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Schweinfurt
Helden des Alltags: Die Lebensretter vom Schweinfurter Baggersee
Bei der Rettung eines 22-Jährigen aus dem Baggersee kamen "maximal viele glückliche Umstände" zusammen, so die Beteiligten. Wie sich spontan ein Team der Hilfe fand. 
'Alles richtig gemacht', loben der technische Leiter der Schweinfurter Wasserwacht, Alexander Ratte (Zweiter von links), und Polizeioberrat Matthias Wehner (rechts) die 'Retter vom Badesee', Matthias Salm, Alexander Pfarr, Susanne Rösner und Tobias Kiesel (von links).
Foto:  Helmut Glauch | "Alles richtig gemacht", loben der technische Leiter der Schweinfurter Wasserwacht, Alexander Ratte (Zweiter von links), und Polizeioberrat Matthias Wehner (rechts) die "Retter vom Badesee", Matthias Salm, Alexander ...
Helmut Glauch
Helmut Glauch
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:37 Uhr

Es ist der 18. Juni, Samstagnachmittag am Schweinfurter Baggersee. Das Wetter passt, die Liegewiesen sind "rammelvoll", die Menschen haben Spaß. Plötzlich übertönen Schreie die übliche Geräuschkulisse. Sebastian Pfister ist zwar nicht ganz nah dran am Geschehen, weil er auf der Wiese  weiter oben einen Platz hat, aber einer der Ersten, der die Situation erfasst und richtig reagiert.

"Ich habe gesehen, dass Leute im Wasser wild gestikuliert und versucht haben, jemand hochzuhalten", so der 24-jährige Schwanfelder. Schnell war ihm klar, dass jemand unterzugehen droht und dessen Freundin und Begleiter mit der Situation überfordert sind. "Ich habe meine Flasche meinem Kumpel in die Hand gedrückt, bin runter zum Wasser gerannt", so Pfister. Ein paar Schwimmzüge und der Werkfeuerwehrmann bei Schaeffler und ehrenamtliche Bereitschaftsleiter und Rettungsdienst-Fahrer beim BRK hat den in Not geratenen jungen Mann, der 20 Meter vom Ufer entfernt zu ertrinken droht, erreicht.

So formiert sich die Rettungskette

"Ich bin 1,86 groß, stehen konnte ich nicht mehr", schildert Pfister die Schwierigkeiten, den Bewusstlosen im gut zwei Meter tiefen Wasser an der Oberfläche zu halten. Unterstützt wird er dabei von Alexander Pfarr (36). Der Fachmann für Qualitätsmanagement war schon im Wasser, hatte die nicht erfolgreichen "Schwimmübungen" des kurz darauf im Wasser versinkenden jungen Mannes beobachtet. "Help, my friend is there", habe die ins Wasser deutende Freundin des Untergegangenen voll Panik gerufen, so Pfarr. Freunde des Verunglückten paddeln zwar hektisch durchs Wasser, aber keiner taucht. Das übernimmt Alexander Pfarr, der den Gesuchten im zweiten Tauchgang am Grund des Sees findet und "irgendwie nach oben stemmt". Nun versucht er gemeinsam mit Pfister und den Freunden des Verunglückten, den Bewusstlosen über Wasser zu halten. 

Sebastian Pfister zeigt die Stelle am Schweinfurter Baggersee, wo er sich ins Wasser stürzte, um mitzuhelfen, den 22-jährigen Studenten etwa 20 Meter vom Ufer entfernt aus dem Wasser zu holen.
Foto: Helmut Glauch | Sebastian Pfister zeigt die Stelle am Schweinfurter Baggersee, wo er sich ins Wasser stürzte, um mitzuhelfen, den 22-jährigen Studenten etwa 20 Meter vom Ufer entfernt aus dem Wasser zu holen.

Da kommt Matthias Salm ins Spiel. Der 1,96 Meter-Mann, mit seiner Familie am Baggersee, wollte eigentlich an diesem Tag nicht ins Wasser. Was er dort beobachtet, lässt ihn diesen Vorsatz schnell über Bord werfen. Eine Entscheidung, die dem jungen Mann vermutlich das Leben rettet. "Fünf, sechs Leute haben versucht, den Bewusstlosen an allen möglichen Körperteilen hochzuhalten, richtig geklappt hat es nicht", erinnert sich der im IT-Bereich tätige Schweinfurter an die dramatischen Sekunden. "Ich bin rausgeschwommen, habe ihn gepackt, ins Schlepptau genommen, zwei, drei Schwimmzüge Richtung Ufer gemacht, dann hatte ich Grund unter den Füßen, konnte ihn rausziehen", so der 42-Jährige.

Waren es "Schwimmübungen" im zu tiefen Wasser

Auf den letzten Metern hilft der wachhabende Wasserwachtler, der schon Rettungswagen und Notarzt verständigt hat und die Notfall-Ausrüstung mitbringt, den bewusstlosen Mann auf den Sandstrand zu ziehen. Der, das wird sich später herausstellen, ist ein 22-jähriger Student, der mit Freunden den Nachmittag am Baggersee verbrachte. Zeugen sprechen später von "Schwimmübungen", die in der Clique mit ihm veranstaltet worden seien. Nichtschwimmer oder nicht, das bleibt Spekulation, denn der Gerettete, dem es heute wieder gut geht, will nicht ins Licht der Öffentlichkeit und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen.

Wenn es um Hilfe geht ist der einzige Fehler, nichts zu tun 
Polizeioberrat Matthias Wehner

Dass es sehr knapp für ihn war, bestätigen Susanne Rösner und Tobias Kiesel, die nächsten beiden  (Schutz)engel, die es brauchte, um den an Land gebrachten zurück ins Leben zu bringen. "Der war weg, blitzblau, ohne Puls", erinnert sich die 56-Jährige, die als Anästhesie-Fachkraft im Krankenhaus Haßfurt arbeitet. "Ich habe sofort mit der Herzmassage begonnen." Unterstützt wird sie von Tobias Kiesel, zufällig noch ein Mann vom Fach vor Ort, der die Beatmung übernimmt. Der 31-Jährige arbeitet auf der Intensivstation im Krankenhaus St. Josef und studiert Medizin. Dass beide ihr Handwerk verstehen, ist ein weiterer Glücksfall für den Verunglückten. Die kräftezehrende Druckmassage und Beatmung schlagen an, das Leben kehrt rechtzeitig zurück in den fast schon Ertrunkenen. Susanne Rösner bedient sich aus dem Rettungsrucksack der Wasserwacht, legt die Nadel für den Zugang, prüft den Puls, misst den langsam wieder in Schwung kommenden Blutdruck – ein erstes Aufatmen. 

"Wenn wir so etwas planen wollten, würden wir es so nicht hinbekommen", lobt Polizeioberrat Matthias Wehner die vorbildlich gelungene Rettungsaktion. "Die wahren Helden des Alltags sitzen hier am Tisch", so Wehner beim Treffen der Retter am Baggersee. Hier habe sich spontan ein Team gefunden, in dem jeder nach seinen Fähigkeiten optimal handelte. 

Die "Schwimmstunde", die beinahe ein Leben gekostet hätte, hätte unbedingt im Flachwasser stattfinden müssen. Außerdem sollten, das gilt für alle Badefreunde, dabei weder Alkohol noch berauschenden Mittel im Spiel sein. Die führen zum "Herkuleseffekt", sprich zu gefährlicher Selbstüberschätzung mit oft dramatischen Folgen. 

Zivilcourage zeigen, das Handy in der Hosentasche lassen und einfach machen
wünscht sind Alexander Ratte, technischer Leiter der Schweinfurter Wasserwacht, in Notfällen

"Zivilcourage zeigen, das Handy in der Hosentasche lassen und einfach machen", eine solche Einstellung wünscht sich Wasserwachtler Alexander Ratte, wenn Menschen mit den Notlagen anderer konfrontiert werden. "Der einzige Fehler, den man machen kann, ist nichts zu tun", ergänzt Matthias Wehner. Andere ansprechen und um Hilfe bitten, sei wichtig, um eine Rettungskette zu organisieren. Der Erfolg einer Rettungsaktion werde wahrscheinlicher, wenn jemand vor Ort die Abläufe koordiniert und Aufgaben, wie etwa den Notruf wählen, delegiert.

Die "Lebensretter vom Baggersee" sind froh, dass sie ein Leben bewahren konnten und haben erfahren, wie wichtig es ist, über das nötige Wissen zu verfügen. Medizinstudent Tobias Kiesel freut sich, dass er zwei Wochen vor dem Vorfall in Würzburg bei Prof. Thomas Wurmb ein notfallmedizinisches Seminar absolvierte, in dem exakt solche Abläufe trainiert wurden. "Das war Gold wert, mit dem Wissen aus dem Kurs bin ich an den Kopf gegangen und habe die Beatmung übernommen."  

Berufsfeuerwehrmann Sebastian Pfister besuchte 2021 einen Brandmeisterlehrgang. Teil des Lehrgangs war die Ausbildung zum Rettungsschwimmer. Matthias Salm war erleichtert, dass jemand da war, der die Reanimation übernahm, nachdem er den Verunglückten an Land gebracht hatte. Nun hat er vor, einen Kurs zu besuchen, um seine Kenntnisse der Ersten Hilfe aufzufrischen.

Worüber sich die Wasserwacht ärgert

Der weitere Verlauf der Rettung bis zum Eintreffen von Notarzt und Rettungswagen verläuft vorbildlich. Und doch hat diese Geschichte mit Happy End auch unschöne Szenen. Badegäste, die zunächst viel näher am Geschehen waren als Matthias Salm, der den Verunglückten ans Ufer brachte, bleiben passiv, stehen aber wenig später als "Gaffer" in der ersten Reihe. Eine Frau muss aufgefordert werden, damit aufzuhören, das Geschehen mit dem Handy zu filmen.

Alexander Ratte, technischer Leiter der Wasserwacht Ortsgruppe Schweinfurt, spricht von beleidigenden Kommentaren eines ansonsten untätigen Badegastes, der mit Fäkalsprache mehr Tempo vom diensthabenden Kollegen der Wasserwacht forderte. Auch in sozialen Netzwerken sei grob über die Rolle der Wasserwacht hergezogen worden. "Das ärgert uns!"   

Der Schweinfurter Baggersee ist Kult, wenn es um die Naherholung geht. Doch wer sich weiter hineinwagt, sollte ein geübter Schwimmer sein.
Foto: Helmut Glauch | Der Schweinfurter Baggersee ist Kult, wenn es um die Naherholung geht. Doch wer sich weiter hineinwagt, sollte ein geübter Schwimmer sein.

Diejenigen, die es wissen müssen, die Retter, bescheinigen der Wasserwacht gute Arbeit. Die Retter, nah dran und sofort handelnd, fühlten sich gut unterstützt von der Wasserwacht, die schnell vor Ort war, mit Sauerstoff und Rettungssack. "Wir hatten sogar einen Defibrillator da, denn wir dann nicht mehr gebraucht haben", erinnert sich Susanne Rösner.   

Lange Wartezeiten für einen Platz im Kinderschwimmkurs

Alexander Ratte (Wasserwacht) spricht ein Problem an, das solche Badeunfälle künftig wahrscheinlicher macht. "Wer auch immer derzeit Schwimmkurse anbietet, wir haben keine Lehrschwimmbecken, um Kurse für Kinder abhalten zu können." Die Anmeldelisten seien übervoll, die Wartezeiten für einen Platz im Schwimmkurs betragen eineinhalb bis zwei Jahre.

"Eine Verkettung maximal vieler glücklicher Umstände", so Polizei, Wasserwacht und Beteiligte sei die Rettung mit ihrer hohen Dichte an zufällig vor Ort weilendem Fachpersonal gewesen. Für den Geretteten ein "Überleben stehenden Fußes". Hätte der Herz/Atemstillstand nur wenig länger gedauert, hätte man mit der Schädigung des Gehirns rechnen müssen oder er wäre ganz schlicht und ergreifend nicht mehr am Leben. 

Was man vor dem Badespaß beachten sollte

Baden macht Spaß, allerdings gibt es Regeln: Tipps von der Wasserwacht
• Abkühlen: Nie überhitzt ins Wasser gehen, der Körper soll sich langsam an die Wassertemperatur gewöhnen.
• Nicht mit vollem Magen baden. Der Körper ist dann mit Verdauung beschäftigt und schneller erschöpft. Auch mit leerem Magen ist es nicht empfehlenswert. Hunger und Anstrengung können einen Zuckerschock auslösen. Vor dem Baden etwas Leichtes essen.
• Alkohol und Drogen führen zu Selbstüberschätzung. Der Körper kühlt schneller aus. Auch ohne Alkohol gilt: Das Wasser verlassen, sobald man friert.
• Wer weiter hinausschwimmt, sollte dies nicht alleine tun. Wenn es zu einem Krampf kommt, ist es gut, wenn jemand dabei ist und der Weg, bis man wieder Boden unter den Füßen hat, nicht weit ist.
• Luftmatratzen, Autoschläuche oder "Gummitiere" sind keine sicheren Schwimmhilfen.
hg
 
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