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Schweinfurt
Fichtensterben: Der "Supergau" im Schweinfurter Stadtwald
Seit zweieinhalb Jahren sind die Motorsägen rund um Schweinfurt im Dauereinsatz. Der Borkenkäfer lässt auch im Sommer keine Pause zu. Jetzt hat es den Stadtwald erwischt.
Meterhoch türmt sich das Käferholz aus dem Stadtwald im Industrie- und Gewerbepark Maintal.
Foto: Gerd Landgraf | Meterhoch türmt sich das Käferholz aus dem Stadtwald im Industrie- und Gewerbepark Maintal.
Gerd Landgraf
Gerd Landgraf
 |  aktualisiert: 08.02.2024 14:34 Uhr

Nach dem dritten Schlag mit der sichelförmigen Klinge der Hippe (auch Heppe oder Gertel) zeigt Förster Florian Haensel unter der abgesprungen Rinde die drei Entwicklungsstufen des Borkenkäfers, der im Stadtwald die Fichte massenweise sterben lässt. Der Leiter des städtischen Forstamts spricht von einem "Supergau" – für seinen Kollegen, den Förster Andreas Hummel, ist im Stadtwald seit Wochen "Land unter". 

2018 und 2019 war der 1800 Hektar große Stadtwald im Vergleich mit den benachbarten Waldungen noch glimpflich davongekommen. Doch heuer "ist bei uns der Borkenkäferbefall richtig explodiert", sagt Haensel, dem "zum Heulen" ist. Die Anzahl der Stämme, die aus dem Wald zum Baumlager am Rande des Industrie- und Gewerbeparks Maintal abgefahren sind und sich wegen des Überangebots (Käferholz und Sturmholz) nur schlecht oder auch nicht verkaufen lassen, hat niemand gezählt. Es sind Tausende. Ähnlich viele werden noch gebracht. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt auch eine Wanderung von Weipoltshausen über die Jeusingstraße zum Brönnhof. Entlang des Wegs liegen dort auf gut 500 Metern zwei und mehr Meter hoch gestapelte Fichtenstämme, die auf den Abtransport warten.  

Mit der Hippe schlägt Florian Haensel ein Stück Rinde von der frisch geschlagenen Fichte.
Foto: Gerd Landgraf | Mit der Hippe schlägt Florian Haensel ein Stück Rinde von der frisch geschlagenen Fichte.

4000 bis 5000 Festmeter Fichte hat der Stadtforst heuer bereits eingeschlagen. Bis zum Jahresende werden es um die 10 000 Festmeter sein (Festmeter ist das Raummaß für Rundholz, entspricht einem Kubikmeter fester Holzmasse ohne Zwischenräume). In normalen Jahren liegt der Einschlag im Stadtwald über alle Baumarten hinweg bei etwa 6000 Festmeter, der jährliche Zuwachs deutlich darüber (um etwa 25 Prozent). Dieses im Sinne der Nachhaltigkeit wurzelnde Ziel wird heuer bei weitem nicht erreicht, auch weil ab Herbst Laubholz zwar reduziert, aber zumindest für die Stammkundschaft geschlagen wird. Dass der Schweinfurter in seinem Wald auf der Haardt, am Brönnhof oder etwa rund um Madenhausen dennoch viele Bäume und nur einige Lichtungen – verursacht durch die Hot Spots des Fichtensterbens – sehen wird, liegt an der dort seit Jahrzehnten praktizierten Forstwirtschaft mit einem hohen Laubholzanteil (70 Prozent, Hauptbaumart Eiche).

Auf der Hand von Florian Haensel: Larve des Borkenkäfers (weiß), Altkäfer (dunkel) und junger Käfer (hellbraun).
Foto: Gerd Landgraf | Auf der Hand von Florian Haensel: Larve des Borkenkäfers (weiß), Altkäfer (dunkel) und junger Käfer (hellbraun).

Am Nadelholz ist die Fichte mit weniger als der Hälfte beteiligt und machte 2019 noch zwölf Prozent des Baumbestands aus. Bis Jahresende werde der Anteil der Fichte nur noch einstellig sein, meint Haensel, der davon ausgeht, dass es immer Fichten im Stadtwald geben wird, allerdings nicht mehr "im Block, sondern einzelne Bäume".

Folge des Klimawandels

Den extrem hohen Borkenkäferbefall führt Haensel auf den Klimawandel zurück, der den braun-schwarzen Rüsselkäfer in den vergangenen Jahren beste Lebensbedingungen geboten und die Fichten geschwächt habe, die sich deshalb nur noch schlecht mit Harzfluss gegen den Befall wehren könnten.  

Im Bast unter der Rinde sitzen die Larven und die Käfer.
Foto: Gerd Landgraf | Im Bast unter der Rinde sitzen die Larven und die Käfer.

An den Fichten sind vor allem die Arten Buchdrucker (bis 5,5 mm, Jungkäfer hellbraun, später dunkelbraun) und Kupferstecher (bis 3 mm, schwarz mit rot-braunen Flügeldecken) zu finden. Diese überwintern unter der Rinde befallener Bäume oder in der Bodenstreu. Aktiv wird der Borkenkäfer ab April. Er schwärmt dann aus und befällt weitere Bäume. In den warmen Sommern der vergangenen Jahren bildeten sich bis zu drei Generationen aus. So hatte ein Borkenkäferweibchen bis zu 100 000 Nachkommen. Als Faustregel gilt, dass die Käfer einer befallenen Fichte nach dem Ausflug 20 weitere Bäume befallen. 

Unter den jetzt geschlagenen Fichten wächst bereits die nächste Generation, vor allem Buchen.
Foto: Gerd Landgraf | Unter den jetzt geschlagenen Fichten wächst bereits die nächste Generation, vor allem Buchen.

Der Borkenkäfer frisst unter der Rinde ein Gangsystem in die Bastschicht des Baumes. Als Folge gelangt keine Zucker mehr von der Krone zu den Wurzeln. Durch den gestörten Stoffwechsel nimmt der Baum dann weniger Wasser auf und stirbt. Die Nadeln verfärben sich fahlgrün bis rotbraun und fallen ab. Die so geschädigten Fichten müssen umgehend entnommen und aus dem Wald gebracht werden, sagt dazu die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in ihrer Broschüre über den Fichtenborkenkäfer.

Das Fraßbild des Buchdruckers.
Foto: Gerd Landgraf | Das Fraßbild des Buchdruckers.

In einigen Fällen konnte der Stadtforst durch den sofortigen Abtransport der befallenen Fichten im Frühjahr eine zweite und dritte Käfer-Generation verhindern. Vielfach und trotz der permanenten Kontrollen durch die Förster Haensel, Hummel und Anton Goss sowie durch die sieben Forstwirte (und einen Auszubildenden) des Amtes gelang dies nicht, "weshalb sich die Bestockung gravierend verschieben wird", so Amtsleiter Haensel. Auf das Nadelholz will man allerdings nicht verzichten und etwa mit der Tanne und der Douglasie Sorten pflanzen, von denen man sich eine höhere Stabilität bei fortschreitender Erwärmung verspricht. In lichten Waldstücken soll zudem die Lärche wachsen. Noch offen ist, ob sich der Einsatz von "Exoten" bewähren könnte.     

Die Fichte (rechts) muss raus aus dem Wald.
Foto: Gerd Landgraf | Die Fichte (rechts) muss raus aus dem Wald.

Als Glücksfall erweist sich in der momentanen Situation das Handeln der Vorgänger von Goss, Hummel und Haensel. In fast allen Fichtenbeständen gibt es einen intakten Unterbau mit jungen Bäumen – vor allem Buchen, oft auch Tannen. Pflegeintensiv sind diese Flächen trotzdem. Die Forstwirte müssen ausputzen, ausgrasen und nachpflanzen. Außerdem muss das Reh bejagt und vielfach trotzdem gezäunt werden.

Das Kronenmaterial kommt in den Häcksler.
Foto: Gerd Landgraf | Das Kronenmaterial kommt in den Häcksler.

Zur chemischen Keule will Förster Haensel nicht greifen, wobei die zur Verfügung stehenden Gifte sowieso erst einzusetzen sind, wenn ein Baum befallen ist. Werden nicht entrindete Stämme im Wald gelagert, kann die Brut durch das Spritzen abgetötet werden. Auch das Entrinden (danach vertrocknen Larven und Käfer) wird im Stadtwald nicht praktiziert, auch weil sich damit schneller Qualitätsverluste einstellen.  

Brutmaterial für den Kupferstecher

Der Stadtforst setzt auf das Entfernen und das Zwischenlagern (mindestens 500 Meter weg vom Wald) des befallenen Holzes. Den dafür nötigen Transport von Käferholz fördert der Freistaat mit zwölf Euro pro Festmeter. Keinen Zuschuss gibt es für die Verarbeitung des Restmaterials, etwa der Baumkronen, das gehäckselt und als Bodenverbesserer in den Wald geblasen wird. Unbearbeitet dürfen Zweige und Äste nicht bleiben, weil diese ansonsten vom Kupferstecher als Brutmaterial genutzt werden.

Das Holz hat durch den Käferbefall nicht an Qualität verloren. Der blaue Rand gilt als Schönheitsfehler.
Foto: Gerd Landgraf | Das Holz hat durch den Käferbefall nicht an Qualität verloren. Der blaue Rand gilt als Schönheitsfehler.
 
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