Was genau ist eigentlich "Realität"? Für Online-Gamer der Ort, wo der Pizzamann herkommt, laut T-Shirt-Spruch. Aber auch die weitgehend analoge Welt des fränkischen Handwerks muss sich auf völlig neue Realitäten einlassen, im digitalen Zeitalter. Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR) nennen sich die Baustellen der Berliner "Immersionsagentur" Hololux, einer der Aussteller auf dem Digitaltag der "Handwerkskammer für Unterfranken", im Bildungszentrum.
Die Wirklichkeit kann heutzutage "virtuell", "erweitert" oder "gemischt" sein, in der weltweit vernetzten Pixelwelt der Bits und Bytes. Immersion bedeutet "Eintauchen": Die VR-Brille der jungen Techniker von der Spree erinnert bereits an eine Taucherbrille. Nur dass nach dem Überstülpen keine bunten Fische oder Korallenriffe auftauchen, sondern die Sitzreihen eines virtuellen Hörsaals. Mit einer Zielpistole, im Raumschiff-Enterprise-Design, lassen sich Buttons anklicken und ein schwebender Quadrocopter anvisieren. Ein Professor in Berlin könnte so das Fluggerät demonstrieren und es gleichzeitig Studenten in Saarbrücken unter die digitale Lupe nehmen lassen, über viele hundert Kilometer Entfernung hinweg.
Für erweiterte Realität liegen Hologramm-Brillen bereit
Etwas verschwommen wirkt das Internet-Interieur vor den Augen des Reporters. "Vielleicht sollten wir wieder mal die Linsen putzen", flachsen die beiden Mitarbeiter, von denen einer als Icon-Figur im Auditorium steht. Auch das Verheddern im Kabel erinnert im "Cyberspace" noch an die erste Realität. Zwecks "erweiterter Realität" liegen Hologramm-Brillen bereit, die, als Übergangslösung vor der reinen Lichtscheinwelt, erstmal nur künstliche Bilder vors echte Blickfeld projezieren: Obi Wan Kenobi lässt grüßen. In dieser Augmented Reality wird mit Gesten gesteuert.
Der Digitag ist Teil der "Wuerzburg Web Week". An die Galgenleite eingeladen hat Thomas Planer. Rund 30 Besucher von regionalen Betrieben haben sich zu Fachvorträgen angemeldet, mit Vorführungen. "Wir wollen die Hemmschwelle im Handwerk abbauen", sagt Planer, Leiter des Bildungszentrums, und warnt vor zuviel Beharren auf Althergebrachtem: "Basis für alles, was kommen wird, werden digitale Daten sein."
"Robonet 4.0" nennt sich ein Teilprojekt der Kampagne "Handwerk digital"
Derzeit forscht die Handwerkskammer an Möglichkeiten, einer Welt der Innungen und Meisterbriefe digitale Dienstleistungen und Robotik nahezubringen. "Robonet 4.0" nennt sich ein Teilprojekt der Kampagne "Handwerk digital", zusammen mit einer Fraunhofer-Forschungseinrichtung in Augsburg. Projektleiter Lukas Walter von der Handwerkskammer und sein Augsburger Konterpart Robert Karl stehen hinter dem Selbstfahr-Roboterarm, der das dicke Brett namens Digitalisierung bohrt. Im Wortsinn: "Kollege Roboter" löchert Wände und Decken, mit geduldiger Präzision. Vermessen werden soll der Raum mittels Laser und AR-Brille eines menschlichen Mitarbeiters.
Das bohrende Raupenfahrzeug wird hinter einer Absperrung kontrolliert, aufgrund (theoretischer) Verwechslungsgefahr zwischen Beton und Köpfen. Firmen, die den Maschinen-Malocher testen wollen, sind jederzeit willkommen, entsprechende CAD-Kapazitäten vorausgesetzt. Solche automatisierten Helferlein werden künftig besonders schmutzige, anstrengende und monotone Arbeiten übernehmen, als schnelle und zuverlässige Entlastung: So lautet ein Hauptargument in der Digi-Branche.
Der Umrüster als Zauberlehrling, der sich, wenn nicht ausrastende Roboter, doch zumindest Jobkiller ins Haus holt? "Wir haben überall Fachkräftemangel", sagt Michael Dinkel, der für die Lichtenfelser Firma Hofmann "metallischen 3D-Druck" bewirbt. Man brauche allein deswegen Technik als Ersatz. Per Laser werden in den Druckern hochfeine Bauteile geformt, Schicht für Schicht aus Metall- oder Legierungspulver. Luftfahrtzubehör, Implantate, Zahnersatz, Schmuck, Erstmuster, Motor- und Temperierungs-Technik: All das lässt sich längst werkzeuglos fertigen, in kürzester Zeit.
In der Halle surrt ein kleiner "MiR" umher, mit Limokasten: Der Transportroboter scannt die Umgebung, bleibt vor Fußgängern stehen und spielt Musik. Nebenan graviert ein "Cobot" eine Metallplatte: Der kollaborative Roboterarm sei erst als "Spielzeug" belächelt worden, sagt Tomasz Humiennik von der Firma Jugard + Künstner. Trotz Gegenwerts eines Kleinwagens sieht man die "Universal Robots" eines dänischen Herstellers, die sich von Hand lenken lassen, schon öfters: "Der Energieverbrauch entspricht dem von zwei Glühlampen", berichtet Humiennik stolz.
Funkenfreier Schweißsimulator
Das "Mittelstand 4.0-Kompetenzentrum Augsburg" ist mit Infotruck da. Ein funkenfreier Schweißsimulator Marke Soldamatic wird gezeigt, die Firma FARO hat einen 3D-Scanner aufgestellt. Das Lasergerät sieht aus wie eine Radarfalle, vermisst Baustellen oder Werkhallen millimetergenau: Grundlage für fotorealistische 3D-Gebäudemodelle, die wie bei einem PC-Spiel per Mausklick begeh-, bestück- und gestaltbar sind. "Building Information Modeling" (BIM) soll offiziell bis 2020 Standard werden. Die gute Nachricht für den staub- und schweißgebadeten Polier: Je staubiger und weniger spiegelnd eine Oberfläche, desto genauer misst der Laser.
Dennoch: "Machen Sie nicht den Fehler, das Papier loswerden zu wollen", hieß es im Impulsvortrag von Andreas Bachmann, der mit Patrick Fischer Grundlagen vermittelte, seitens der Marktheidenfelder Beratungsfirma "weXelerate". Es gehe nicht um soundsoviel Prozent Gewinn oder Einsparung. Der Kunde müsse den Nutzen haben. "Digitalbereit" sei, wer als Firma "Online" und "Offline" verschmelzen könne. Zumindest sollte es einem Handwerkerbetrieb nicht gehen wie dem Autofahrer, dem der Enkel sein Smartphone ins Kassettendeck schieben wollte: zum Aufladen.