Unter dem Titel "Healing" findet im August ein einzigartiges Kunstprojekt statt. Es handelt sich um eine Mischung aus Installation und Live-Rollenspiel. Die Hälfte der Teilnehmenden spielt Healing im zum Spielset umgebauten Spitalseebunker in Schweinfurt, die andere Hälfte online, und zwar weltweit. Healing wird von den Machern als die schillerndste und unbarmherzigste Unterhaltungsshow der Welt bezeichnet. Das Live-Rollenspiel verbindet viele verschiedene Elemente, unter anderem die von Video Games, Theater, Installation, Film, partizipative Kunst, Bühnenbild, Lichttechnik, Performance, Schauspiel und Gamedesign.
Mitspielende werden ständig überwacht
„Es ist schwierig zu vermitteln, was wir vorhaben“, sagt Wanja Neite, der uns während des Aufbaus, der seit knapp zwei Monaten läuft, durch den Bunker führt. Der Ansatz: Teilnehmende des Live-Rollenspiels stehen am Rande der Gesellschaft, für sie steht alles auf dem Spiel. Jede ihre Handlungen wird bewertet und bewacht. Dazu wird jeder der zahlreichen Räume im Bunker komplett über Mikrofone und Kameras überwacht. Somit bliebt kein Fehltritt unbemerkt, denn das sogenannte Tribunal, also die Onlinespielenden, sehen alles.
Im Spiel sind verschiedene Strategien möglich. Die Spielenden können das System zum eigenen Vorteil nutzen, Ränke schmieden, andere diskreditieren, oder auf sonstige Weise das Publikum unterhalten. Alles ist erlaubt – zumindest auf fiktionaler Ebene. In Healing geht es darum, dass es eben doch einen Unterschied macht, wie man sich in einem System verhält. Es geht um die Unterdrückung durch ein technokratisches System und um Widerstand, um Geheimnisse, Liebe und Solidarität, um die blinde Verehrung von Stars und vor allem die Jagd nach einer guten Bewertung der eigenen Figur.
Spielerinnen und Spieler werden von anderen bewertet
Dieser sogenannte "Lifescore" bestimmt das ganze Leben in Healing und hängt davon ab, wie gut das eigene Verhalten zu diesem alternativen System passt. Es ist also ein Leben für die Likes, und die Leute spielen, um sich zu verbessern. Die Bewertungen nehmen die Spielerinnen und Spieler vor, die online teilnehmen. Die Spielenden spielen übrigens nicht sich selbst, sondern eine fiktive Figur. Deren Charakter entwickeln alle Teilnehmenden im Vorfeld. Sie bestimmen die Geschichte der Figur, deren Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Ziele. Im Spiel gibt es aber auch einige feste Mitspielerinnen und Mitspieler, die sich schon länger für ihre ganz bestimmte Rolle vorbereiten.
Die Veranstaltenden wollen ein unvergessliches, ästhetisches Erlebnis schaffen, das im besten Fall auch noch zum Nachdenken über den "gläsernen Datensarkophag anregt, in dem wir zum Teil bereits leben", sagt Neite. Darüber hinaus möchten die Veranstaltenden einen solidarischen virtuellen Raum für Kunst und Kultur kreieren. Kultur finde oft im Internet statt, ohne eine kritische Auseinandersetzung mit der komplexen und problematischen Seite digitaler Versprechungen. Durch Lockdowns und Spielverbote sei dieser Prozess immens beschleunigt worden. "Die Kunst wird online im Wesentlichen verkauft, das kann es nicht sein", so Neite. Ihr Projekt sei deshalb so aufgebaut, dass keine große Firma damit Geld verdient.
Es geht nicht um das Gewinnen, sondern um das Erlebnis
Ziel ist es, erlebnisreiche Kunst zu kreieren. Sechs Stunden lang dauert ein Durchgang des Spiels, in dem alle Beteiligten auf die Handlung Einfluss nehmen. Ein Publikum gibt es nicht, denn alle nehmen gleichzeitig und auf Augenhöhe am Spiel teil. Im Voraus gibt es eine kurze Besprechung der Regeln, "damit alle am Spiel Spaß haben", sagt Neite. "Denn wir haben hier ein heftiges Setting, aber alle sollen sich sicher fühlen." Und am Ende gibt es eine Nachbesprechung, in der man sich über die Erfahrungen austauschen kann. Denn in Healing geht es für die Spielenden "nicht ums Gewinnen, sondern darum, gemeinsam spannende Geschichten zu erleben". Neite betont, dass das, was im Spiel passiert, auch dort bleibt. Die Video- oder Audioaufnahmen gelangen also nicht nach außen.
Healing übt Kritik an sozialen Medien, großen Konzernen und den Systemen einiger Länder, ist aber teilweise bewusst überzogen. "Wir sagen nicht, in der digitalen Welt ist alles gefährlich, aber wir wollen zum Nachdenken anregen, dass sich jeder überlegen kann, wo man aktiv etwas gestalten kann, wo man Freiräume hat, und wo man abhängig ist", sagt Neite. In der echten Welt gebe es ähnliche Systeme wie bei Healing. "In London kann man keinen Schritt machen, ohne gesehen zu werden", so Neite. In China oder Russland spiele die Überwachung und Systemtreue eine wichtige Rolle. Und an einigen Stellen sei das Spiel wie ein Gerichtsprozess in den USA: Dort erhalten die Angeklagten vielleicht die Gnade des Publikums. Das ist fast gleichzusetzen mit der Bewertung der Personen.
Eintauchen in eine andere Welt
Healing erinnert ein bisschen an die Reality-Sendung Big Brother – nur, dass nicht einer alleine mächtig ist, sondern alle Personen schwach sind und versuchen müssen, die Stärksten unter den Schwachen zu werden. Und: Zuschauer gibt es keine, alle sind ein Teil des Spiels, auch die Online-Teilnehmenden. Sie gehören ebenfalls zum unteren Teil der Gesellschaft, stehen vom Rang her aber noch vor den Spielerinnen und Spielern im Bunker. "Die Assoziation dahinter sind Menschen, die in Einrichtungen sind, um wieder Teil vom Sozialgefüge zu werden, so wie man es aus faschistischen Regimen kennt", sagt Neite.
Was die ständige Überwachung mit einem macht, das können die Spielenden selbst herausfinden. "Wenn man aus einer Flasche trinkt und weiß, man wird überwacht, dann denkt man, man hat komisch getrunken", so Neite. Dabei werde man auch in der echten Welt ständig beobachtet, aber nehme es nicht wahr. Wer bei diesem einzigartigen Projekt mitspielt, der wird sich fühlen wie in einer anderen, futuristischen Welt. Das wird den Spielerinnen und Spielern spätestens dann bewusst, wenn sie den Bunker wieder verlassen, ihnen die Sonne ins Gesicht scheint und sie auf das echte Leben treffen.
Gespielt wird an den Augustwochenenden
Healing kann ab 18 Jahren gespielt werden. Es gibt acht Termine. Ab dem 7. August findet jeden Samstag und Sonntag im August eine Spielrunde statt. Tickets gibt es ab 15 Euro auf www.healing.dos.fail und auf www.startnext.com/healing-dos-fail. Das Projekt wird unter anderem vom KulturPackt für Schweinfurt e.V. unterstützt, der auch ein Rahmenprogramm anbietet, das rund um die Veranstaltungen umgesetzt wird.