Drei Stunden Live-Unterhaltung, die bei vielen Zuschauern sicherlich eine Mischung aus Sehnsucht in der kulturlosen Zeit und Vorfreude auf den Re-Start irgendwann, erzeugt hat, bot Schweinfurts freie Kultur am Freitagabend mit ihrer "Kulturnacht Digital".
Die Säulen der Stattbahnhof-Bühne, die Kinositze des KuK, der Vorhang auf der Disharmonie-Bühne, die in den hochwertig produzierten Videos der insgesamt acht Acts aus den bekannten Schweinfurter Kultureinrichtungen erblickt werden konnten, zeigten, was inmitten der Pandemie droht in Vergessenheit zu geraten. Die Kultur ist noch da – das zeigten alle Beteiligten der "Kulturnacht Digital" eindrucksvoll und mit jeder Menge Leidenschaft und Herzblut.
BR-Reporter Wolfram Hanke, ein Kenner und Liebhaber der Kultur-Szene, vor allem wenn es dabei wie bei den Acts aus dem Stattbahnhof auch mal etwas lauter wird, führte aus der "Halle 36" gekonnt durch die Sendung, in der zwischen den Einspielern mit den Auftritten der Künstler im Studio auch Akteure der Schweinfurter Kultur zu Wort kamen. Diana Schmeltzer (KuK), Thomas "Hue" Hübner (Stattbahnhof), Jürgen Dahlke (Disharmonie), Ralf Hofmann (Agentur L19), Jimij Günther (KulturPackt für Schweinfurt) und Benjamin Warmuth (Wort-Artikulation Schweinfurt) berichteten über die Situation, Sorgen und Aussichten der Kulturszene während der Corona-Krise.
Die freie Kulturszene hält zusammen und hilft sich selbst
Seit über einem Jahr steht der Kulturbetrieb weitgehend still. "Aber uns gibt es noch und uns wird es weiter geben – da bin ich guter Dinge", sagte "Hue" vom Stattbahnhof. Die freie Kulturszene hält zusammen und hilft sich selbst, wie auch schon vergangenes Jahr beim "Keiner kommt nach Schweinfurt"-Projekt, das wie auch dieses Event eine Gemeinschaftsveranstaltung Schweinfurter Kulturakteure war. Über viele Jahre hinweg sind die kulturellen Einrichtungen und Organisationen der Stadt gut vernetzt, erklärt Dahlke von der Disharmonie. "Keiner wildert beim anderen, die Gebiete sind klar abgesteckt."
Das galt auch für das gemeinsame genreübergreifenden digitale Event. Im Stattbahnhof wurde es wie üblich am lautesten. Die Aschaffenburger Boppin 'B, seit vielen Jahren Dauergast auf der "Statti"-Bühne bewiesen, dass ihr "Rock 'n' Roll" selbst quer durch die Datenautobahn nicht an Energie verliert. Soul7even, vielen bekannt vom Schweinfurter Stadtfest oder dem Bad Kissinger Rakoczy-Fest, zeigten sich mit ihrem Funk & Soul spielfreudig wie eh und je.
Fränkischer Grantler" Matthias Egersdörfer
Aus der Disharmonie führte der "fränkische Grantler" Matthias Egersdörfer ein Stück aus seinem neuen Programm vor. Eine Zugabe des Kabarettisten gibt es auf der Veranstaltungs-Homepage zu sehen. Auf der Disharmonie-Bühne, auf der pandemiebedingt bislang gut 200 Veranstaltungen ausfallen mussten, traten auch das Würzburger Flamenco-Duo "Aqua y Vino" sowie der Anarchokomik-Gitarrist "El Mago Masin" auf.
Im KuK widmete sich das Gerolzhöfer Chanson-Duo "Café Sehnsucht" spitzfindig dem Thema "Verschwörungsideologien", in ihrem zweiten Stück wollten sie PEGIDA zum Mond und Neonazis vom III. Weg und der NPD auf eine Insel weit im Ozean schicken. Der 17 Jahre alte Schweinfurter Poetry-Slammer Justus Lamm trug ein beeindruckendes Gedicht gegen Homophobie vor. Theaterkunst gab es vom Duo "Pohyb`s & Konsorten".
Anders als bei herkömmlichen Veranstaltungen mit Publikum vor Ort, wie sie aktuell nicht stattfinden dürfen, können die Veranstalter der "Kulturnacht Digital" keine exakte Zuschauerzahl ermitteln. Mitveranstalter Ralf Hofmann geht den ermittelten Zugriffszahlen über verschiedene Plattformen nach von gut und gerne 6000 Zusehenden aus, die am Freitag in ihren Wohnzimmern live mit dabei waren. "Das übertraf all unsere Erwartungen", sagt er zufrieden. Das gelungene Event mache einfach Mut.
Auch bei der Technikcrew blickte Hofmann in leuchtende Augen: "Alle waren einfach glücklich, so was mal wieder erleben zu dürfen." Einen besonderen Dank spricht er Andre Ottlik von der Agentur 19sieben aus, der maßgeblich für die Durchführung der aufwendigen Produktion zuständig war.
Die komplette Kulturnacht kann auf www.kulturnacht-digital.de weiter auf Abruf angeschaut werden. Dort befindet sich auch die Möglichkeit, für die freie Kultur in Schweinfurt, die noch lange nicht aufgegeben hat, Geld zu spenden.