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WÜRZBURG
Nach dem Axt-Attentat: Checkliste für Retter im Einsatz
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 26.06.2017 03:48 Uhr

Ein Pilotprojekt unter Federführung der Universitätskliniken Würzburg zieht Lehren aus dem Axt-Attentat von Heidingsfeld für die Einsatzkräfte: Um besser gerüstet zu sein für derartige Ereignisse, analysierten damalige Teilnehmer ihren Einsatz beim Anschlag vom 18. Juli 2016.

Ziel der Forschung des zwölfköpfigen Teams um Professor Thomas Wurmb: Die Erarbeitung einer „Würzburger Checkliste“, mit der sich nach objektiven Kriterien solche Rettungseinsätze bewerten lassen – um die Qualität der Hilfe (von ersten Rettungsmaßnahmen bis zum Eintreffen in der Klinik) verbessern zu können.

Die Situation am Tatort vor knapp einem Jahr war unübersichtlich: Retter sollten einer unbekannten Zahl verletzter Menschen helfen, die mit Axt und Messer attackiert worden waren. Doch auch die Polizei wusste zunächst nicht, ob es mehrere Attentäter gab – und wo sie waren. Das erforderte eine vorsichtige Annäherung in enger Zusammenarbeit.

Was da verbesserungsfähig ist, wollten Praktiker jetzt wissen. Doch dazu gab es keine wissenschaftliche Untersuchung. Selbst von den Attentaten von Paris und Brüssel gibt es nur Beschreibungen, die zeigen, wo Schwachpunkte waren und Verbesserungen notwendig wären – aber keine systematische Durchleuchtung. „Wir hatten in Würzburg einen traurigen Anlass, aber die Analyse hat uns sehr vorangebracht“, sagt Professor Georg Ertl, Ärztlicher Direktor der Unikliniken. „Was wir gemacht haben, klingt zunächst furchtbar theoretisch, ist aber in der Praxis sehr wichtig“, erklärt Uwe Kinstle von der Johanniter-Unfallhilfe, einer der Väter der „Würzburger Checkliste“.

Er nennt Beispiele: „Das beginnt bei der Information der anfahrenden Rettungsfahrzeuge zu einem speziellen Einsatzort: Kennen und verwenden Retter und Polizei im Funk die gleichen Begriffe – oder sprechen die einen nur von einem Einsatz, die anderen von einem gefährlichen Einsatz? Dürfen sie in den Gefahrenbereich einfahren oder sollen sie sich zunächst an einem sicheren Ort sammeln?“ Leitender Polizeidirektor Johannes Hemm nennt weitere wichtige Aspekte:

„Können die Retter ungefährdet schwer verletzte Opfer vor Ort versorgen? Oder muss die Polizei sie sichern, weil ein Attentäter noch dort unterwegs ist?“ Dann gehe es darum, Opfer schnell aus dem Gefahrenbereich zu schaffen – was kaum schonend geht.

Der Würzburger Anschlag zeigte erstmals: Terroristen suchen sich auch Ziele jenseits der Ballungszentren. „Die Attacken in Würzburg, Ansbach und München haben in einer einzigen Woche sehr deutlich gezeigt, wie dringend Konzepte für die Bewältigung solcher Lagen benötigt werden“, macht Professor Wurmb deutlich.

Entscheidend ist, dass alle Organisationen möglichst schnell auf einem Sachstand sind und gemeinsam angemessen reagieren können. „Der Würzburger Einsatz ist insgesamt sehr gut, aber nicht reibungslos gelaufen, wie sich in der Nachbetrachtung zeigte“, weiß Kinstle heute.

„Uns ging es nicht darum, unser eigenes Süppchen zu kochen und ein spezielles Würzburger Einsatzmodell zu erstellen“, betont er. „Uns ging es darum, eine Checkliste von Qualitätsfaktoren zu erstellen, die objektiv einen Einsatz bewerten.“ 160 Qualitätsindikatoren haben die Experten definiert und einen Bewertungsmaßstab festgelegt, der jetzt in der medizinischen Fachzeitschrift „Der Anästhesist“, Ausgabe 6/2017 veröffentlicht wurde. Zum Beispiel wird geprüft: „Wie lange dauerte es, bis der erste Schwerverletzte abtransportiert wurde?“

Damit hat die Arbeit erst begonnen. Bei Notfall-Kongressen fand die „Würzburger Checkliste“ schon viel Beachtung. „Es gibt schon viele Interessenten, die gerne bei der Weiterentwicklung mitarbeiten würden“, sagt Wurmb. „Vorstellbar wäre die Entwicklung eines bundesweiten Registers, in dem solche Einsätze nach definierten Parametern eingegeben und ausgewertet werden.“ Das ist noch Zukunftsmusik: „Dafür braucht man jetzt Paten, Geld und einen einflussreichen Schirmherrn“, sagt Kinstle.

Experten ziehen Lehren aus dem Axt-Attentat

Um besser gerüstet zu sein für Einsätze bei Terroranschlägen, Amokläufen oder anderen Bedrohungslagen, analysierten Fachleute ihren Einsatz bei dem Würzburger Amoklauf im vorigen Juli. Die Initiative kam von Paul Justice, Geschäftsführer des Zweckverbandes für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF). Die Federführung hatte Professor Thomas Wurmb, Leiter der Sektion Notfall- und Katastrophenmedizin des Universitätsklinikums Würzburg (UKW)

Beteiligt waren Experten vom Bayerischen Roten Kreuz, der Johanniter Unfallhilfe und den Maltesern, Notärzte, die Integrierte Leitstelle, der Zweckverband für Rettungsdienst und Notfallalarmierung, die Berufsfeuerwehr, die Polizei und die Notfallseelsorge.

Auf vielen Ebenen wurden Lehren aus den Anschlägen von Würzburg, Ansbach und München gezogen. So gab das bayerische Innenministerium eine Handlungsempfehlung für die Rettungsdienste bei besonderen Einsatzlagen heraus. Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie verabschiedete im September 2016 auf einem Sonderkongress einen eigenen Fünf-Punkte-Plan zur Bewältigung lebensbedrohlicher Einsatzlagen. mas

 
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