Kaum war am Dienstagabend so gegen Halbsechs der letzte Antrag zum Haushalt 2022 der Stadt abgestimmt, merkte man die Aufbruchstimmung bei Oberbürgermeister Sebastian Remelé. Er musste packen. Zwar nur ein kleines Köfferchen, aber es ging auf Dienstreise gen Thüringen, ins schöne Erfurt, das in diesem Jahr bekanntlich durch die Bundesgartenschau von sich reden machte.
Doch die schönen Blumen im Parkgelände und Inspiration für die eigene Landesgartenschau 2026 mit dem wunderbaren Marketing-Slogan "Blumen statt Panzer" will sich der OB gar nicht holen. Vielmehr tagte der deutsche Städtetag, bei dem Schweinfurt Mitglied ist und er qua Amt der Vertreter. Und außerdem stand für Mittwoch, 8 Uhr, der Rest der Sitzung an, denn nach der Beratung über die Anträge der Fraktionen kommt bekanntlich die Abstimmung der Zuschussanträge. Nur zu verständlich, dass der OB angesichts von 57 (!) noch ausstehenden Tagesordnungspunkten sich lieber dem großen Ganzen widmete als dem Klein Klein.
Gut, das war jetzt gemein, denn wir sind ja nur neidisch, weil wir selbst früh aufstehen mussten, um wegen halbstündiger Autofahrt rechtzeitig bei der Sitzung zu sein. Und außerdem dauerte die dann gar nicht so lange, da die Zuschussanträge vorher bereits genehmigt waren.
Ehrlicherweise muss man zugeben, dass wir beim Blick auf das Programm des Städtetages schon auch gern dahin gefahren wären. Die Versorgung mit Häppchen und Getränken dürfte gut gewesen sein, der Empfang der Landeshauptstadt Erfurt am Mittwochabend mutmaßlich würdevoll und das neudeutsch Networking genannte Treffen und Plaudern ist ja immer nett.
Wir wissen ehrlicherweise nicht, ob der OB Frühaufsteher ist oder nicht, sportlich ist er allemal. Insofern war vielleicht am Donnerstag die Neun-Kilometer-Laufrunde zu den Stationen des Erfurter Gartenbaus in Begleitung des Olympiasiegers Nils Schumann ab 7.30 Uhr ganz nett.
Und da es um die Zukunft der deutschen Innenstädte ging, war der OB sicher nicht falsch beim Städtetag, um sich Impulse für die darbende Schweinfurter Fußgängerzone zu holen. Dem Appell des Städtetags-Präsidenten Burkhard Jung, die Ampel-Koalitionäre sollen im Koalitionsvertrag "finanziell handlungsfähige Städte als Zielmarke verankern", wird sich der OB genauso anschließen wie dessen Aussage, Klimaschutz "kann nicht einfach vom Bund bestellt werden". Schließen wir jetzt mal so als Resümee der vielen Debatten zum Thema Klimaschutz in Schweinfurt.
Ansonsten waren die Haushaltsberatungen zwar von der einen oder anderen deutlicheren Diskussion zwischen OB und Opposition geprägt, aber auch von einem Phänomen, das man aus dem Fernsehen an Silvester kennt: Same procedure as every year, Miss Sophie. Sprich, Anträge, die jedes Jahr aufs Neue gestellt werden. Die pädagogischen Hilfskräfte, die Sanierung der Hohen Brückengasse, kostenlose Stadtbusse an Adventssamstagen und so weiter.
Dank Corona gab es auch ein neues Phänomen: die Laienpredigt, wie der OB spitz bemerkte. Im Sitzungssaal selbst durften sich maximal 23 Personen ohne Maske aufhalten, also saßen einige Stadträte auf der Tribüne und diskutierten mit. Dem Freien-Wähler-Mann Adi Schön gefiel's, "wollte schon immer mal von oben predigen."