„Wird die Welt immer bekloppter? Wie Soziale Medien unsere Wahrnehmung verdrehen.“ So lautete der Titel eines Vortrags von Social-Media-Experte Jens Scholz im Spitalseebunker. Nein, wird sie nicht, ist seine Antwort – aber es gibt ein "aber". Zum einen funktionieren Medien heute anders als wir denken, zum anderen funktionieren auch Diskussionen anders als wir denken und es von früher kennen, so Scholz.
In der Theorie gibt es für Diskussionen unter anderem die persönliche Ebene und die Sachebene, sagte der gebürtige Schweinfurter Scholz bei der Veranstaltung des Schweinfurter Kulturpakts, die als Rahmenveranstaltung zum Kunstprojekt "Healing im Spitalseebunker" stattgefunden hat. Die persönliche Ebene bestehe aus eigenen Erfahrungen, Erlebnissen und Erkenntnissen. Quellen hierfür sind beispielsweise die Erziehung, Freunde oder Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen. Die Sachebene bestehe aus Definitionen, Fakten, Zusammenhängen. Quellen hierfür sind etwa Daten oder die Naturwissenschaften.
"Das Problem an den Sozialen Medien ist, dass jeder behauptet, er spricht in der Sachebene, aber eigentlich spricht er in der persönlichen Ebene", so Scholz. Ein Beispiel: Unter einem Fakt schreibt ein User einen Kommentar, dass er eine andere Erfahrung gemacht hat. "Und schon ist es in seiner Welt nicht so, auch wenn es in Wirklichkeit so Fakt ist", sagte Scholz. Dann schreiben Freunde und andere Leute ihre Meinung in die Kommentare, die ebenfalls eine andere Erfahrung gemacht haben. "Viele Leute versuchen den Fakt zu entkräften, der aber nun mal Fakt ist. Das ist es, was in Sozialen Medien immer wieder passiert", erklärte Scholz.
"Und dummerweise agieren wir letztendlich immer nach Empathie", so Scholz. Wir finden Argumente nicht wegen der Sach-Ebene gut, "sondern weil der Kommentator lustig schreibt, ironisch schreibt, weil er so ausschaut, weil er die richtigen Leute beleidigt, oder einfach etwas macht, was mich mit ihm verbindet".
Jens Scholz: "Wir brauchen mehr Filterblasen"
Oft werde behauptet, dass die Filterblasen in Sozialen Medien gefährlich seien. Die sogenannten Filterblasen beschreiben das Phänomen, dass die Sozialen Netzwerke durch künstliche Intelligenz über das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer dazulernen. Wer bestimmte Inhalte häufig konsumiert, liked oder kommentiert, bekommt anschließend noch öfter ähnliche Inhalte angezeigt. Damit befinden sich die Nutzerinnen und Nutzer in der "Filterblase", weil sie immer mehr Inhalte nach ihren Interessen gefiltert angezeigt bekommen, andere Inhalte werden ihnen dagegen viel seltener angezeigt.
Doch nach Ansicht von Scholz brauche es sogar mehr Filterblasen. "Das würde Social Media einfacher machen, im echten Leben haben wir auch mehr Filterwände", sagte er. "Ein HSV-Fan geht nicht in eine Bayern-Kneipe und sagt 'Bayern München ist scheiße'." In Sozialen Medien passiere das aber immer wieder in der Kommentarspalte. Im Internet werde quasi jeder Leserbrief veröffentlicht. Wenn Zeitungen das vor 20 Jahren gemacht hätten, ohne eine Auswahl zu treffen, wäre damals auch viel mehr Hass zu sehen gewesen, meinte Scholz.
Welche Lösung es für Hasskommentare gibt
"Es wird eigentlich nicht schlimmer", behauptet Scholz. Das Problem sei nur, dass immer mehr Leute in Sozialen Netzwerken unterwegs sind. "Vor zehn Jahren war Facebook eigentlich ganz nett", sagte er. Denn am Anfang seien es viele Gleichgesinnte gewesen, heutzutage treffen viele verschiedene Welten und Ansichten aufeinander. Mehr Filterblasen würden das Problem entschärfen, bekräftigte Scholz.
Die Welt sei auch noch so wie vor 20, 40 oder 60 Jahren. "Eigentlich ändern sich die Leute nicht, aber trotzdem ist alles anders als vor 40 Jahren, was hat sich also geändert?", fragte Scholz. Mit 20 Jahren habe ein heute 60-Jähriger so agiert wie die 20-Jährigen heute. "Damals fand er die alten alle blöd." Heute als 60-Jähriger finde er die jungen alle blöd, so wie ihn damals die Alten blöd fanden, als er noch jung war.
Scholz zufolge sei es ein Irrtum, dass man nichts tun könne. Die Lösung: Moderieren oder sogar blockieren. Viele Medien würden sich das Blockieren nicht trauen, weil sie Angst davor hätten, an Reichweite zu verlieren. "Aber die Leute, die wegbleiben, weil überall nur noch Hass ist, sind viel mehr", so Scholz. Diese gehen oftmals gar nicht mehr auf die entsprechenden Seiten. Sie würden aber zurückkehren, wenn man die wenigen Hassnachrichtenschreiber blockieren würde.
Social-Media-Trend: Die Gruppen werden wieder kleiner
Es gehe weg von der Schrift, audiovisuelle Kommunikation gewinne stattdessen immer mehr an Bedeutung. Die Jugendlichen sitzen heute vor dem PC "und plappern dabei den ganzen Tag live und in Echtzeit miteinander". Die Kommunikation sei damit sozialer als früher. Ein weiterer Trend: Die sozialen Gruppen werden wieder kleiner.
Scholz würde Facebook, Instagram und Twitter schon gar nicht mehr als "Soziale Medien" bezeichnen. Stattdessen werde WhatsApp zu einem Sozialen Medium, kleine WhatsApp-Gruppen würden als soziale Räume wieder mehr an Bedeutung gewinnen. Denn grundsätzlich gelte: "Soziale Netze brauchen soziale Räume", das gilt digital wie auch analog. In der analogen Welt ist der soziale Raum dann zum Beispiel die Fußballkneipe, in der sich nur gleichgesinnte Fans treffen.
-karl lagerfeld-
Was ist denn ein Fakt? Das was andere erleben oder das was man selbst erlebt? Im Grunde ist doch beides ein Fakt auch wenn das eine die Regel und das andere die Ausnahme darstellen sollte. Für den der es erlebt ist es Fakt. Sein Fakt - und da gibt es nichts dran zu rütteln.
Sonst müsste man ja alles glauben was jemand behauptet und als Fakt hin stellt. Wie heisst es so schön: auch wenn es noch so viele behaupten muss es dennoch nicht stimmen. Genau das erleben wir doch tagtäglich in den sozialen Medien. Es werden Dinge behauptet und man soll sie glauben weil ein "Fakt". Wer das nicht tut weil anders erlebt oder einfach nur den "Fakt" hinterfragt wird angegriffen. Oft genug stellt sich später heraus, dass der Zweifler recht behalten hat und der "Fakt" halt doch nicht so "fakt" war.
Und ganz aktuell ist es so, dass es vor allem die sozialen Netzwerke waren, die die wahre Lage in Afghanistan hart und schonungslos offengelegt haben, ja, und tatsächlich auch mit verstörenden Bildern, während uns Tagesschau und heute-Journal die "offizielle Linie" verklickert haben, nach der die Lage im Griff ist und nichts passieren wird...