Für die einen ist es ein gravierender Einschnitt, für die anderen eine große Chance: Im AWO-Kindergarten Bergl hat Corona den Kita-Alltag drastisch eingeschränkt, im AWO-Waldkindergarten in Schonungen enorm erweitert. "Für uns ist es ein totaler Rückschritt", sagt Dorett Lehm, die Kindergartenleiterin am Bergl. "Wir haben gewonnen durch diese Situation", sieht es Claudia Seuffert-Fambach, die Leiterin des Naturkindergartens in Schonungen. Ein Besuch in den beiden Einrichtungen macht deutlich, warum die Corona-Pandemie für die beiden Kitas so unterschiedliche Auswirkungen hat.
Montag, 7 Uhr: Die ersten Eltern bringen ihre Kinder zur Kita Bergl. Sie tragen Mund- und Nasenschutz. Den Haupteingang dürfen sie nicht mehr benutzen, das Gebäude gar nicht mehr betreten. Die Kinder werden über den Fluchtweg durch den Garten direkt am Gruppenraum abgegeben. Krippenkinder laufen links herum, die Regelkinder rechts herum. Eine Erzieherin nimmt sie in Empfang. Dann geht's zum Händewaschen und wieder zurück in den Gruppenraum.
Die einen in den Drachenraum oder in die Hasenstube, die anderen ins Löwenhaus oder in die Bären-Gruppe. Die zwölf Krippenkinder sind auch separiert: sechs sind in der Marienkäfer-Gruppe, sechs in der Mäuse-Gruppe. Die Gruppen dürfen sich nicht vermischen. Folglich finden nun alle Aktivitäten im Gruppenraum statt: spielen, ruhen, essen, trinken, herumtoben.
Ortswechsel: Im Wald oberhalb vom Schonunger Naturfreundehaus herrscht emsige Betriebsamkeit. Zwei Jungs schleppen mit der Schubkarre Äste heran. Andere haben die Nestschaukel in Beschlag genommen. Vor der Schutzhütte wird gesägt, gehämmert, gebohrt, gelacht und gesungen. Ein Mädchen zeigt stolz sein Kunstwerk, ein mit Naturfarben gemaltes Bild. In einer ruhigen Ecke schauen sich Kinder mit einer Erzieherin ein Bilderbuch an. Andere rennen herum, fallen hin, stehen wieder auf und toben sich weiter aus. Auf den ersten Blick ist alles wie immer.
Zurück in die Kita Bergl: Es ist Mittagszeit. Das schöne Bistro ist verwaist. Es darf nicht mehr benutzt werden. Das Mittagessen wird auf dem Speisewagen zu jedem Gruppenraum gefahren und von einer Erzieherin ausgeteilt. Die Selbstbedienungstrinkoase ist geschlossen, die Kinder haben ihre Getränke in Flaschen dabei. Auch selbst gebackenen Geburtstagskuchen gibt es nicht mehr. Nur abgepackte Fertigware darf aufgetischt werden.
Draußen scheint die Sonne, den schönen Garten können die Gruppen nur wechselseitig nutzen. Und wer den Flur oder Turnraum betreten darf, regelt ein Wochenplan. Die Kinder finden das "überhaupt nicht schön". Denn vor Corona hatten sie viel mehr Freiheiten und vor allem ein großes Mitsprachrecht. "Jetzt sind die Kinder im Gruppenraum eingesperrt und die Kinderrechte auf Eis gelegt", bedauert Leiterin Lehm. Auf ihre Bedürfnisse könne man kaum noch eingehen.
Blick nach Schonungen: Auch im Waldkindergarten muss der von der Staatsregierung erlassene Schutz- und Rahmenhygieneplan umgesetzt werden. Manches ist hier aber einfacher. So braucht's im Freien keinen Mundschutz, wenn die Erzieherinnen ausreichend Abstand untereinander halten. Es gibt wenig vorgefertigtes Spielzeug, das desinfiziert werden muss, denn die Kinder spielen überwiegend mit Naturmaterial.
Die Vorgabe, in festen Gruppen zu arbeiten, stellte aber auch den Waldkindergarten vor Probleme, die das Erzieherinnenteam letztlich als Chance für eine Umstrukturierung sah. Die 21-köpfige Gruppe wurde geteilt und ein zweiter Waldplatz geschaffen. Jetzt befindet sich eine Gruppe unten am Naturfreundehaus und eine oben im Wald. "Das Arbeiten in Kleingruppen ist viel stressfreier", sagt Seuffert-Fambach. Und auch bei den kleinen "Waldfüchsen" komme es gut an, wie eine Kinderbefragung ergab.
Manche Freunde sind jetzt zwar getrennt, sehen sich aber trotzdem täglich. Denn nach wie vor gilt die Waldgruppe als eine Gruppe, so dass sich die Kinder vermischen dürfen. Der Kitatag beginnt deshalb für alle unten mit einem Morgenkreis und einer Erzählrunde. Die einen laufen dann hoch, die anderen in den Wald. Und wenn's unten zu langweilig wird, marschieren im Lauf des Tages auch die anderen nach oben. Dabei entdecken sie völlig neue Dinge, erleben Naturpädagogik pur.
In der Kita Bergl versuchen die Erzieherinnen trotz Einschränkungen den Kindern größtmögliche Freiheiten zu schaffen. Für das Personal ist die täglich Arbeit aber mit viel mehr Aufwand verbunden. Alles muss dokumentiert werden. Der Schriftverkehr zu Corona füllt mittlerweile einen dicken Leitz-Ordner.
Nicht alle Vorschriften lassen sich in der Praxis umsetzen. So müsste jeder Legostein desinfiziert werden, bevor ihn ein anderes Kind anfasst. "Unmöglich", meint Leiterin Lehm. Und wie soll man den Kleinen verklickern, dass sie nur noch im Freien singen dürfen? Für Uwe Lehm, Mitglied im Vorstand des AWO-Trägervereins, sind manche Vorschriften eine Farce. "So einen Zustand können wir auf Dauer nicht aufrecht erhalten."
Für die Kita Bergl hat die Corona-Pandemie noch in anderer Hinsicht einschneidende Veränderungen gebracht. Als Familienstützpunkt gab es in der Einrichtung viele Bildungsangebote für die Eltern, vom Plauderfrühstück über Erziehungsberatung bis hin zum Nähstübchen. "Wir haben Eltern aus 36 Ländern", verweist Leiterin Lehm auf das breite kulturelle Spektrum. Die Elternaktivitäten mussten alle eingestellt werden, laufen jetzt erst langsam wieder an.
Bei allen negativen Begleiterscheinungen hat Corona aber auch dieser Kita etwas Positives ermöglicht. "Wir sind digital jetzt besser aufgestellt." Seit neuestem gibt es die Ki-Komm-App, über die sich Eltern informieren können. Auch während des Lockdowns, als es nur eine Notbetreuung gab, wurden die Kinder zuhause digital mit Malblättern oder Bastelangeboten versorgt. Und wer die Unterlagen nicht ausdrucken konnte, dem brachten sie die Erzieherinnen persönlich vorbei. "Unsere Erzieherinnen haben ihr Bestes gegeben", ist AWO-Vorstand Lehm dankbar für das Engagement der 17 Mitarbeiterinnen.
Auch der Schonunger Naturkindergarten nutzte die digitalen Medien, um während des Lockdowns Sprachbotschaften, Videos und Werkanleitungen an die Kinder zu verschicken. Anders als stationäre Horte, durfte hier aber aufgrund der Betreuung im Freien schon Ende April der eingeschränkte Regelbetrieb wieder aufgenommen werden. Nur die Schutzhütte musste geschlossen bleiben. "Wir haben von Anfang an in der Krise die Chancen für uns gesucht", sagt Seuffert-Fambach. So ist ein neues Müllkonzept entstanden, und ein neues Sicherheitskonzept wurde erarbeitet. "Wir haben gewonnen von dieser Situation, und die Kinder machen es herrlich mit."