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Schweinfurt
Allein in Schweinfurt über 200 Kinder auf der Warteliste für Schwimmkurse
Über die Auszeichnung für ihr Integrationsprojekt freuen sich die Verantwortlichen der Kreis-Wasserwacht Schweinfurt. Doch die eigentliche Arbeit gestaltet sich schwierig.
Ausbildung zum Rettungsschwimmer am Main (von links): Nehmat Husseini, Dominik Benchert, Marina Reinwald, Ausbilder Jürgen Russ
Foto: Wasserwacht Schweinfurt | Ausbildung zum Rettungsschwimmer am Main (von links): Nehmat Husseini, Dominik Benchert, Marina Reinwald, Ausbilder Jürgen Russ
Hannes Helferich
 |  aktualisiert: 09.10.2021 02:28 Uhr

 "Schwimmen lernen ist lebenswichtig", sagt Michael Benchert, stellvertretender Vorsitzender der Kreis-Wasserwacht Schweinfurt. Die Entwicklung macht ihm Sorgen: Schon vor Corona waren viel zu viele Kinder in Deutschland Nichtschwimmer. Wegen der Zwangspause konnte die Wasserwacht des Roten Kreuzes Schweinfurt – wie andere auch – gar nicht oder nur bedingt Schwimmkurse für Kinder und Jugendliche durchführen. Drastische Folge, so Benchert: Mittlerweile könnten 70 Prozent der Sechs- bis Zehnjährigen, also sieben von zehn Kindern, gar nicht oder nicht sicher schwimmen.

Michael Benchert von der Wasserwacht Schweinfurt will erreichen, dass viel mehr Kinder Schwimmen lernen. 
Foto: Hannes Helferich | Michael Benchert von der Wasserwacht Schweinfurt will erreichen, dass viel mehr Kinder Schwimmen lernen. 

Wie richtig Bencherts Statement ist, zeigt ein Fall in München. Zwei Kinder, sieben und zehn Jahre alt, spielten an der Isar, gerieten ins Wasser. Während es der Ältere alleine an Land schaffte, war es nur dem beherzten Eingreifen eines Jugendlichen zu verdanken, dass der siebenjährige Bub überlebte. Ein Fall, der zeigt, wie wichtig es ist, dass Kinder schwimmen lernen. Wegen Corona "sind wir jetzt aber fast zwei Jahre im Rückstand", sagt Benchert. Und richtet einen dringenden Appell an die lokale Politik, der Wasserwacht "mehr Zeiten in den Bädern zu ermöglichen, dann können wir auch stärker ausbilden".

Die Kreiswasserwacht Schweinfurt hat rund 1700 Mitglieder, 300 davon sind aktive Wasserwachtler. Und die Schwimmkurse – nicht nur für Kinder – sind ein Schwerpunkt für die Wasserwacht. In Vor-Corona-Zeiten brachte die Wasserwacht zeitgleich jeweils 250 Kindern und Jugendlichen das Schwimmen bei. Dann kam Corona und damit der Einbruch.

Benchert verweist auf eine zweite positive Wirkung der Kurse: "Viele der jungen Leute, die bei uns schwimmen gelernt haben, bleiben danach bei der Wasserwacht". Sie werden dann selbst Schwimmtrainer, geben ihr erworbenes Wissen an die nächste Generation weiter oder nutzen eines der vielen weiteren Ausbildungsangebote zum Rettungsschwimmer, Wasserretter, Bootsführer, Taucher oder im Wachdienst an einer der Wasserrettungsstationen am Baggersee Schweinfurt und am Main.

Wie Nehmat bei der Wasserwacht eine neue Heimat gefunden hat

Ein besonderes Beispiel ist Nehmat Husseini. Er flüchtete 2015 als Minderjähriger alleine aus Afghanistan nach Deutschland, fand in Schweinfurt ein neues Zuhause. 2016 hatte die Wasserwacht – mit Blick auf die vielen Flüchtlinge 2015 – das Integrationsprojekt "Join Ehrenamt" aufgelegt. Nehmat, der kaum Deutsch sprach, nicht schwimmen konnte, ja im Gegenteil große Angst vor Wasser hatte, meldete sich nach dem Tipp eines Schulkameraden an. An Pfingsten 2016 absolvierte er seinen ersten Schwimmkurs, trat dann der Wasserwacht bei, meisterte von 2017 bis 2019 in kurzer Zeit die anspruchsvollen Ausbildungen zum Rettungsschwimmer, Sanitäter, Wasserretter und Bootsführer. Heute ist Nehmat ehrenamtlich bei der Wasserwacht und beim BRK in Schweinfurt aktiv, beispielsweise im Wachdienst am Baggersee und Main oder an Corona-Teststrecken.

Seit Start des Projekts unterstützte die Wasserwacht 100 Flüchtlinge

Das Projekt hat die kulturelle und sprachliche Kompetenz und wegen der gesellschaftlichen Anerkennung auch das Selbstwertgefühl von Menschen wie Nehmat erweitert, sagt Benchert. "Meine Freunde in der Wasserwacht haben mir viel geholfen, insbesondere in schwierigen Zeiten, in denen ich niemanden hatte", blickt Nehmat selbst zurück. Er ist derzeit auf dem Weg zum Abitur.

Seit dem Start des Projekts 2016 hat die Wasserwacht Schweinfurt 100 Flüchtlinge unterstützt und gefördert, mehrere sind heute bei der Wasserwacht weiter aktiv. Im September wurde "Join Ehrenamt", die Integrationsarbeit der Kreis-Wasserwacht Schweinfurt, mit dem Integrationspreis der Regierung von Unterfranken ausgezeichnet.

Ausbildungsfahrt für Dominik Benchert zum Bootsführer auf dem Main, links Ausbilder Till Teske von der Wasserwacht Schweinfurt
Foto: Wasserwacht Schweinfurt | Ausbildungsfahrt für Dominik Benchert zum Bootsführer auf dem Main, links Ausbilder Till Teske von der Wasserwacht Schweinfurt

Was Benchert immer wieder erstaunt: Viele Menschen wüssten gar nicht, dass die Wasserwacht beispielsweise für den Wachdienst am Baggersee oder beim Einsatz in Notsituationen komplett ehrenamtlich tätig ist. Erst Anfang September war eine Einsatzgruppe der Wasserwacht an einer Vermisstensuche am Baggersee beteiligt. Alles in der Freizeit. "Wir setzen im wahrsten Wortsinn Zeichen", sagt Benchert .

200 Kinder stehen aktuell auf der Warteliste

Zurück zu Schwimmkursen und Pandemie, einem Thema, das auch der Wasserwacht ein zweites Problem bereitet hat: Weil Ausbildungen nicht angeboten werden konnten, fehlen zwei komplette Nachrückerjahrgänge. Folge: Es mangelt derzeit an ehrenamtlichen Trainern und Rettungsschwimmern, "weshalb wir beständig junge Leute suchen, die sich engagieren wollen", sagt Benchert.

Eindrücke während der Prüfung zum Deutschen Jugend-Schwimmpass durch die Wasserwacht im Silvana Bad in Schweinfurt
Foto: Wasserwacht Schweinfurt | Eindrücke während der Prüfung zum Deutschen Jugend-Schwimmpass durch die Wasserwacht im Silvana Bad in Schweinfurt

Denn die Nachfrage ist, möglicherweise in Reaktion auf die Nichtschwimmer-Berichte in vielen Medien, hoch. Viele Eltern melden ihren Nachwuchs jedenfalls zu Schwimmkursen an. Über 200 Kinder stehen derzeit trotz unbekannter Wartezeiten auf der Warteliste der Schweinfurter Wasserwacht . Um sie "abzuarbeiten", braucht es vor allem "mehr Bahnen", also mehr zur Verfügung stehende Zeit in den Schwimmbädern, sagt Benchert. Neue Kinder können nicht mehr auf die Wartelisten genommen werden.

Für die aktuellen Möglichkeiten im Silvana ist die Wasserwacht zwar dankbar, aber sie reichen nicht aus: Das Dittelbrunner Bad steht nicht zur Verfügung, das Kerschensteiner öffnet erst jetzt wieder für Vereine und aufgrund der Corona-Auflagen dürfen deutlich weniger Kinder gleichzeitig im Bad anwesend sein.

 
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