Auch das Handwerk ist nicht mehr nur Handarbeit, digitale Technologien sind längst angekommen oder auf dem Weg, traditionelle Berufsbilder zu verändern. So suchen heute Dachdecker, bevor sie aufs Dach steigen, oft zunächst mit einer Drohne nach dem "Dachschaden". Entwürfe für Handwerkliches, egal ob aus Holz, Stahl oder Stein, werden am Computer designt, bevor sie in der Realität Gestalt annehmen.
Den Nachwuchs auf neue Tätigkeiten und digitalisierte Arbeitsabläufe vorbereiten, ist Ziel des Bildungszentrums der Handwerkskammer für Unterfranken in Schweinfurt. Im Rahmen einer "Hausbesichtigung" hatte die örtliche Kreishandwerkerschaft, vertreten durch Kreishandwerksmeisterin Margit Rosentritt und ihren Stellvertreter Jürgen Weth, Oberbürgermeister Sebastian Remelé, Landrat Florian Töpper, den Präsidenten der Handwerkskammer Unterfranken, Michael Bissert, Stadträte, Kreisräte und weitere Mandatsträger eingeladen, Werkstätten unter die Lupe zu nehmen. Ingenieur Thomas Planer, Leiter des Schweinfurter Bildungszentrums, führte durchs Haus.
Im Mittelpunkt stand dabei das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt ARihA (Augmented Reality -AR - in der handwerklichen Ausbildung), das seit Januar 2021 im Schweinfurter Bildungszentrum angesiedelt ist. Das Forschungsprojekt ist in Deutschland einmalig. Ziel: Erfahrungen und Erkenntnisse in der Rolle eines Multiplikators anderen Handwerkskammern und Meistern zugänglich zu machen. Augmented Reality ist keine Spielerei mit Computerbrille, sondern Schlüsseltechnologie, wenn es darum geht, komplexe technische und handwerkliche Vorgänge besser zu verstehen und leichter erlernbar zu machen. AR ist in etwa die computergestützte Erweiterung der Realität, wie Projektmitarbeiter Lukas Walter und seine Kollegin Kristin Müller die Möglichkeiten dieser Technologie erläuterten. Reale Bauteile werden eingescannt und den Programmen hinzugefügt. Bei der Handhabe helfen Erklärvideos, die den Lernenden dabei helfen, die richtigen Arbeitsschritte zu tun. Konkret bedeutet dies, dass handwerkliche Arbeitsabläufe, wie etwa die Arbeit an einem Motor, zunächst in einem digitalen Raum erlernt werden können. Mithilfe der AR-Brillen tauchen die Lernenden in das im Bildungszentrum entwickelte Szenario ein. Gesten und Handbewegungen steuern, was in der AR-Realität geschieht. Zur Einführung und besseren Nachvollziehbarkeit, für die Gäste auf einen Monitor projiziert, holte Lukas Walter etwa eine virtuelle Kaffeetasse vom Schrank. Das Programm simuliert sozusagen mittels der Handbewegung der Lernenden die Wirklichkeit.
Landrat und Oberbürgermeister durften sich, ausgestattet mit AR-Brillen, gleich an eine größere Aufgabe heranwagen, in der es darum ging, Bauteile eines Motors auszutauschen. Keine leichte und auf Anhieb gelingende Aufgabe, wie beide feststellen mussten, denn auch beim Umgang mit der erweiterten Realität macht die Übung den Meister. Das ARihA-Projekt, so Einrichtungsleiter Thomas Planer, untersucht, ob und unter welchen Bedingungen die Augmented Reality im Rahmen der überbetrieblichen Ausbildung eingesetzt werden kann.
Wie vielfältig die AR-Programme nicht nur in Ausbildungsbereichen wie Kfz, Metall, Elektro oder im Heizungsbau eingesetzt werden können, zeigte Planer beim Besuch der Schweißer-Werkstatt. Selbst für das Schweißen gibt es ein AR-Lernprogramm, mit dessen Hilfe man ressourcenschonend und bei hoher Arbeitssicherheit die verschiedenen Schweißtechniken erlernen kann. So kann sich kein Schweiß-Anfänger mit dieser "Schweißer-Brille" die "Augen verblitzen", bei elektrischen Anlagen weist das Programm auf eventuelle Fehler hin, aber niemand muss einen Kurzschluss befürchten. Einziges Manko – bisher gibt es nur einen AR-Platz in der Schweißerei. Planer hat zwölf weitere Plätze beantragt, Kosten pro Platz etwa 30.000 Euro.
Praxisnähe durch Zusammenarbeit von Kammern und Innungen
Vor dem Rundgang durch das Bildungszentrum hatte Kreishandwerksmeisterin Margit Rosentritt die Gelegenheit genutzt, die Aufgaben der Innungen, der Kreishandwerkerschaft und der Handwerkskammer zu definieren. Einrichtungen, die gerne mitunter in der öffentlichen Wahrnehmung in einen Topf geworfen würden, aber alle ihren Stellenwert haben, so Rosentritt. Gleichwohl gelinge es nur durch enge Zusammenarbeit von HWK, KHW und Innungen, die Praxisnähe zu den Berufsbildern zu erhalten. Steigende Energiepreise seien nur eine der Herausforderungen, bei denen man gemeinsam dem Handwerk helfen müsse.
Die Kreishandwerkerschaft Schweinfurt, so Rosentritt, bestehe aus elf wahlberechtigten Innungen. Nicht jedes Berufsbild habe so viele Betriebe am Standort, um eine Innung zu bilden. Zum Gebiet Schweinfurt Stadt und Land gehören etwa 2000 Betriebe, von denen knapp 700 organisiert sind.
Warum einen Beruf "erlernen" oder ihn"studieren" nicht das gleiche ist
Margit Rosentritt warb dafür, am Image der Handwerksberufe in der Öffentlichkeit zu arbeiten und deren Stellenwert nicht nur in Zeiten des Fachkräftemangels zu unterstreichen. Manchmal seien es einfache Begriffe, die falsch interpretiert würden. Sie nannte das Beispiel von jungen Leuten mit Migrationshintergrund, in deren Heimat man davon spricht, "ein Handwerk zu studieren", wenn man eine Ausbildung macht. "Ein Handwerk lernen", wie man hierzulande sagt, bedeute in vielen Ländern in einer Werkstatt für ein paar Wochen "angelernt" zu werden, um dann dort als Hilfsarbeiter zu jobben. Ein sprachliches Missverständnis, das etwa dazu geführt habe, dass junge Syrer nicht Automechaniker "lernen" wollten, aber begeistert zusagten, als man ihnen anbot, diese Ausbildung "studieren" zu können.