Leere Ladenflächen, Insolvenz großer Warenhäuser - in Unterfranken wie bundesweit ein Problem. In Schweinfurt stehen in der Innenstadt rund zehn Prozent der Geschäfte leer und seit Ende Januar auch die Galeria Kaufhof. Auch in Würzburg ist Leerstand ein Problem, die Zukunft der Kaufhof-Filiale nach der Insolvenz des Konzerns Galeria Karstadt Kaufhof nicht sicher.Wie gehen andere Kommunen mit der Herausforderung um?
Bundesweit bekannt wurde das hessische Hanau: Die Stadt im Rhein-Main-Gebiet, rund 100.000 Einwohner groß, hat ihr Galeria-Kaufhof-Gebäude gekauft und entwickelt es selbst. Martin Bieberle, Stadtentwickler im Rathaus und gleichzeitig Geschäftsführer der Baugesellschaft Hanau GmbH sowie der Hanau Marketing GmbH, arbeitet seit vielen Jahren daran, die Innenstadt voranzubringen. Im Interview sagt der 60-Jährige, was sich Schweinfurt oder Würzburg abschauen könnten.
Martin Bieberle: Mitte März wird uns der Schlüssel übergeben. Dann werden wir unmittelbar in den Schaufenstern und an der Fassade zeigen, dass hier etwas Neues passiert. Öffnen werden wir in mehreren Schritten: Los geht es im Herbst mit einer Zwischennutzung im Erdgeschoss. Das wird bis dahin qualitätvoll umgestaltet, damit dort kein kruscheliger Charakter entsteht. In den nächsten drei Jahren sollen hier Handel, Manufakturen und eine öffentliche Marktplatz-Fläche für Veranstaltungen Menschen anziehen. Wir haben schon 250 Nutzungs-Ideen dafür bekommen.
Bieberle: Das erste Obergeschoss ist dauerhaft als Bildungsetage gedacht, für studentische Nutzung, die Berufsakademie oder Volkshochschule, das zweite Obergeschoss für Gesundheitsthemen wie Arztpraxen oder Therapieeinrichtungen. Im dritten ziehen Teile der Stadtverwaltung ein und im Untergeschoss ist ein Vollsortimenter geplant.
Bieberle: Allen war klar, dass ein langanhaltender Leerstand im Herzen Hanaus die umliegenden Geschäfte und Gastronomien und die gesamte Innenstadt nach unten zieht. Wir haben aber das Ziel, unsere Innenstadt lebendig zu halten. Die Innenstadt ist ein Stück europäisches Kulturgut. Ihretwegen leben und arbeiten Menschen hier. Dass man der Stadtführung zutraut, sie lebendig zu halten, hat mehrere Gründe. Kann ich ein bisschen ausholen?
Bieberle: Bis 2007 war Hanau ein Schmuddelkind im Rhein-Main-Gebiet. Mit städtebaulichen Missständen, rückläufiger Einwohnerzahl und sozial nicht unproblematisch. Seit 2008 haben wir uns aus diesem Image erfolgreich rausgekämpft. 600 Millionen Euro wurden in den Umbau der Stadt investiert, um das Leben und Einkaufen attraktiver zu machen. Darauf aufgebaut haben wir 2019 das Programm Hanau aufLADEN.
Bieberle: Wir unterstützen zum Beispiel Privatleute bei Geschäftseröffnungen. Wir helfen bei Behördengängen, vernetzen sie mit anderen und unterstützen sie 15 Monate mit je 500 Euro. Da wir auch selbst Immobilien vermieten, bieten wir Geschäftsräume günstig an, damit neue Ideen ausprobiert werden können. Das funktioniert natürlich nicht immer, aber aus zehn Pop-Up-Stores sind in den vergangenen zwei Jahren dauerhafte Läden geworden. Wir haben aber auch große und kleine Kulturräume geschaffen - auch das gehört zur lebendigen Innenstadt. Solche Projekte werden in Hanau unabhängig von der Parteizugehörigkeit gemeinschaftlich diskutiert und entschieden. In dieser Tradition steht auch der Beschluss, das Kaufhof-Gebäude am Marktplatz zu kaufen.
Bieberle: Natürlich braucht eine Stadt für ihrer Entwicklung privates Know-how und Kapital. Aber die reine Privatwirtschaft führt erkennbar nicht unbedingt in die richtige Richtung. Man sieht es an der Pleite des Kaufhof-Karstadt-Konzerns. In der Logik der freien Marktwirtschaft würde das Kaufhof-Gebäude ziemlich sicher das nächste Jahrzehnt leer stehen. Rentabel wäre es derzeit nicht zu entwickeln. Wir wollen aber, dass hier rasch etwas mit viel Strahlkraft entsteht.
Bieberle: Wir werden vom Bund und vom Land Hessen gefördert, aber natürlich braucht es einen relevanten dauerhaften Zuschuss. 2,5 Millionen Euro im Jahr müssen die Hanauer Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in den nächsten 20 Jahren investieren. Aber der Nutzen, den wir dafür bekommt, ist das wert. Der wirtschaftliche Schaden eines durch langen Leerstand ausgelösten Abwärtstrends in der Innenstadt wäre sicherlich größer.
Bieberle: Wir haben erkannt, dass der reine Marktmechanismus der Innenstadt nicht guttut. Häuser werden von Fonds gekauft, die es nicht interessiert, ob die Nutzung das Angebot an Geschäften erhöht oder ob sie leer stehen. Der Grundsatz "Eigentum verpflichtet" zählt ja nur noch selten. Unsere Satzung ist das Signal: Diese Stadt kümmert sich um ihre Immobilien. Weil wir uns professionell mit dem Markt auseinandersetzen, verhindern wir zum Beispiel Spekulationsgeschäfte.
Bieberle: Wenn ein Eigentümer seine Immobilie verkauft, können wir sie zu einem marktüblichen Preis kaufen. So haben wir in den vergangen zwei Jahren 15 Häuser erworben und sorgen mit fairen Mieten dafür, dass hier keine weiteren Barbershops oder Spätis einziehen, sondern zum Beispiel ein Spielzeug- oder Haushaltswarengeschäft, was bislang fehlte.
Bieberle: Die Zahl an leerstehenden Geschäften konnten wir dank unserer Maßnahmen deutlich senken. Die Leerstandsquote in der Kerninnnenstadt liegt bei 2,8 Prozent exklusive dem Einkaufszentrum. Wir haben hier in Hanau eine Kultur, Dinge auszuprobieren und robust nach vorne zu gehen, ohne die letzte Sicherheit zu haben, dass alles genau so richtig ist. Wir kämpfen für die Zukunft unserer Stadt.
und die Hanauer Bürger/innen "dürfen" mitmachen.
Vor etlichen Jahren kamen ein paar schlaue Leute auf die Idee, (u. a. bei Kaufhof) Warenhaus-Geschäft und Immobilie zu trennen, so dass der Betrieb zum Teil horrende, vom Ertrag kaum erwirtschaftbare Mieten an die Immobiliengesellschaft überweisen musste, und es war abzusehen, dass das nicht lange gutgehen konnte. Nun ist im Endeffekt der Betrieb pleite, das rausgequetschte Geld haben die "Wunderwuzzis" eingesteckt, und als Sahnehäubchen für dieselbigen kauft jetzt die Kommune auch noch für einen Millionenbetrag das nutzlos gewordene, heruntergewirtschaftete Gebäude.
Boshafte Leute könnten glatt auf die Idee kommen (sich) zu fragen, ob da nicht vielleicht - zu Lasten der Allgemeinheit - eine Verbindung zwischen "Politik" und "Geldadel" besteht...
Man darf jedenfalls gespannt sein, was bei dem vorgestellten Nutzungskonzept herauskommt.
Ergänzt durch Gastro? Kleinen Läden? Ich denke da ist vieles möglich, wenn man bereit ist über den eigenen Suppentellerrand hinaus, in die Zukunft zu blicken.
siehe auch : https://www.bundesverband-coworking.de/was-ist-coworking/
Im Haushalt 2023 addieren sich die Verbindlichkeiten auf 380 Millionen Euro.
https://www.hanau.de/mam/rathaus/finanzen/haushalt/doppelhaushalts_2022_23_teil2.pdf
Das ergibt eine Pro Kopf Verschuldung von 4085 Euro. Wenn man das in WÜ oder SW auch anstreben wollte, dann könnte man sogar mehrere Projekte wie den Kaufhof angehen und sich später über die Wut der Bürger wundern.
Wenn wir heute im KT-Teil der MP lesen, wie gefährlich es für Iphofen ist sich von einem Weltkonzern Knauf abhängig zu machen, ist das, was Hanau gemacht hat, vielleicht gar nicht so dumm war. (Trotz der Schulden)
In dem Fall wäre sogar der Begriff "Sondervermögen" angebracht. Denn anders als das Sondervermögen für die BW, (Ich bin ein absoluter Befürworter der BW) generiert dieses Sondervermögen wieder Steueraufkommen.
Hier zahlt sich eine langfristige Strategie aus, mit der frühzeitig die notwendigen Strukturen geschaffen wurden. In Schweinfurt sehe ich beides (Strategie und Struktur) nicht.
Die Kategorie Mut möchte ich hier nicht beurteilen. Aber der kommt in Hanau ja auch nicht von ungefähr.
Allerdings interessiert mich schon, wie die Return of Invest-Rechnung bei 65 Millionen Aufwand aussieht. Alleine die Aussage "der wirtschaftliche Schaden für die Innenstadt wäre sicherlich größer" beantwortet das nicht.
Aber:
➤ Der Beschluss zu Kauf und Invest wurde dort EINSTIMMIG beschlossen.
➤ Es gibt 250 (!) Nutzungsideen, die offensichtlich gemeinsam mit der Bürgerschaft erarbeitet wurden.
➤Es wurde sich somit frühzeitig und integrativ um diese Herausforderung gekümmert.
Dass auch dieses Vorhaben in Hanau Substanz hat, scheint klar.
Es sei aber auch erwähnt: der Handlungsdruck dort ist durch den Standort Marktplatz noch einmal ein anderer als z.B. in SW.
Dennoch: Ich bewundere den Mut der Stadt Hanau. ->
- Kaufverhalten stationär/online
- Ende des traditionellen Warenhauses
- Niedergang des eigentümergeführten spezialisierten Einzelhandels
- noch zu hohe Miethöhen und Dominanz von maximalen Verwertungsinteressen
- öde und monofunktionale Cityquartiere
Ein erster Schritt wäre eine gezielte Erweiterung von Nutzungen in der Innenstadt , also auch non profit wie Kultur und Bildung , spezialisiertes reparierendes Handwerk , Räume für temporäre pop up Nutzungen , mehr Wohnnutzung u.v.m.
Hans Sartoris
Vielleicht sollten unsere Stadtoberen mal zur Nachhilfe nach Hanau reisen. Das geht mit dem 49- Euro -Ticket relativ günstig