." regelmäßig in den Klinikclown JoJo. "Für mich ist es ein wahnsinnig schöner Ausgleich", sagt er, "ich habe da selbst Spaß dabei und will Glücksmomente schaffen in der Klinik und auf der Station."
Wegen der Pandemie dürfen die Clowns aktuell nur auf den Balkonen der Stationen spielen. Das mache es schwieriger, sagt Heil. Denn die Interaktion und der direkte Kontakt mit den Kindern seien für ihre Besuche ungemein wichtig. "Das Wichtigste ist, dass das Kind wirklich gesehen wird", sagt Heil.
Blutabnehmen, Untersuchungen, Gespräche – der Klinikalltag sei oft sehr technisch und die Zeit des Personals knapp. Deshalb sei die Spielzeit mit den Clowns so wertvoll, meint Heil. "Oft reicht es schon, wenn wir das Kind einfach einmal zehn Minuten richtig wahrnehmen und Kontakt aufbauen."
Hinter einer der ersten Scheiben an diesem Tag liegen zwei kleine Jungen. Sie schrecken hoch, als JoJo und Machnix ans Fenster klopfen. Sofort breitet sich ein Lächeln auf ihren Gesichtern aus und sie klettern aus ihren Betten.
Der Jüngere der beiden hält stolz einen Spielzeugdrachen hoch. JoJo und Machnix antworten mit einem langgezogenen "Wooow" und drücken ihre roten Nasen an der Scheibe platt. "Kann der fliegen?", fragt JoJo und flattert mit den Armen. Der Junge schüttelt schüchtern den Kopf.
"Als Klinikclown muss man die Fähigkeit haben, sich auf jede Situation individuell einzulassen", sagt Jochen Heil, "wenn es irgendwie geht, versuchen wir immer, Impulse aus den Zimmern aufzunehmen." Steigen die Kinder darauf ein, könnten sich so ganze Rollenspiele entwickeln. "Manchmal gelingt es auch, die Familie mit einzubinden", sagt Heil, "da entstehen oft ganz tolle Situationen."
Die Würzburger Klinikclowns erleben sehr private Momente
Denn auch für die Angehörigen sei die humorvolle Ablenkung wichtig. "Die Eltern haben natürlich die Sorgen um das kranke Kind im Kopf, das steht für sie immer im Vordergrund", sagt Jochen Heil, "aber wenn wir kommen, sehen wir nur das Positive in der Situation. Da leuchten die Eltern manchmal richtig."
Es gebe aber auch Momente, in denen Lachen nicht das Richtige sei, erzählt Lena Patinsky. Als Clownin "Schlacks" ist die 31-Jährige Anfang des Jahres zum Verein Lachtränen e.V. gestoßen. "Klar, Lachen ist schön", sagt sie, "aber wenn das Kind oder die Mama gerade weinen wollen, dann ist es auch wunderschön, dass ich diese Verletzlichkeit miterleben darf."
Dennoch seien manche Situationen auch für sie emotional schwierig. "Die Geschichten der Kinder belasten schon", sagt Jochen Heil. "Man ist wie ein Schwamm. Man nimmt alles in sich auf und muss dann aber auch schauen, wohin damit." Da die Klinikclowns der Schweigepflicht unterliegen, könnten sie sich nur untereinander über belastende Situationen austauschen. "Man muss schon aufpassen auf sich", sagt Patinsky.
Manchmal passiere es auch, das Kinder zwischen zwei Besuchen sterben. Dann würden die Darstellenden auf Einladung der Eltern auch Beerdigungen beiwohnen. "Auch das gehört zur Trauer dazu", sagt Heil.
JoJo und Machnix lassen Seifenblasen steigen, tanzen und zeichnen mit speziellen Stiften weihnachtliche Motive an die Stationsfenster. "Weil ja bald Weihnachten ist", ruft Machnix den Kindern hinter den Scheiben zu. Ein paar Eltern filmen das Treiben, einige Schwestern winken aus ihrem Stationszimmer.
"Für mich ist das Besondere die Verbindung, die entsteht", sagt Patinsky, "die ganz schnell, ganz intensiv entstehen darf, weil ich als Clown in so einen total privaten Moment rein und dem Kind ermöglichen darf, was auch immer gerade muss." Diese Glücksmomente seien es, von denen man als Clown zehre, sagt Heil.
In Zukunft würden die Darstellenden gerne noch mehr Stationen bespielen. Aktuell besuchen sie vor allem Kinder und Seniorinnen und Senioren in Würzburger und Schweinfurter Einrichtungen. Um ihre Arbeit weiterhin zu finanzieren, hat der Verein nun auch einen eigenen Kalender herausgebracht. Jedoch mangele es auch an Clown-Nachwuchs. "Wir bräuchten dringend mehr Clowns", sagt Heil, "das ist unser Hauptproblem."
Grundsätzlich könne sich ihnen fast jeder anschließen, meint er. "Im Prinzip hat jeder einen Zugang zu seiner eigenen Kindlichkeit und seinem Humor. Der ist oft nur verschüttet." Die obligatorischen Ausbildungskurse an speziellen Clown-Schulen würden aber dabei helfen, die eigene Rolle zu entdecken und zu perfektionieren, meint Heil. "Ich würde mir wünschen, dass wir mehr werden und noch mehr Kindern und Senioren diese Glücksmomente bringen können", sagt Jochen Heil.