In Schweinfurt eine neue Hausarztpraxis finden, wie schwer könnte das schon sein? Ein paar Tage Recherche vielleicht, ein paar Anrufe, dann würde schon eine Praxis sie und ihre schwer pflegebedürftige Mutter aufnehmen. Das zumindest habe sie im Oktober 2023 noch gedacht, sagt Petra Hoffmann. Kurz zuvor hatte ihre bisherige Hausärztin der 61-jährigen Schweinfurterin und ihrer 80-jährigen Mutter mitgeteilt, dass sie ihre Praxis Ende des Jahres schließen würde.
"Wir waren jahrzehntelang bei ihr in Behandlung. Wir standen quasi schon auf der Inventurliste", sagt Hoffmann und lacht. Die 61-Jährige sitzt im ausgebauten Keller ihres Elternhauses im Norden Schweinfurts. Ein Stockwerk über ihr liegt ihre schwer pflegebedürftige Mutter in einem Pflegebett im Wohnzimmer.
Wenn Petra Hoffmann sich heute daran erinnert, wie zuversichtlich sie im Oktober 2023 in die Suche nach einer neuen Hausarztpraxis gestartet war, entfährt ihr ein resigniertes Schnauben. "Ich dachte, das kann ja nicht so schwer sein. Das ganze Ausmaß habe ich erst danach erfahren müssen", sagt sie. Was folgte, war eine monatelange Odyssee.
Aufnahmestopp in vielen Schweinfurter Hausarztpraxen
Alles begann damit, dass die Hausarztpraxis, an welche die vorherige Hausärztin ihre Patientinnen und Patienten ersatzweise verwies, nicht alle habe aufnehmen können, sagt Hoffmann. Sie und ihre Mutter gingen leer aus. Also habe sie angefangen, Praxen in Schweinfurt abzutelefonieren, zunächst in der Nähe ihres Wohnhauses – doch ohne Erfolg. "Meistens hieß es gleich: Wir haben Aufnahmestopp. Also habe ich mich nach und nach durch ganz Schweinfurt vorgearbeitet", sagt Hoffmann.
Doch die Suche gestaltete sich schwieriger als gedacht. "Ich habe bestimmt in 30 Praxen angerufen", sagt die 61-Jährige. Die Antworten seien immer die gleichen gewesen: Aufnahmestopp, freie Plätze frühestens in ein paar Monaten, falls überhaupt. Auch Nachfragen bei der Krankenkasse und Vermittlungshilfen seien ohne Erfolg geblieben.
Hoher Pflegegrad erschwerte Suche zusätzlich
Der hohe Pflegegrad ihrer Mutter habe die Suche zusätzlich erschwert, meint Hoffmann. "Immer, wenn ich gesagt habe, meine Mutter ist bettlägerig, war der Ofen sofort aus. Dann hieß es: Das können wir nicht machen", sagt sie.
Hoffmanns 80-jährige Mutter ist Diabetikerin und an Demenz erkrankt. Nachdem ihr in Folge des Diabetes ein Bein amputiert werden musste, sei sie zunächst auf den Rollstuhl angewiesen gewesen, sagt Hoffmann. Im Herbst 2023 habe sich der Zustand der 80-Jährigen dann plötzlich verschlechtert. Sie erlitt eine Sepsis, sei seitdem bettlägerig, mit Pflegegrad fünf, sagt die 61-Jährige.
Seitdem sei sie auf Hausbesuche angewiesen. Doch genau das sei das Problem gewesen, sagt Hoffmann. "Es ist immer an den Hausbesuchen gescheitert. Dafür hätten sie keine Kapazitäten, haben sie gesagt. Mich hätten ein paar ja genommen, meine Mutter aber nicht", sagt die Schweinfurterin.
Hausbesuche sind grundlegende Aufgabe von Hausärztinnen und -ärzten
"Hausbesuche gehören für den Hausarzt zum Pflichtprogramm", sagt Axel Heise, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB). "Inwiefern ein Hausbesuch medizinisch notwendig ist, entscheidet der behandelnde Arzt aber immer selbst", sagt er.
Ob die Zahl der Hausbesuche in Bayern tatsächlich abnehme, lasse sich laut KVB nicht so einfach feststellen. Deutlich werde jedoch, dass der Ärztemangel durchaus einen Einfluss habe. "Wir haben seit Jahren einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten in der hausärztlichen Versorgung", sagt Heise. "Damit sinkt auch das zur Verfügung stehende Potenzial, um Hausbesuche machen zu können", warnt er.
Damit diese weiterhin geleistet werden könnten, müsse sich auch an der Vergütung der Krankenkassen dringend etwas ändern, sagt er: "Rund 25 Euro inklusive Wegegeld für einen Hausbesuch sind im Vergleich zu dem, was beispielsweise Handwerker aufrufen können, deutlich zu wenig."
Laut Versorgungsatlas der KVB, mit Stand Ende Januar 2024, sind in Schweinfurt 46 praktizierende Hausärztinnen und Hausärzte in Voll- und Teilzeit gemeldet. Mit einem Versorgungsgrad von knapp 106 Prozent gilt Schweinfurt damit weder als über- noch als unterversorgt. Eine Ansiedelung neuer Hausärztinnen und Hausärzte wäre auf 1,5 Sitzen möglich.
Das Problem liegt laut Heise jedoch im Nachwuchs. "Stand Februar 2024 waren in Bayern 470 hausärztliche Vertragsarztsitze nicht besetzt. Damit hat die Zahl der nicht besetzten Vertragsarztsitze im hausärztlichen Bereich weiter zugenommen", sagt er.
Auch spiegele die vom Bund vorgegebene Bedarfsplanung die Realität in der ambulanten Versorgung längst nicht mehr wider, kritisiert er. "Bei einer tendenziell älter und multimorbider werdenden Bevölkerung und immer mehr ambulanten medizinischen Behandlungsansätzen brauchen wir mehr Nachwuchs gerade in den ländlichen Regionen, um die Versorgung auf dem bestehenden hohen Niveau zu erhalten", so Heise.
Von einigen Praxen regelrecht abgewimmelt gefühlt
Ein Missstand, den Petra Hoffmann deutlich zu spüren bekam. "Das ganze System ist einfach krank", sagt sie. Von einigen Praxen habe sie sich regelrecht abgewimmelt gefühlt. "Manche waren richtig pampig. Die Krönung war eine Sprechstundenhilfe, die meinte, wenn es ganz schlimm wird, dann muss meine Mutter eben ins Krankenhaus – und Tschüss", sagt sie. Für die 61-Jährige ein Schlag ins Gesicht. "Soll ich jetzt warten, bis das Insulin aus ist und meine Mutter im Koma liegt und dann ruf’ ich den Notarzt? Wie stellen die sich das vor?", fragt sie.
Kurz nach Ostern sei es dann brenzlig geworden. Die verschreibungspflichtigen Medikamente wurden knapp, Hoffmann musste rationieren. "Ich habe immer mehr Panik bekommen", erinnert sie sich. Die Rettung sei eine Bereitschaftsklinik gewesen, die ihr das Nötigste verschrieb.
Die wirkliche Erlösung sei aber vor wenigen Tagen in Form einer Zusage eingetroffen. Eine Praxis in Dittelbrunn habe sich bereiterklärt, die beiden Frauen aufzunehmen. "Ich habe ein halbes Jahr gekämpft – das ist wie ein Sechser im Lotto", sagt Hoffmann. Was andernfalls passiert wäre? "Darüber möchte ich gar nicht nachdenken", sagt die 61-Jährige. "Man muss sich eben durchbeißen."