Keinen Streit mehr. Einen Regenbogen sehen. Endlich wieder auf den Spielplatz oder in den Wald gehen. Oder selbst Apfelmus herstellen. Das sind nur einige der Wünsche, die sich die Kinder des katholischen Kindergartens Marienau in Werneck für diesen Herbst gewünscht haben. Am häufigsten hatten aber auch die Kleinen einen Wunsch, den sich wohl auch alle Großen wünschen: „dass Corona endlich weggeht“.
Im Wald waren die Kinder inzwischen, leckeres Apfelmus haben sie auch schon selbst gemacht – und zumindest ein Wunsch geht an einem Mittwoch im Oktober in Erfüllung: kein Streit in der Gruppe. An diesem Tag bin ich zu Gast im Kindergarten, um zu erfahren, wie der typische Alltag im Kindergarten abläuft. Doch einen typischen Tag gibt es für Kinderpfleger und Erzieherinnen gar nicht. Denn zum einen ist jeder Tag anders. Und zum anderen kommen immer unvorhersehbare Ereignisse dazwischen. Erzieherinnen und Erzieher müssen "flexibel und spontan" sein, sagt Daniela Maxhuni-Bleiweis, die stellvertretende Kindergartenleitung.
Tägliches Ritual: Mama am Fenster winken
Es ist kurz nach 7 Uhr. Die ersten Kinder trudeln in ihre Gruppen ein. "Ich will in die Bauecke", sagt ein Kind, nachdem es sich von seiner Mama verabschiedet hat und in den Raum rennt. Doch bevor es so weit ist, folgen viele Kinder erst einem Ritual: den Eltern noch einmal vom Fenster aus winken. Dafür dürfen die Kleinen sogar aufs Fensterbrett steigen. So wird am Morgen fleißig gewunken und der ein oder andere Hand-Luftkuss verteilt.
Im Laufe des Morgens füllt sich der Kindergarten, mit den 126 Kindern, die sich auf vier Kindergartengruppen und zwei Kleinkindgruppen aufteilen. Viele Kinder schauen mich mit großen Augen und einem Blick an, der dahinter die Frage "Wer ist der fremde Mann?" vermuten lässt. Andere Kinder wissen schon, dass "Herr Völker" zu Besuch kommt. Die Freude ist ihnen anzumerken, sie haben zahlreiche Fragen.
Gezielte Angebote für die Kinder
Flugzeuge fliegen durch den Raum. Polizisten laufen auf der Ritterburg. Dinosaurier fahren mit dem Piratenschiff. Gleichzeitig wird gemalt oder gepuzzelt. Zwei Kindern wächst der Bauklotzturm bis zum Hals, für sie ist er "aber immer noch nicht groß genug". Doch plötzlich rennen alle zum Fenstern, denn ein Junge hat draußen etwas entdeckt: "Ein Eichhörnchen!", ruft er. Großes staunen. Und dann kommt ein weiteres den Baum hinab. "Zwei auf einmal hab ich noch nie gesehen", freut sich ein Mädchen.
Die Glocke klingelt. Das ist das Zeichen, aufzuräumen. Denn dann steht etwas Neues an, etwa der Morgenkreis. In der Schatzinselgruppe gibt es heute keinen Morgenkreis, stattdessen findet im großen Foyer ein gezieltes Angebot statt. Die Kinder bringen ihre Stühle mit und bilden einen Stuhlkreis. Was dort immer gemacht wird? "Spiele", "spannende Sachen", "Musik hören", "ein Buch lesen", lauten die Antworten der Kinder. Und "singen", aber das ist wegen Corona derzeit nicht möglich.
Alles dreht sich um den Herbst
Thema heute: Der Herbst. Auf dem Boden liegt eine runde, braune Decke. Die Kinder erzählen, was sie alles kennen, das rund ist: "ein Fußball", "ein Topf", "die Sonne" oder "ein Bulldog-Reifen". Sie malen mit beiden Händen Kreise in der Luft. Und was ist braun? "Stühle", "die Erde", "Baumstämme" – und "ein Bulldog-Reifen, nachdem er durch den Dreck gefahren ist", lauten die Antworten der Kinder.
Dann lässt die Kindergartenleitung Gaby Brand einen bedeckten Korb rumgehen, in dem die Kinder etwas fühlen sollen, das ebenfalls braun sein kann. Es raschelt. "Das sind Tannenzapfen", flüstert mir ein Junge ins Ohr. Als der Korb bei ihm ankommt und er gefühlt hat, ändert er seine Meinung. Es müssen Blätter sein. Die meisten haben das Blatt erfühlt oder am Rascheln erkannt. "Das war wohl zu einfach", sagt Brand. Zwei Kinder dürfen Wind spielen und die Blätter verteilen. Dann darf jedes Kind auf seinem Zeichenblock Blätter malen.
Regen macht den Kindern nichts aus
Bei den Kindern der Blumenwiese ist inzwischen Essenszeit. Kinder mit Bären, Einhörnern, Dinosauriern, Prinzessinnen und Kürbissen auf ihren Klamotten suchen sich mit ihrem Rucksack einen Platz am Tisch, nachdem sie ihre Hände gewaschen haben. Die Themen am Tisch sind auch beim Essen vielfältig. Die Kinder erzählen mir von Urlauben, dem Wunsch nach Haustieren, von Geburtstagsfeiern und Übernachtungspartys oder von ihren Zahnlücken. Der "magische Teller", gefüllt mit Obst, leert sich beim Essen "wie durch Zauberhand".
Großes Gewusel im Gang. Die Kinder sind aufgeregt. Es geht nach draußen, Matschhosen und Gummistiefel werden angezogen. Die Kinder helfen sich dabei gegenseitig. "Wir sind jeden Tag draußen, außer bei Sturm und Gewittern", sagt Brand. Den Kindern macht Regen überhaupt nichts aus, aber auch das pädagogische Personal stört das schlechte Wetter nicht. "Wir haben ja passende Kleider", so Brand.
Heute haben die Kinder Glück. Die Sonne kommt raus, es ist wärmer, als gemeldet. Einziger Wermutstropfen: Der große Garten ist aufgeteilt, die Kinder einer Gruppe dürfen sich wegen "dem blöden Corona" nicht mit anderen Gruppen mischen. Immerhin darf draußen gesungen werden. Herbstlieder erklingen.
Vielfältige Aufgaben als Erzieherin
Auch während des Lockdowns gab es Musik, das Kasperle, oder Geschichten für die Kleinen. Denn die Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen haben auf YouTube Videos hochgeladen. Zahlreiche Gedichte, Fingerspiele und Lieder auswendig zu können, gehört für das pädagogische Personal dazu. Zudem sind sie Sänger und Gitarrenspieler. Im Alltag müssen sie aufpassen, helfen, trösten und auch mal einen Streit schlichten. Und wenn es nur Gabys kalte Hände sind, die Wunder wirken, nachdem sich ein kleiner Junge angestoßen hat, weint, und ein bisschen blutet. Ein schöner Beruf – die überwiegend gute Laune der Kinder steckt an. Aber auch ein verantwortungsvoller Beruf. Denn Elternsprechstunden, Beurteilungen und Beobachtungsbögen ausfüllen gehört ebenfalls dazu.
"Es gibt fast keinen Bereich, in den ich nicht reingeschnuppert habe, sei es handwerklich oder hauswirtschaftlich", sagt Maxhuni-Bleiweis. "Man plant jeden Tag, hat ein bisschen Struktur, aber fast immer kommt es ein bisschen anders." Eigentlich ist man immer in Action, selbst beim Sitzen auf den kleinen Kindergartenstühlen, an die man sich wohl gewöhnen muss. Aber das Kinderlachen entschädigt dafür.
Heute darf ich den Kindern eine Geschichte vorlesen. Es geht auch darin um den Herbst. Er möchte nicht kommen, weil sich die Menschen über ihn beschweren, da er nass und windig sei. Mittendrin unterbricht mich Maxhuni-Bleiweis. Dann sind die Kinder gefordert. Sie dürfen raten, wie die Geschichte weitergeht. Und sie haben recht: Am Ende vermissen die Menschen den Herbst – und er lässt sich doch noch dazu überreden, zu den Menschen zu kommen.
Einen Tag Kind sein
"Mamaaaaaa!" Die Wiedersehensfreude ist riesengroß, als die Kinder von ihren Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten abgeholt werden. Auch Gaby Brand verabschiedet sich von ihren "Schätzen", wie die Gruppenleiterin der Schatzinsel ihre kleinen Abenteurer gerne nennt. "Tschüss Gaby", rufen die Kinder und winken ihr zu.
"Kommst du wieder?", diese Frage wird mir bei der Verabschiedung mehrmals gestellt. Ich muss die Kinder leider enttäuschen. Obwohl ich gerne wiederkommen würde. Zum Spielen. Zum Regenbogen anschauen. Zum Spaziergang durch den Wald. Oder zum Apfelmus herstellen. Vor allem aber, um nochmal einen Tag lang Kind sein zu können. Natürlich ohne zu streiten.
Mit unserer Serie "Reporter in Betrieb" wollen wir Zeitungsleute auch mal selbst über den Tellerrand schauen – nicht immer nur Stadtratssitzung und Jahreshauptversammlung, das wirkliche Leben ruft. Wir wollen wissen, wie geht es denn in anderen Berufsfeldern tatsächlich zu? Sie haben einen interessanten Job, den Sie uns zutrauen, dann melden Sie sich. Schreiben Sie Ihren Vorschlag, wen wir wo ersetzen sollen, an redaktion.schweinfurt@mainpost.de.
vielen Dank für das Lob! Es freut mich, dass die Eindrücke von meinem "besonderen Arbeitstag" gut ankommen und Sie die Wertschätzung spüren können.
Herzliche Grüße
Aurelian Völker